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GAZA/026: Gaza's ägyptische Hoffnung (Vera Macht, ISM)


International Solidarity Movement (ISM) - 12. Februar 2011

Gaza's ägyptische Hoffnung


Als die Nachricht vom Sturz Mubaraks kommt, strömen die Menschen Gazas ausgelassen auf die Straßen. Sie feiern den Sieg, sie feiern die ägyptische Revolution, die zum Symbol ihrer eigenen Ambitionen geworden ist. Ein Volk vereint im Kampf gegen den verhassten Diktator, die Stärke einer Gemeinschaft, die schließlich zum Erfolg geführt hat. Wer hätte das geglaubt, vor ein paar Wochen. Und das ist es, was den Menschen Gazas neue Hoffnung gegeben hat, an einem Fleckchen Erde, wo Hoffnung schwer zu finden ist.

Dabei hätte man meinen können, die Revolution würde das Gegenteil auslösen, hier in Gaza. Als die Unruhen begannen, wurde der Grenzübergang von Ägypten zu Gaza augenblicklich geschlossen. Niemand weiß bis jetzt, wann oder ob er wieder öffnen wird, die große Angst ist, dass er wieder unter israelische Kontrolle fällt. Zahlreiche Palästinenser sitzen auf ägyptischer Seite fest, für Dutzende in Gaza ist die erwartete Ausreise in weite Ferne geglitten. Menschen die dringend für medizinische Versorgung, die hier nicht möglich ist, ins Ausland müssen, Studenten mit Visa für die lang ersehnte Freiheit.

Und das Leben in Gaza ist härter geworden. Mit dem Grenzübergang schlossen auch alle Tunnel. Israel hatte nach der Attacke auf die Mavi Marvera zwar medienwirksam angekündigt, die Blockade gelockert zu haben, in der Realität hieß das allerdings, dass zwar die Bandbreite der Produkte stieg, dafür aber die Quantität fiel. Das hatte zur Folge, dass es nun auch israelische Chips in den Supermärkten gibt, Weizenmehl jedoch oft bedrohlich knapp wird. Doch der Mensch von heute braucht mehr als Brot, um am Leben zu bleiben, und vor allem mehr um menschenwürdig am Leben zu bleiben. Dies scheint der fast zynische Diskurs darüber, ob die Menschen Gazas verhungern würden, vollkommen außer Acht zu lassen. Und so bedeutet das Schließen der Tunnel zum Beispiel, dass seit dem kein neues Benzin nach Gaza hinein gekommen ist. Die Schlangen vor den Tankstellen sind endlos, und die die erfolglos nach Hause gehen, halten ihr Auto mit Küchenöl am Laufen. Jeden Tag, wenn der Strom ausfällt, der normalerweise durch dutzende von qualmenden und lauten Generatoren ersetzt wird, bleibt es nun still. Gaza sitzt im Dunkeln.

Doch da auch das Licht des Medieninteresses von Gaza nach Ägypten gewandert ist, scheint Israel die Chance für Angriffe zu sehen, die das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte als "rücksichtslose Angriffe auf ziviles und humanitäres Eigentum" bezeichnet hat, denen mit einer "verschwörerischen Stille der Weltöffentlichkeit" begegnet wird. In der Nacht vom 8. zum 9. Februar flog das israelische Militär Luftangriffe auf Gaza, bei denen zehn Menschen verletzt wurden, darunter zwei Frauen und ein Kind. Eine der Bomben schlug östlich von Gaza-Stadt in eine Holzfabrik, das Feuer zerstörte etliche Klassenräume der angrenzenden Nour Al-Maaref Schule, sowie einige Geschäfte und Familienhäuser. Doch am härtesten traf die Menschen Gazas, dass auch ein Medikamentenlager des Gesundheitsministeriums durch den Angriff in Flammen aufging. Medizin, die von internationalen Delegationen gespendet wurde, wurde zerstört, was den derzeit bedrohlichen Medikamentenmangel noch weiter verschlimmert hat.

Doch wenn man glaubt, dass all das die Menschen Gazas davon abhalten würde zu hoffen, dann hat man sich getäuscht. Selten war die Stimmung auf Gazas Straßen so euphorisch. Und es ist nicht nur die Hoffnung darauf, dass ein neues Ägypten auch eine neue Politik gegenüber Gaza einschlagen würde, während es bis jetzt durch seine Grenzpolitik Gaza gleichsam in ein Gefängnis verwandelt hat.

Es ist viel eher die leise Hoffnung, dass der Funke der Revolution auch nach Gaza überschlägt, die vor allem die Jugend hier ergriffen hat. Auf Facebook und Twitter werden die neusten Meldungen über die Ereignisse ausgetauscht, und die Helden der Revolution gefeiert, als ob sie die eigenen Helden wären. Doch die Ägypten-Solidaritätsdemonstration einiger Jugendlicher wurde mit Stärke von der Hamas-Regierung niedergeschlagen, die Besorgnis der arabischen Herrscher hat auch nach Gaza übergeschlagen. Nicht dass die Fatah Regierung mit den Demonstranten in Ramallah anders verfahren wäre. "Das einzige, worin sich die Palästinensischen Parteien gerade einig sind", sagte Marwan Barghouti, ein gefeierter palästinensischer Politiker, "ist die Unterdrückung der Menschenrechte ihres eigenes Volkes". Und so wissen die Jugendlichen gar nicht, gegen wen sie als erstes rebellieren sollen. Angst vermischt mit Unsicherheit, keine gute Ausgangslage für eine Revolution.

Doch die Menschen Gazas wären nicht die Menschen Gazas, wenn sie sich von so etwas ihre Freude und ihren Überlebenswillen nehmen lassen würden. Heute ist Mubarak gefallen, heute feiern sie auf den Straßen, und wenn Ägypten das Unmögliche schafft, allein durch die Kraft der Gemeinschaft, dann kann Gaza das auch. Zumindest in diesem Moment, inmitten der Menschenmenge auf Gazas Hauptstraße, hat man da keinen Zweifel daran.


Vera Macht lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen.


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Quelle:
ISM - International Solidarity Movement
Bericht von Vera Macht, Gaza - 19. Januar 2011
Telefon: 00972597355082
E-Mail: vera.macht@uni-jena.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2011