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NAHOST/007: Bagdad letzter Stein - nicht versprechen, Brote brechen ... (Civaka Azad)


Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.

Pressemitteilung vom 4. September 2014

Nach IS Angriffen: Die Lage der Flüchtlinge in KRG, Rojava und Nordkurdistan



Der Flüchtlingsstrom der EzidInnen, der am 03. August mit dem brutalen Angriff durch den Islamischen Staat (IS) auf Şengal/Sinjar begonnen hat, dauert weiter an. Die Zahl der Flüchtlinge steigt unaufhörlich von Tag zu Tag. Die Flüchtlinge, mehrheitlich kurdische EzidInnen, aber auch viele andere Volks- und Religionsgemeinschaften wie AssyrerInnen, Kakai-KurdInnen und TurkmenInnen, haben sich überwiegend zu Fuß auf den Weg in die sicheren kurdischen Gebiete des Iraks, Syriens und der Türkei begeben.

Südkurdistan/Nordirak: 850.000 Flüchtlinge

Die stellvertretende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Flavia Pansieri hat in einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtrats erklärt, dass der IS die Gebiete Ambar, Ninova, Selahaddin und Diyala unter seine Kontrolle gebracht habe. Dies bewirkte, dass über eine Millionen Menschen aufgrund der lebensbedrohlichen Lage für sie geflüchtet sind. Circa 850.000 dieser Flüchtlinge sind in Camps in der südkurdischen Autonomieregion (KRG) untergekommen.

Nordkurdistan/Südosttürkei: mehr als 26.000 geflüchtete EzidInnen

Die für die Aufnahme und Versorgung eingerichtete Kommission der Partei der Demokratischen Regionen (DBP) spricht von bisher über 26.000 EzidInnen, die die türkische Grenze überquert hätten (Stand: 02.09.2014). Im Camp im Zentrum von Şirnex/Şırnak, das für die Flüchtlinge aufgebaut wurde, seien 1.500, im Lager einer Baufirma 2.500 und in Parks und Wohnungen der dort lebenden Bevölkerung 5.200 Flüchtlinge untergebracht und weitere 5.000 in Qilaban/Uludere.

Den êzidischen Flüchtlingen, die nach tagelangem Märschen die Grenze zu Nordkurdistan/Sürdosttürkei erreichten, wurde anfangs nicht erlaubt die Grenze zu passieren, da diese keine gültigen Pässe vorzuweisen hatten. Nach tagelangem Warten wurde das Passieren der Grenze vom türkischen Staat erlaubt. Die Flüchtlinge wurden im Dorf Roboski, zugehörig zum Kreis Qileban in der Provinz Şirnex, von der dort lebenden Bevölkerung empfangen und versorgt. Doch da der Strom der Flüchtlinge nicht abriss, sondern stetig zunahm wurden die EzidInnen zuerst im Zentrum von Şirnex und in anderen Bezirken der Provinz untergebracht. Als auch deren Kapazitäten ausgeschöpft waren, wurden sie nach Sêrt/Siirt, Elih/Batman, Mêrdîn/Mardin und Amed/Diyarbak ır gebracht.

Gefahr von Infektionskrankheiten wächst

Lokale Hilfsorganisationen aus der Region berichten aus den Flüchtlingscamps, dass das größte Problem die Hygiene sei. Da bei den wenig vorhandenen Toiletten und Duschen keine Hygiene gewährleistet werden könne, bestehe eine hohe Gefahr an Infektionen zu erkranken. Zudem mangelt es in den Flüchtlingslagern auch an medizinischem Material.

Rojava/Nordsyrien: mehr als 700.000 Flüchtlinge

"Aktuell sehen wir uns mit noch größeren Flüchtlingsströmen nach Rojava konfrontiert. Denn hunderttausende Kurden aus Şengal, Turkmenen aus Tal Afar und Suryoye aus Karakosch mussten ihre Heimat im Norden des Iraks notgedrungen verlassen. Auch sie waren und sind den Angriffen der menschenverachtenden Organisation 'Islamischer Staat' ausgesetzt. Da diese Gruppen über keine Selbstverteidigungseinheiten verfügten, konnten sie den Angreifern auch wenig entgegen setzen. Ihnen blieb also nichts anderes übrig als zu flüchten oder sich der Gefahr auszusetzen, massakriert zu werden", erklärte Saleh Moslem Mohamed, der Kovorsitzende der PYD, in seinem Offenem Brief anlässlich des Weltfriedenstages am 1. September. Neben den hunderttausenden Flüchtlingen aufgrund des seit drei Jahren andauernden Krieges in Syrien, ist Rojava nun mit einem neuen Flüchtlingsstrom aus dem Gebiet Şengal konfrontiert. Die Flüchtlinge von dort wurden in die Gebiete Derîk, Girkê Legê und Tirbespiyê untergebracht. Während in den Gebieten Tirbespiyê und Girkê Legê die Flüchtlinge in ezidische Dörfer untergebracht werden, ist in Derîk das für den syrischen Bürgerkrieg gebaute Flüchtlingscamp die Unterbringungsstelle. Innerhalb von 10 Tagen nach dem IS Angriff aus Şengal sind mehr als 100.000 EzidInnen über den von der YPG und HPG gesicherten Korridor nach Rojava geflohen.

Trotz der unaufhörlichen Angriffe auf die demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava und dem ökonomischen Embargo, hat Rojava seit Beginn des Kriegs in Syrien bis heute 700.000 Flüchtlinge aufgenommen. In dem Kanton Efrîn/Afrin befinden sich ca. 500.000 Binnenflüchtlinge, im Kanton Kobanê ca. 100.000 und in Cizrê mehr als 100.000 Flüchtlinge. In allen drei Kantonen mangelt es an wichtigen Medikamenten, Trinkwasser und Nahrungsmitteln sowie Unterkünften.

Solidaritätsaufruf von DTK, HDP und DBP

Am 02. September haben die Kovorsitzenden des Demokratischen Gesellschaftskongresses (DTK), die Demokratische Partei der Völker (HDP) und die DBP in Diyarbakir eine gemeinsame Pressekonferenz zu den Ereignissen in Şengal und Rojava veranstaltet. Darin wurde auf die Verantwortung der türkischen Regierung verwiesen. "Wenn die Regierung uns die kommunalen Steuern überlassen würde, könnten wir den Problemen Herr werden. Wir rufen nochmals die [türkische] Regierung zum Bau von Flüchtlingscamps auf. Es gab das Versprechen der Türkei den Bau von Flüchtlingscamps in Duhok und Zaxo zu unterstützen; doch es gab noch keinen einzigen Schritt in diese Richtung", erklärte der Kovorsitzende der HDP Selahattin Demirtaş.

Nilüfer Koç, Kovorsitzende des Kurdistans Nationalkongresses KNK, die sich derzeit in der Hauptstadt der KRG Hewlêr (Erbil) befindet, ruft zur internationalen Solidarität auf. "Angesichts der prekären Situation der Bevölkerung in Südkurdistan/Nordirak und Rojava bedarf es unverzügliche Hilfeleistung. Die international geleistete humanitäre Hilfe sollte schleunigst angesichts des anstehenden Winters und den entsprechenden Witterungsbedingungen ausgeweitet werden. Die Hilfeleistungen sind besser zu koordinieren. Dabei gilt es sämtliche Akteure miteinzubinden. Zudem muss der internationalen Druck gegen die Türkei, welche die Zufuhr von internationalen Hilfsgütern nach Rojava und Südkurdistan willkürlich behindern, erhöht werden", so die Worte von Frau Koç.

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Quelle:
Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2014