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STRASSE/003: Blockupyaktion - es wird ernst ... (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie - 3. Mai 2015

Blockupy: Demonstrationsbeobachtung am 18. März 2015


Das Komitee für Grundrechte und Demokratie legt nun einen genauen Bericht von den Protesten des Blockupy-Bündnisses am 18. März 2015 vor. Das Grundrechtekomitee hatte die Proteste mit 17 Demonstrationsbeobachtern und - beobachterinnen begleitet, die bei vielen Aktionen zugegen waren. Auf der Grundlage ihrer Berichte ist nun eine kleine Broschüre mit einigen Fotos erschienen.[*]

Die Berichterstattung in den Medien wie auch die politischen Auseinandersetzungen in Frankfurt in den Wochen danach waren dominiert von Aussagen über "beispiellose Gewalt" in Frankfurt. Dieser Bericht ermöglicht eine differenziertere Sicht auf die Vorgänge an diesem Tag.

In einem Resümee werden die Ereignisse zusammenfassend bewertet. Berichtet wird von einer hochgerüsteten Stadt, die Gewalt prognostizierte und eine Bank verbarrikadierte. Auf die unterschiedlichen Gruppen, die morgens demonstrierten, auch auf die Eskalationen am frühen Morgen, wird eingegangen. Alle Versuche, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aufgrund der Ereignisse anzugreifen und auszuhebeln, sind jedoch unverhältnismäßig. Solchen Rufen aus den Reihen der Polizei und der Politik muss entgegengetreten werden. Sie werden den tatsächlichen Vorgängen an diesem Morgen nicht gerecht.

Der genaue Bericht über den Ablauf des Tages macht auch offensichtlich, dass eine Minderheit der Demonstrierenden die Berichterstattung dominierte und mit ihren Aktionen die vorbereiteten Proteste des Bündnisses zeitweise okkupierte. Deutlich hervor tritt aber auch die Strategie der Polizei, die sich aus weiten Teilen der Stadt ganz zurückgezogen hatte, andererseits aber frühmorgens Demonstrationen daran hinderte, an die angemeldeten Demonstrationsorte zu ziehen.

[*] http://www.grundrechtekomitee.de/node/687

*


Blockupy: Demonstrationsbeobachtung am 18. März 2015

Text von Elke Steven auf der Grundlage der diversen Demonstrationsbeobachtungs-Berichte der 17 Demobeobachter*innen des Grundrechtekomitees


Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die Proteste des Blockupy-Bündnisses am 18. März 2015 mit einer Demonstrationsbeobachtung begleitet. Wieder einmal waren wir mit 17 Beobachter*innen bei vielen Aktionen zugegen. Ein kurz danach geschriebener Kommentar von Elke Steven "EZB: Potenzierter Hochsicherheitstrakt" (http://www.grundrechtekomitee.de/node/684) basiert auf den Erfahrungen der Demonstrationsbeobachtung an diesem Tag. Nun wollen wir auch die konkreten Beobachtungen am Tag selbst mit einigen Hinweisen auf den Kontext, in dem dieser Protest stattfand, veröffentlichen. Die Berichterstattung in den Medien wie auch die politischen Auseinandersetzungen in Frankfurt in den Wochen danach waren dominiert von Aussagen über "beispiellose Gewalt" in Frankfurt. Unser Bericht soll eine differenziertere Sicht auf die Vorgänge an diesem Tag ermöglichen.


Resümee

(1) Die Proteste müssen auch gelesen werden vor dem Hintergrund der Absperrungen der EZB und den Warnungen vor Gewalt der Demonstrierenden im Vorfeld. Schon im Vorhinein wurde von Politik und Polizei ständig vor massiver Gewalt gewarnt. Es wurde das Bild einer Stadt im Notstand gezeichnet, die von Demonstrierenden aus ganz Europa angegriffen würde. Die EZB und Teile der Innenstadt wurden zum Hochsicherheitstrakt. Mindestens 8.000 Polizeibeamt*innen sollten die Stadt sichern. Pfefferspray, CS-Gasgewehre, Wasserwerfer und Räumpanzer standen bereit.

(2) Blockupy hatte vorab den Aktionskonsens veröffentlicht: "Es ist eine Massenblockade, die aus Menschen besteht, mit Sitz- und Stehblockaden, Musik, Straßentheater, thematischen Gegenständen, Bannern usw. Von der Blockade des Blockupy-Bündnisses geht keine Eskalation aus." Klar außerhalb dieses Aktionskonsenses haben kleine, offenbar sehr gut organisierte Gruppen am 18. März 2015 Barrikaden gebaut und angezündet, Autos angezündet, Steine in Glasscheiben und in Richtung von Menschen geworfen. Die Aktionen dieser Gruppen waren sehr gut vorbereitet und wurden koordiniert durchgeführt. Das war nicht nur unverantwortlich, sondern auch unsolidarisch. Der Aktionskonsens des Blockupy-Bündnisses wurde offen torpediert und die Blockaden "gekapert". Über das Vorgehen dieser Gruppen muss gesprochen werden. Diese Minderheit hat die Medienberichterstattung dominiert.

(3) Die Polizei ist diesen Sachzerstörung betreibenden, aber auch mit Gewalt auftretenden Gruppen nicht entgegengetreten. Sie hat auch die brennenden Barrikaden und Autos nicht gelöscht, so dass Qualm und Gestank den ganzen Vormittag erhalten blieben. Dies verstärkte den Eindruck von gewalttätigen Unruhen und konnte den ganzen Vormittag über von der Presse gefilmt werden.

(4) Einige Demonstrierende haben selbst gebaute Styroporschilder und gebastelten Augenschutz aus Folien genutzt, um sich gegen Polizeigewalt zu schützen. Solche Gegenstände werden von der Polizei immer wieder als Schutz-Waffen bezeichnet. Die "Gewaltbereitschaft" meint die Polizei auch daraus ableiten zu können. Das Amtsgericht hat jedoch in einem Prozess aus den Blockupy-Protesten von 2013 einen Angeklagten vom Vorwurf der passiven Bewaffnung mit einer Baseball-Kappe freigesprochen. Es könnte ja auch gute Gründe geben, sich gegen polizeiliche Gewalt zu schützen. Am 21. April 2015 hat das Amtsgericht Frankfurt wiederum ein Verfahren, in dem es um ein Styroporschild als passiver Bewaffnung ging, eingestellt. Solche Ausrüstungsgegenstände entsprechen dem Aktionskonsens von Blockupy.

(5) Sehr selbstverständlich setzte die Polizei gegenüber den Versammlungen vor allem polizeiliche Abstandswaffen (Pfefferspray, Wasserwerfer. CS-Gasgewehre) ein. Das führt eher zu Auseinandersetzungen entlang von Frontlinien, die militärischem Vorgehen ähneln. Dem Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit dienen diese Waffen nicht. So waren neben dem gefährlichen und allen Polizeibeamt*innen zur Verfügung stehenden Pfefferspray auch Gewehre im Einsatz, mit denen CS-Gas verschossen wurde. Die Pressesprecherin der Polizei verneinte in einem Interview zwar, dass es diese Waffen gäbe. Wir konnten sie jedoch immer wieder beobachten. Außerdem wurden Wasserwerfer eingesetzt.

(6) In den letzten Jahren wird vermehrt versucht, Versammlungsleiter*innen für alle Vorfälle in einer Demonstration verantwortlich zu machen. Häufig wird sogar in Auflagen efordert, dass sie Versammlungen auflösen, wenn einzelne Teilnehmer*innen gegen Auflagen verstoßen. Immerhin hat das Ordnungsamt Frankfurt in seiner Verfügung vom 4. März 2015 diese auch von uns kritisierte Formulierung nicht mehr genutzt. Nun sollen Versammlungsleiter*innen in einem solchen Fall "unverzüglich die Polizei informieren". Was das in der Praxis heißen soll, bleibt völlig unklar. Gemäß dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985 darf die Polizei eine Versammlung nur dann auflösen, wenn von ihr insgesamt ein "gewalttätiger" oder "aufrührerischer" Verlauf angestrebt wird. "Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, Demonstrationen 'umzufunktionieren' und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen." (Brokdorf-Beschluss)

Diesmal lösten die Ereignisse vom Morgen des 18. März 2015 im Nachhinein eine politische Kampagne gegen den Anmelder der nachmittäglichen Kundgebung und Demonstration aus. Einig waren sich alle, dass es auf dieser Versammlung zu keinerlei Ausschreitungen kam. Dem Versammlungsleiter Ulrich Wilken, der Landtags-Vizepräsident und Mitglied von "Die Linke" ist, wurde all das zur Last gelegt, was am frühen Morgen von kleinen Gruppen gemacht wurde. Diese Kampagne hat juristisch gar keinen Halt, ist aber politisch gegen "Die Linke" gemünzt. Das hat mit einer sachlichen Auseinandersetzung nichts zu tun.

(7) Polizeivertreter nutzen die Vorgänge vom 18. März und die Berichterstattung darüber, das Versammlungsrecht anzugreifen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft und die Gewerkschaft der Polizei fordern eine Reform des Versammlungsrechts und neue Möglichkeiten der Datenspeicherung. Der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill meinte gar, "in Einzelfällen" hätten Situationen "durchaus den Gebrauch der Schusswaffe in Notwehr gerechtfertigt". (Vgl. hr-online; http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/index.jsp?rubrik=91009&key=standard_document_55104775) Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert, Attacken auf Polizist*innen oder Rettungskräfte härter zu bestrafen. Hierfür müsse ein neuer Straftatbestand eingeführt werden. (Vgl. FR, 9. April 2015; http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-schutz-fuer-polizisten-gefordert,15402798,30388180.html). Solche Versuche, die Grundrechte anzugreifen und auszuhebeln sind unverhältnismäßig. Sie werden den tatsächlichen Vorgängen an diesem Morgen nicht gerecht.

(8) Zu fragen bleibt, wie ein Protest gegen die herrschenden Zumutungen aussehen kann, der den Ernst der Lage zum Ausdruck bringt, sich aber nicht auf die Sprache der Herrschenden einlässt, der weite Teile der Bevölkerung anspricht und nicht in Bedeutungslosigkeit versinkt. Der Protest gegen einen Hochsicherheitstrakt scheint ziemlich aussichtslos zu sein.

Die vorgeschickte Polizei blockierte ja selbst die EZB. Wie hätten diese martialische Aufrüstung sichtbar und die Mächtigen lächerlich gemacht werden können? Was für ein Zeichen von Politik ist es, wenn Banken zu militärischen Festungen werden? Und wie kann damit einfallsreich umgegangen werden? Ende Mai 2013 waren in Frankfurt viele kreative Protestformen zu sehen, inhaltlich gut aufgearbeitet, manchmal wurden die vielen "Täter*innen" in witzigen Aktionen markiert. Allerdings folgte danach die polizeiliche Einkesselung und die Verhinderung der Großdemonstration.

(9) Ist es angesichts der Zumutungen herrschender Politik, angesichts der zunehmenden Armut und sozialen Spaltung in Europa, angesichts der tödlichen Abwehr von Flüchtlingen, angesichts einer Politik, die Abwehr gegenüber Flüchtenden produziert und Militär zum selbstverständlichen Mittel von Politik macht, nicht eher erstaunlich, wie friedlich und bunt - auch gut gelaunt - dieser Protest in den weitaus größten Teilen war?


Zu den konkreten Beobachtungen
Im Vorfeld

Zur Eröffnungsfeier der EZB hatte diese die Öffentlichkeit, auch die die Öffentlichkeit herstellenden Journalist*innen, ausgeschlossen. Die Medien sollten die von der EZB bereitgestellten Informationen und Bilder nutzen, statt sich ein eigenes Bild zu machen. Die Politik hatte dem zugestimmt und beteiligte sich an dieser Art von Banken-Feierlichkeit. Die Polizei hatte die Aufgabe angenommen, den öffentlichen Raum für die Interessen einer Bank zu okkupieren.

Die EZB ist schon alltäglich gut gesichert, mit Zaun und weitem, gut überwachten Gelände bis hin zum Gebäude. Angesichts der feierlichen, aber immer weiter reduzierten Größe der Eröffnungsfeier wurde im öffentlichen Raum eine Sperrzone errichtet. Die öffentliche Straße wurde für alle normalen Bürger*innen zur No-Go-Area. Eine Reihe "Hamburger Gitter" reichte scheinbar nicht zur Absperrung. Gleich zwei Reihen davon mussten aufgestellt werden. Dazwischen NATO-Stacheldraht, der schwerwiegende Verletzungen erzeugen kann. Aber auch das reichte nicht - Betonblöcke mussten diese Gitter beschweren. Die Polizei hatte sich selbst in diesen Hochsicherheitstrakt eingesperrt. Damit aber die Bürger*innen auch dieser weiträumigen Absperrung fernbleiben, wurde noch eine weitere zehn Meter breite Sperrzone erfunden. Fleißig wurden auf dem Asphalt weiße Striche aufgetragen, auch die Grünflächen und Wiesen wurden einbezogen. Ein weißer Strich vollzog die Absperrung der Gitter nach, ergänzt durch weiße Querstriche. Hinter dieser Absperrung standen Wasserwerfer bereit. Morgens wurde immer wieder auch per Lautsprecher darauf hingewiesen, dass die Zehn-Meter-Sperrzone in jedem Fall einzuhalten sei, da sonst Auflagen verletzt würden.

Am Mittwochmorgen wurde dieser imaginäre Zaun teilweise durch Flatterbänder in Sichthöhe zusätzlich gekennzeichnet. Aber auch das sollte nicht reichen. Davor noch waren polizeiliche Absperrungen eingerichtet, die die Demonstrierenden davon abhalten sollten, bis dahin zu kommen, wo sie gemäß der veröffentlichten Informationen demonstrieren durften.

Zwei Wochen vor dem Blockupy-Aktionstag in Frankfurt am Main wurden Busunternehmen in Bielefeld vom dortigen Staatsschutz angeschrieben. Sie wurden aufgefordert, dem polizeilichen Staatsschutz mitzuteilen, ob sie am 18. März 2015 Fahrten nach Frankfurt planen. Außerdem wurden sie dazu angehalten, in diesem Fall die Daten der anmietenden Personen, die Zahl der Fahrgäste sowie die Zeitpunkte der An- und Abreise herauszugeben.


Der Vorabend

Der Demo-Sonderzug aus Berlin mit ca. 1.000 Reisenden sollte um 23:40 Uhr am Vorabend am Südbahnhof in Frankfurt ankommen. Aufgrund von Bahnstörungen in Berlin hatte der Zug Verspätung und kam erst um 1:25 Uhr an. Der Südbahnhof war zunächst von Bundespolizei umstellt. Diese zog sich aber gegen 1:00 Uhr zurück. Die Ankommenden wurden von Frankfurter Gruppen mit Brot, Käse und Suppe begrüßt. Um 1:40 Uhr fuhren die Angekommenen mit der S-Bahn weiter. Statt am Hauptbahnhof zu halten, wo ein großes Polizeiaufgebot bereit stand, fuhr die Bahn durch bis zum Lokalbahnhof Westend.

Um 2:10 Uhr kamen sie dort an. Die bereitstehende Polizei beließ es dabei, die Situation zu beobachten. Die Gruppe machte sich auf zum Wohnheim an der Bockenheimer Warte, wo sie für die Nacht unterkam.


Verlauf des Tages [1]

(1) Gegen 6.00 Uhr versammeln sich Demonstrierende sowohl nördlich als auch südlich der Flößerbrücke. Obwohl auf dem Paul Arnsberg Platz eine angemeldete Mahnwache stattfinden soll und die Sonnemannstraße bis zur dortigen Absperrung zur EZB begehbar sein müsste, sperrt die Polizei bereits den Zugang ab der Flößerbrücke auf der Straße Oskar-von-Millerstraße/Sonnemannstraße. Auch die Straße Richtung Norden - Obermainanlage - ist gesperrt. Bereits um 6:15 Uhr fordert die Polizei die Demonstrierenden am Nordende der Brücke auf, die Straße frei zu machen. Gleichzeitig versucht sie, Demonstrierende beiseite zu schieben. Als dann von der Südseite eine größere Gruppe von Demonstrierenden dazustößt, versuchen die ca. 500 Demonstrierenden gegen 6:20 Uhr nach rechts in die Oskar-vonMiller-Straße einzubiegen. Es ist eine Gruppe mit Transparenten "Blockupy: EZB Eröffnung blockieren! Stören! Verhindern!" und bunten Schirmen. Es handelt sich hierbei um den "roten Finger".[2] Obwohl die Sperrzone, die mit doppelt aufgestellten, mit Betonklötzen und NATO-Draht verstärkten Hamburger Gittern markiert ist, und die dort sichtbar gemachte 10-Meter-Sperrzone noch ca. 400 Meter entfernt sind, werden die Demonstrierenden von der Polizei zurückgedrängt. Es kommt zu einem kurzzeitigen Gerangel, Rauchfeuern, Schubsen, einzelnen Pfeffersprayeinsätzen. Als dieser Versuch, weiterzugehen, bereits beendet ist, greift ein Polizeibeamter mit der linken Hand nach dem vorderen Transparent und sprüht mit der rechten Hand den Demonstrierenden, die dieses Transparent halten, Pfefferspray ins Gesicht. Mindestens drei Leute werden dabei verletzt, husten, spucken und haben rot entzündete Augen.

Die Flößerbrücke wird nun blockiert. Zeitweise können PKW von Süden auf die Flößerbrücke fahren und müssen dann wieder wenden.

Gegen 7:00 Uhr stoßen weitere Demonstrierende von Süden über die Flößerbrücke kommend hinzu. Erneut gibt es einen Versuch, auf die Sonnemannstraße vorzudringen. Diesmal setzt die Polizei massiv Pfefferspray und auch CS-Gas ein. Der ganze Platz vor der Brücke ist davon vernebelt. Das Gas reizt Augen und Lunge sehr. Einer kleinen Gruppe war es gelungen, die Demonstration bis zur Absperrung zu führen. Von dort kamen sie aber aufgrund weiterer polizeilicher Angriffe bald zurück.

(2) Gegen 6:00 Uhr versammeln sich Demonstrierende - der "grüne Finger" - auf der Zeil, Ecke Friedberger Anlage. Gegen 6:25 Uhr kündigt sich aus der Ferne eine Gruppe an, die Feuerwerkskörper zündet. Der grüne Finger will möglichst rasch loslaufen, um nicht von der Polizei, die aufgrund dieses Verhaltens der anderen Gruppe bald zu erwarten ist, aufgehalten zu werden. Polizei ist aber an diesem Morgen in der Innenstadt nur vereinzelt anzutreffen. Es geht zur Hanauer Landstraße in Richtung Ostbahnhof. Der vordere Teil der Demo läuft sehr zügig, dahinter fliegen immer wieder Feuerwerkskörper. Dort, wo die Hanauer Landstraße einen Bogen zur Sonnemannstraße macht, steht eine kleine Polizeiabsperrung. Diese steht wiederum in einiger Entfernung von der "eigentlichen" Absperrung - allerdings keine 100 Meter davor. Dort stehen zwei Polizeiautos und etwa 15 Polizist*innen. Der grüne Finger läuft als geschlossene Gruppe auf diese Absperrung zu und an den Pfefferspray nutzenden Polizeibeamt*innen vorbei. Auch die eingesetzten Schlagstöcke können sie nicht daran hindern, weiterzugehen. Vor der Absperrung der EZB bleiben sie allerdings stehen. Nach diesem ersten Durchbruch, der vielen weiteren Demonstrierenden ermöglicht, bis zur Absperrung weiterzugehen, greifen andere Demonstrierende die Polizist*innen an, werfen Feuerwerkskörper und Steine, zerschlagen zwei Polizeiautos und deren Fenster und setzen sie in Brand. In den Autos sitzen keine Polizeibeamt*innen.

Eines dieser beiden Autos wurde noch lange dort brennend stehen gelassen. Dieses Bild prägte die Berichterstattung. Der Teil der Demonstrierenden, der nicht mehr an den brennenden Autos vorbeilaufen wollte, zog über die Ostendstraße zum Ostbahnhof. Einige Leute beginnen, von der Baustelle an der Hanauer Landstraße/Ostbahnhofstraße Material auf die Straße zu zerren. Gegen 6:50 Uhr haben Bauarbeiter bereits wieder angefangen, dieses Material einzusammeln. Dabei werden sie von wenigen Personen angegriffen, und auch Steine fliegen in ihre Richtung. Unmittelbar daneben wird ein privater PKW in Brand gesetzt.

Einige Leute ziehen nun wieder auf der Hanauer Landstraße zurück. Gegen 7:10 Uhr biegen einige links in die Windeckstraße Richtung EZB. Sie greifen die Polizeikette an der Ecke Ostendstraße mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Reizgas an. Eine Anwohnerin mit Hund ist verschreckt und wird von Demobeobachter*innen herausgeleitet, die selbst auch Augenverletzungen haben, die von Sanitäter*innen behandelt werden. Andere setzen auf der Hanauer Landstraße Reifen in Brand, entglasen die Bushaltestelle, werfen Steine in ein Sparkassengebäude und greifen eine besetzte Straßenbahn an. Andere Demonstrierende versuchen, diesen Aktionen entgegenzuwirken. Insbesondere sorgen sie dafür, dass die Straßenbahn nicht weiter angegriffen wird und dass eine andere Straßenbahn nicht in dieses Chaos hineinfährt. Auch Autofahrer werden davor gewarnt, in diese Richtung zu fahren. Polizei ist auch hier gegen 7.00 Uhr noch nicht zu sehen.

(3) Gegen 7:30 Uhr kommen Teile dieser Gruppe zur Flößerbrücke. Sie bauen eine Barrikade in Richtung EZB auf der Oskar-von-Miller-Straße. Sie holen Absperrgitter, Balken und Steine von der Baustelle am Straßenrand und Mülltonnen von den Häusern der Umgebung. Sie zünden dies als Barrikade an. Auf der Obermainanlage ziehen sie Mülltonnen, Blumenkübel und Leihräder der Bahn auf die Straße und zünden sie an. Anwohner*innen, die Mülltonnen zurückholen, werden in Ruhe gelassen. Ein Anwohner äußert sich dabei aggressiv über die Demonstrierenden: "Die sollte man alle an die Wand stellen."

Gegen 7:50 Uhr warnt die Polizei per Lautsprecher vor Rauchgasvergiftung aufgrund der Feuer. Sie fordert auf, den Platz zu verlassen und kündigt den Einsatz von zwei Wasserwerfern an. Gegen 8:00 Uhr werden die Wasserwerfer gegen die Demonstrierenden auf der Flößerbrücke eingesetzt, und Polizist*innen beginnen, diese wegzudrängen. In dieser Situation fliegen Pflastersteine in Richtung Polizei. Ein Teil der Demonstrierenden zieht sich auf der Brücke zurück, andere laufen in Richtung Obermainanlage bzw. in den angrenzenden Park. Zunächst bildet die Polizei Ketten in Richtung Obermainanlage, zieht diese aber schnell wieder zurück. Die Wasserwerfer bleiben zunächst stehen, löschen aber nicht die weiter vor sich hin brennenden Barrikaden.

Gegen 8:20 Uhr sperrt eine sehr kleine Gruppe die Ignaz-Bubis-Brücke direkt neben der Flößerbrücke. Einerseits fordert die Polizei sie auf, die Brücke zu räumen, andererseits lässt sie die Autos wenden und sich einen anderen Weg suchen. Zwischenzeitlich werden die Demonstrierenden hier zurückgedrängt, sperren aber immer mal wieder auch diese Brücke.

Ab 9:00 Uhr stabilisiert sich die Situation auf der Flößerbrücke, die Clowns-Army unterhält die Anwesenden und macht Seifenblasen, dann spielt ein Mann auf einem elektrischen Klavier psychedelische Musik.

Gegen 10:05 Uhr fordert die Polizei die Gruppe per Lautsprecher auf, zehn Meter zurückzugehen. Die sitzenden Demonstrierenden stehen auf und bilden eine Kette. Polizeieinheiten aus Niedersachsen drücken diese Gruppe mit Faustschlägen ein Stück zurück. Sie reißen einen Mann aus der Kette und schleifen ihn brutal zur Seite. Auf Nachfrage von Demobeobachter*innen nach dem Grund für diese Aktion, bekommen sie die Antwort, dass die Polizei sich nur etwas Platz verschaffen wollte.

Um 10:20 Uhr fordert die Polizei die Demonstrierenden auf, alles abzulegen, was als Vermummung oder Schutz-Bewaffnung dienen könnte. Um 10:40 Uhr zieht sie sich zurück, und die Demonstrierenden können jubelnd wieder die zehn Meter vorrücken.

Auch die Ignaz-Bubis-Brücke wird von Süden her von ca. 200 bis 300 Demonstrierenden gesperrt. Hier verläuft alles sehr entspannt mit Samba-Gruppen. Die Polizei kümmert sich nicht darum.

(4) Auf dem Danziger Platz (Ostbahnhof) wird ab 6:00 Uhr die Mahnwache aufgebaut. Ein polizeilicher "Communicator" betont gegenüber Demobeobachter*innen, dass die Zehn-Meter-Bannmeile vor den Hamburger-Gittern rigoros durchgesetzt werde. Aber auch hier wird spätestens gegen 6:30 Uhr die Straße zur EZB ca. 100 Meter davor abgesperrt. Gegen 7:30 Uhr erreicht der "blaue Finger" den Danziger Platz und stößt auf ein riesiges Polizeiaufgebot. Begleitet worden war diese Gruppe von wenigen Polizeibeamt*innen. Von der Polizei wird durch den Lautsprecher gesagt: "Wir haben Sie jetzt hierher zu Ihrer Mahnwache geleitet, hier können Sie nun Ihre Meinung friedlich kundtun".

Die polizeiliche Absperrung wird noch weiter nach vorne verlagert, so dass diese Gruppe nicht bis an die EZB-Absperrung vordringen kann. Die Bundespolizei filmt diesen friedlichen Protest durchgehend. Von einer LKW-Bühne werden Reden gehalten und Lieder gesungen.

Gegen 8:10 Uhr brechen diese Demonstrierenden wieder auf in westlicher Richtung. Über die Ostbahnhofstraße und die Ostendstraße ziehen sie in Richtung Obermainanlage, bzw. Flößerbrücke. Inzwischen ist diese Gruppe relativ groß geworden, und es mögen über 1.000 Demonstrierende sein. Zunächst werden sie kurz vor der Obermainanlage gegen 8:20 Uhr von der Polizei gestoppt. Einige drehen um und ziehen die Uhlandstraße hoch und von dort in die Obermainanlage und zur Kreuzung Allerheiligentor/Lange Straße. Gegen 8:50 Uhr ist diese Kreuzung blockiert. Der Protest bleibt friedlich. Die Polizei versucht zunächst die Blockade aufzulösen, zieht sich dann jedoch zurück. Gegen 9:15 Uhr werden jedoch wieder ca. 50 Demonstrierende von der Polizei eingekesselt.

Dann kommen diejenigen hinzu, die von der Flößerbrücke beim Polizeieinsatz Richtung Obermainanlage und in die dortige Grünanlage gelaufen waren. Sie werden von der Polizei weiter in Richtung Stadt getrieben. So sammeln sie sich ebenfalls am Allerheiligentor. Ein Teil wird von der Polizei weiter nach Westen getrieben. Durch das entstehende Durcheinander - überall ziehen Gruppen in diverse Richtungen oder werden von der Polizei dorthin getrieben - wird auch der Kessel wieder aufgelöst. Die Polizei versucht die verschiedenen Gruppen eher auseinanderzuhalten. Teile werden von der Polizei Richtung Norden, bzw. in die Innenstadt getrieben. In der Friedberger Anlage kommt es immer wieder zu Rangeleien. Es gibt auch keine Anweisungen, wer wohin gehen soll, oder Begründungen, warum dort keine Demonstrationen stattfinden dürfen.

(5) Eine Gruppe aus diesem "blauen Finger" ist mehr oder weniger gezielt von der Polizei herausgelöst und auf der Uhlandstraße eingekesselt worden. Es handelt sich um ca. 300 Italiener*innen und drei Deutsche. Diese Gruppe wird weiträumig vom Protest abgeschirmt. Nachdem dieser Kessel ab kurz vor 10.00 Uhr von immer mehr Demonstrierenden wahrgenommen wird, sammeln sich viele Demonstrierende auf der Hanauer Landstraße/Ecke Uhlandstraße. Sie fordern die Freilassung der Eingekesselten. Dort führen die Demonstrierenden auch Verhandlungen mit der Polizei, die dazu führen, dass diese sich dort etwas zurückzieht (11.10 Uhr). In einer polizeilichen Lautsprecherdurchsage wird angekündigt, die "Maßnahme würde abgearbeitet", den Eingekesselten würden schwere Straftaten vorgeworfen. Sie würden aber nach der Personalienfeststellung freigelassen. Ab 12:30 Uhr wird diesen Personen nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung auch der Besuch der inzwischen dorthin gebrachten sechs Dixi-Toiletten erlaubt. Kurz nach 13.00 Uhr sind alle aus dem Kessel entlassen. Die einen ziehen zum Naxos-Theater, wo es Verpflegung gibt, die anderen ziehen direkt zum Römer und zur dortigen Kundgebung.

(6) Ab kurz nach 7:00 Uhr stehen die Demonstrierenden des grünen Fingers an der Ecke Hanauer Landstraße/Sonnemannstraße. Sie halten die auf dem Boden markierte Zehn-Meter-Bannmeile eher penibel ein. Es ist kaum Polizei vor Ort, außer hinter den Gittern. Einige Demonstrierende haben Plastikschutzschirme vor den Augen. Die Clowns-Army besucht auch diesen Protest. Es herrscht eine absolut friedliche Stimmung.

(7) In den frühen Morgenstunden, gegen 6:30 Uhr, ist auch die Polizeiwache auf der Zeil von einer Gruppe angegriffen worden. Drei Polizeifahrzeuge wurden in Brand gesetzt. Wir waren nicht dort und konnten nur später die Brandspuren sehen.

(8) Vom Infopoint am Naxos-Theater zieht gegen 14:00 Uhr eine Gruppe Richtung Römer los. Die Gruppe wird auf beiden Seiten von Polizeibeamt*innen begleitet. An der Kreuzung Zeil/Seilerstraße kommen Polizist*innen aus der Grünanlage gerannt und versperren den Zugang zur Zeil. Einige Demonstrierende können noch durchkommen bevor sich die Polizeikette schließt. Ein Demonstrierender wird deshalb von Polizeibeamt*innen gejagt, getreten und fällt auf den Boden. Er wird wieder vor die Kette gezogen und am Kragen festgehalten. Aufgrund des Protestes der anderen Demonstrierenden wird er freigelassen.

(9) Um 12:00 Uhr findet die Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbunds statt. Die DGB-Demo beginnt vor dem Gewerkschaftshaus und soll bis zur Ecke Hanauer Landstraße/Sonnemannstraße führen. Die Demonstration muss allerdings aufgrund der Vorkommnisse vom Morgen vorher abgebrochen werden. Leider haben wir diese Demonstration nicht beobachtend begleitet.

(10) Auf dem Römer findet ab 14:00 Uhr die Hauptkundgebung statt. Trotz der Fokussierung der Berichterstattung auf die morgendlichen Ausschreitungen finden sich immer mehr Demonstrierende ein. Um 17:15 Uhr zieht der Demonstrationszug los. Letztlich ziehen ca. 20.000 Bürger*innen an einem Wochentag gegen die Politik der Troika, gegen die Verarmungspolitik gegenüber Griechenland, gegen ein Europa des Kapitals und der Austerität durch Frankfurt. Die Polizei ist omnipräsent und kontrolliert den gesamten Demonstrationsweg. Der Anfang des Demonstrationszuges wird nur locker von der Polizei begleitet. Andere Teile der Demonstration werden eng eingeschlossen. Alle Seitenstraßen sind polizeilich abgesperrt, so dass man die Demonstration nicht verlassen kann. In den engen Straßen wird das Gedränge teilweise unangenehm, wenn nicht gar bedrohlich empfunden.

Auf dem Opernplatz wird die Versammlung relativ schnell beendet. Danach zünden noch ein paar Leute Feuerwerkskörper und Fackeln. Die Polizei greift aber nicht ein, sondern filmt nur.


Anmerkungen:

[1] Zu den Ortsangaben siehe den Übersichtsplan am Ende des Dokuments [in der Broschüre oder in der PDF-Datei:
http://www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/BerichtBlockupy2015.pdf]

[2] Mit der Fünf-Finger-Taktik versuchen Demonstrationsgruppen polizeiliche Sperren flexibel zu umgehen. An polizeilichen Absperrungen fächert sich die Gruppe in kleinere Gruppen auf, wodurch auch Lücken in den Reihen der Polizei entstehen. Die Demonstrierenden versuchen, die Barrieren durch ein Hindurchgleiten zu überwinden. In Frankfurt waren mehrere Gruppen morgens zu den verschiedenen Absperrungen der EZB unterwegs.


Veröffentlichungen
  • Blockupy 2013 - Der Frankfurter Polizei-Kessel am 1. Juni 2013; Bericht zur Demonstrationsbeobachtung vom 30. Mai bis 1. Juni 2013; Hrsg.: Komitee für Grundrechte und Demokratie, 128 Seiten, 7,- Euro
    Und als pdf-Datei: http://www.grundrechtekomitee.de/node/617
  • Blockupy 2013 - The Frankfurt police encirclement on 1st of June, 2013:
    http://eihrc.org/newsboard/pressrelease/article-613
  • EZB: Potenzierter Hochsicherheitstrakt, In: Graswurzelrevolution Nr. 398, April 2015, und
    http://www.grundrechtekomitee.de/node/684
  • In English: http://www.grundrechtekomitee.de/start


[*] Der Bericht zur Demonstrationsbeobachtung kann als 12seitige Broschüre mit Fotos von Martin Singe und Elke Steven als PDF-Datei heruntergeladen werden unter:
http://www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/BerichtBlockupy2015.pdf

Gedruckte Exemplare können in der Kölner Geschäftsstelle (Adresse s.u.) bestellt werden.

*

Quelle:
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
http://www.grundrechtekomitee.de/node/689
Aquinostraße 7 - 11 | 50670 Köln
Telefon 0221 972 69 30 | Fax 0221 972 69 31
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2015

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