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SYRIEN/030: Dominostein Damaskus - Einer stellt sich (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 50 vom 13. Dezember 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Schlechte Aussichten für "Genf II"
Die "bewaffnete Opposition" Syriens ist vor Verhandlungen gespalten

von Karin Leukefeld



Der Krieg in Syrien, der als innersyrischer Konflikt im März 2011 angefangen hatte, wurde durch regionales und internationales Eingreifen zum Stellvertreterkrieg. Erst im Frühjahr 2013 war Washington auf den Verhandlungskurs Moskaus eingeschwenkt. Ein weiteres halbes Jahr dauerte es, bis auch die Regionalmächte Iran, Türkei, Saudi Arabien und Katar einer Verhandlungslösung zustimmten. Entsprechend ihren internationalen und regionalen Unterstützern positionierten sich die syrischen Kontrahenten. Die syrische Regierung stellte bereits im Frühjahr ihre Delegation zusammen und folgte dabei dem Rat aus Moskau und Teheran. Schwieriger gestaltet sich die Formierung einer Delegation der Opposition, weil diese in eine unübersichtliche Zahl von Gruppen und Fraktionen, mit und ohne Waffen, gespalten ist.

Unklar ist weiterhin, wie mit den verschiedenen bewaffneten Gruppen umgegangen werden soll. Eine neue Allianz islamistischer Kampfverbände schloss sich kürzlich zur "Islamischen Front" zusammen und erklärte ihre Ablehnung jeglicher Verhandlungen. Ihr Ziel ist die Errichtung eines Kalifats in Syrien und im Irak. Finanziert werden diese Gruppen von Saudi-Arabien und Katar. Die Türkei lässt sie ungehindert die Grenze nach Syrien passieren, Geheimdienste der "Freunde Syriens", einem westlichen Bündnis um die USA, liefern logistische Hilfe und Aufklärung.

Hinter den Kulissen haben die Verhandlungen der offiziell noch zerstrittenen Parteien bereits begonnen. Der deutsche Publizist Jürgen Todenhöfer trug mehrfach Briefe des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad über Berlin nach Washington, der Präsident selber ermunterte in einem Spiegel-Interview die Bundesregierung zu vermitteln. Hochrangige syrische Politiker verhandelten in Moskau und Teheran, Vertreter bewaffneter und nicht-bewaffneter Oppositionsgruppen diskutieren in Genf und Moskau darüber, wer die Opposition wie und mit welchen Forderungen in Genf vertreten kann.

Ahmed Jarba, der Vorsitzende der Nationalen Koalition der "bewaffneten Opposition", kurz Etilaf, wird nach langem Widerstand nach Moskau reisen. Er sei vom russischen Außenminister Sergej Lawrow eingeladen worden und wolle die Einladung wahrnehmen, um Russland davon zu überzeugen, dass russische "Interessen in der Unterstützung des syrischen Volkes, nicht des Regimes" lägen. Die Nationale Koalition will an den Genf-II Gesprächen teilnehmen, hat dafür allerdings Bedingungen gestellt. So soll Assad keine Rolle mehr in der politischen Zukunft Syriens spielen, Gefangene müssten freigelassen und humanitäre Korridore eingerichtet werden. Jarba und seine Gruppe wird von den "Freunden Syriens" unterstützt, westliche und Golfstaaten helfen der Koalition mit Geld, Waffen und Logistik.

Vertreter der Kerngruppe der "Freunde Syriens", die so genannten "London 11" Staaten, trafen sich kürzlich mit Vertretern bewaffneter Gruppen in der Türkei, um deren Bereitschaft für eine politische Lösung zu testen. Der Oberkommandierende der "Freien Syrischen Armee" (FSA), General Selim Idriss, machte klar, dass man weiter kämpfen werde, selbst wenn es zu den Gesprächen in Genf käme. Dafür brauche man mehr und bessere Waffen und Munition, der Kampf werde auf dem Schlachtfeld entschieden. Der UN-Diplomat Mokhtar Lamani, der in Syrien die Gespräche für Genf vorbereitet, spricht von Hunderten bewaffneter Gruppen in Syrien, die sich auch gegenseitig bekämpfen.

Deutschland, das ebenfalls zu den "London 11" gehört, hat die Verwaltung eines großzügigen Wiederaufbaufonds für die Jarba-Gruppe (Etilaf) übernommen. 10 Millionen Euro hat Berlin bereits eingezahlt, der von der Kreditbank für Wiederaufbau verwaltet wird. Das Geld ist ausschließlich für die Unterstützung einer Exilregierung der Jarba-Gruppe gedacht sowie für den Wiederaufbau in den von dieser "befreiten Gebieten" im Norden Syriens. Die Summe entspricht in etwa dem, was die Bundesregierung (2012/13) für die humanitäre Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Syrien zur Verfügung gestellt hat.

Man habe sich mit den "London 11" darauf geeinigt, dass die Genf-II-Gespräche "begrenzt" werden müssen, erklärte Jarba. Man werde eine "Übergangsregierung mit den präsidialen Exekutivgewalten über die Sicherheitskräfte, die Armee, die Geheimdienste und die Justiz" bilden. Ein Kollege von Jarba, der ehemalige Kommunist George Sabra, erklärte derweil, seine Fraktion, der Syrische Nationalrat, werde erst im Dezember über eine Teilnahme an Genf II entscheiden. Er glaube nicht an einen Erfolg der Konferenz.

Konstruktiver gehen die Oppositionellen die Genf-II-Gespräche an, die von Seiten der Jarba-Gruppe und der "London 11" dort gar nicht teilnehmen sollen. Das Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC) fordert das sofortige Ende von Waffenlieferungen und einen Waffenstillstand. Die Gruppe "Den Syrischen Staat aufbauen" versucht, der innersyrischen unbewaffneten Opposition Gehör zu verschaffen und die "Frauen für Demokratie in Syrien" haben bereits einen Entwurf und Grundprinzipien für eine neue Verfassung vorgelegt. Die starke Partei der Demokratischen Union (PYD) unterstützt die Forderungen des NCC, will zusätzlich aber auch Grundrechte für die Kurden in Syrien erstreiten.

Der Krieg geht derweil weiter. Vor wenigen Tagen wurden Nonnen des Klosters Mar Thekla in Maalula von Aufständischen entführt, um im Gegenzug die Freilassung von Gefangenen sowie den Abzug der Streitkräfte aus Gebieten zu erpressen, die bisher von den bewaffneten Gruppen kontrolliert wurden. 9 Millionen Menschen in Syrien, mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung, sind aus ihren Häusern vertrieben und auf Hilfe angewiesen. 50 Prozent der Kinder gehen nicht mehr zur Schule. In einem UNO-Bericht heißt es, dass in Syrien "ein lautloser Krieg gegen die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung des Landes" geführt werde. Selbst wenn Ende Januar die Gespräche in Genf beginnen, kann es bis zu 30 Jahre dauern, bis das Land sich von den Zerstörungen des Stellvertreterkrieges wieder erholt hat.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 50 vom 13. Dezember
2013, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2013