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GAZA/076: Waffengang und Widerstand - Bomben treffen jeden ... (medico international)


medico international

Israelische Bombardements fordern weitere unschuldige Opfer

Trauer um betagte Eltern von Issam Younis, Direktor und Gründer des Menschenrechtszentrums Al Mezan

von Riad Othman, 21. August 2014



Es ist noch keine zwei Wochen her, dass medico seiner Partnerorganisation, dem Menschenrechtszentrum Al Mezan im Gazastreifen kondolieren musste: Am 10. August wurde deren Mitarbeiter Anwar al Za'aneen durch eine israelische Drohne getötet, als er beschädigte Wasserleitungen an seinem Wohnhaus inspizierte. Anwar wurde 41 Jahre alt.

Issam Younis, der Direktor von Al Mezan, und seine Kolleginnen und Kollegen hatten kaum Zeit, den Verlust ihres Kollegen zu verwinden. Heute hat uns aus Gaza die Nachricht erreicht, dass Issams 79-jähriger Vater und seine Stiefmutter letzte Nacht bei einem israelischen Angriff in Rafah getötet wurden. Mehrere Familienmitglieder, darunter Brüder Issams und deren Familien, wurden verletzt, als gegen 2:30 Uhr sein Elternhaus in Rafah bei einem israelischen Angriff getroffen wurde.

Nach dem Tod seines Kollegen Anwar hatte Issam sein Profilbild auf Facebook geändert: Es zeigt seither im Andenken an den Getöteten das Bild des mehrfachen Familienvaters, der eine Frau und fünf Kinder hinterließ. Doch wie viele Menschen soll Issam noch betrauern, wie vielen Hinterbliebenen Trost spenden, wie vieler Freunde und Angehöriger gedenken, bis dieser Wahnsinn ein Ende findet? Es ist für mich schwer vorstellbar, wo Leute wie er und sein Kollege Mahmoud Aburahma und die vielen anderen in Gaza ohne Namen jeden Tag die Kraft hernehmen, um mit ihrer Menschenrechtsarbeit weiter zu machen, um sich nicht geschlagen zu geben, um medizinische Hilfe zu leisten oder sich um intern Vertriebene zu kümmern, wie es die drei medico-Partnerorganisationen im Gazastreifen seit mehreren Wochen tun.

Wahnsinn. Das war genau das Wort, das Majeda Al Saqqa von der Culture & Free Thought Association (CFTA) in Khan Younis schon vor zwei Jahren verwendete, um die Situation im November 2012 während der Operation Wolkensäule zu beschreiben. "Ich will nur, dass dieser Wahnsinn aufhört," sagte sie mir damals. Bei unserem letzten Telefonat sprach sie wieder vom Wahnsinn, fassungslos und ermattet, aber nicht dazu bereit, sich der Resignation hinzugeben. CFTA kümmert sich um intern Vertriebene in Khan Younis, die durch andere Versorgungsnetze, wie das der UNRWA, fallen, weil sie nicht in den "offiziellen" Massennotunterkünften untergebracht sind. Das ist eine große Verantwortung, die nicht nur auf den Schultern lastet, sondern einen dazu zwingt, dass man sich aufrecht hält - dem Schlafmangel wegen des nächtlichen Beschusses und der Ungewissheit zum Trotz, die zu einer fast ständigen Begleiterin geworden ist.

Der Wahnsinn scheint sich also nicht zu ändern. Genau genommen, bleibt er aber gar nicht gleich, sondern wird schlimmer. Das Ausmaß der Zerstörung und die Zahl der Menschen, die im Gazastreifen bislang sterben mussten oder durch israelische Angriffe verletzt und verstümmelt wurden, waren noch nie so hoch. Wenn es 2012 Wahnsinn war, was ist es dann jetzt? Weil die Tatsache, dass ausgerechnet Anwar Al Za'aneen getötet wurde, der als Menschenrechtsverteidiger arbeitete, dass im Fall von Issam Younis die Familie eines Mannes angegriffen wurde, der sich mit der Arbeit seiner Organisation seit Jahren nicht nur für die Menschenrechte, sondern unter und trotz der Herrschaft der Hamas unerschrocken auch für die Verteidigung der Bürgerrechte im Gazastreifen eingesetzt hat, gegen Autoritarismus und religiösen Radikalismus, weil diese Tatsache so vieles auf einmal ist, fällt die Begriffsbestimmung nicht leicht: traurig, ungerecht, sinnlos, tragisch? Das Ringen nach den richtigen Worten ist im Angesicht der mittlerweile auch persönlich erlittenen Verluste bei unseren Partnern überwältigt. Was bleibt, sind die wenigen Worte des Beileids am Telefon und betroffenes Schweigen.

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2014