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SCHULE/639: Die Verbindungslücke (DJI)


DJI Bulletin 3/2010, Heft 91
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Die Verbindungslücke
Externe Partner organisieren in Ganztagsschulen vielfältige Angebote. Der Brückenschlag zum Unterricht gelingt allerdings noch zu selten.

Von Bettina Arnoldt


Durch die Ausweitung von ganztägigen Angeboten greift die Schule stärker als bisher in die Freizeit von Kindern und Jugendlichen ein. Der verlängerte Schultag reduziert die freie Zeit von Ganztagsschülerinnen und -schülern für andere Aktivitäten, was in der Folge negative Auswirkungen auf außerschulische Akteure (etwa Sportvereine, Musikschulen) haben kann, die Angebote für Kinder und Jugendliche am Nachmittag organisieren. Hierauf können außerschulische Akteure aber reagieren, indem sie die Ganztagsschule selbst als ein neues Arbeitsfeld betrachten.

Gleichzeitig hat ein hoher Anteil von Schulen Interesse daran, dass außerschulische Akteure Angebote im Rahmen ihres Ganztagsbetriebs durchführen. Denn Ganztagsschule bedeutet in der Regel nicht, dass den ganzen Tag unterrichtet wird. Vielmehr wird der herkömmliche schulische Alltag erweitert um Angebote wie Hausaufgabenbetreuung und Förderung, fächerübergreifendes Lernen und Projektarbeit sowie Freizeitangebote. Dieses umfassende Programm kann nicht immer allein von Lehrkräften organisiert werden, da für viele dieser Ganztagsangebote andere Kompetenzen und Qualifikationen des Personals benötigt werden, als Lehrkräfte sie in der Regel erworben haben.

Wie sich die Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischen Partnern entwickelt und unter welchen Bedingungen die Kooperation von Schule und außerschulischen Akteuren gelingt, war ein Fragengebiet, dem die bundesweite Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) nachgegangen ist. Hierfür wurden Schulen und ihre Kooperationspartner dreimal im Abstand von je zwei Jahren zu ihrer Zusammenarbeit schriftlich befragt. Mithilfe der nun vorliegenden Daten aus allen Erhebungswellen sind die Auswirkungen des Ausbaus der Ganztagsschule auf Vereine und andere außerschulische Organisationen darstellbar. Außerdem kann die Entwicklung der Kooperationsbeziehungen nachgezeichnet werden. Dabei gilt nicht nur die Vielfalt der Angebote als Qualitätsmerkmal für den Ganztagsbetrieb, sondern auch deren konzeptionelle Verbindung mit dem Unterricht.


Ganztagsschulen bauen Kooperationen aus

Die Befürchtung, dass Jugendliche aufgrund ihrer Teilnahme an Ganztagsangeboten weniger außerschulische Angebote wahrnehmen, kann auf Basis der Angaben der Schülerinnen und Schüler nur eingeschränkt bestätigt werden. Generell besuchen rund 15 Prozent der Befragten regelmäßig einen Jugendtreff oder ein Jugendzentrum. Im Vergleich zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern von Ganztagsangeboten zeigt sich, dass Ganztagsschülerinnen und -schüler zu Beginn der Erhebung (Alter: zirka elf Jahre) deutlich öfter einen Jugendtreff besuchen. Im Verlauf der Zeit bleibt ihr Wert stabil, während die Häufigkeit des Besuchs eines Jugendtreffs bei Halbtagsschülerinnen und -schülern kontinuierlich ansteigt und zum letzten Erhebungszeitpunkt (zirka 15 Jahre) auf dem Niveau der Ganztagsteilnehmer liegt. Fragt man nach dem Besuch von Jugendgruppen eines Verbands oder Vereins, so gibt es zu keinem Erhebungszeitpunkt Unterschiede zwischen Ganztagsteilnehmern und Nicht-Teilnehmern.

Bei Sportvereinen sieht es allerdings etwas anders aus: Mit zunehmendem Alter bleiben die Jugendlichen dem Sportverein nach und nach fern, unabhängig von ihrer Teilnahme an Ganztagsangeboten. Zu allen drei Erhebungszeitpunkten ist jedoch der Anteil derer, die im Sportverein aktiv sind, bei Ganztagsteilnehmern niedriger als bei Nicht-Teilnehmern. In Bezug auf politische Jugendorganisationen, Kirchengemeinden oder kirchliche Gruppen ergeben sich keine bedeutenden Unterschiede. Zumindest für Sportvereine und Teile der Jugendhilfe (wie etwa die offene Jugendarbeit) besteht nach den Ergebnissen der Befragungen also durchaus Handlungsbedarf, wenn sie ihre Zielgruppen weiterhin erreichen wollen. Es schließt sich die Frage an, ob sie entsprechende Kooperationen mit Schulen eingehen.

Bereits im Jahr 2007 konnte gezeigt werden, dass externe Partner generell für die Entwicklung von Ganztagsschulen eine große Rolle spielen. Über den gesamten Erhebungszeitraum nahm ihre Bedeutung weiter zu: Der Anteil der Schulen, die mit außerschulischen Partnern zusammenarbeiten, stieg deutlich von 72 auf 83 Prozent. Auch die durchschnittliche Anzahl von Partnern pro Schule nahm von 3,7 auf 5,7 zu. In der Zusammensetzung der Kooperationspartner, die mit Ganztagsschulen zusammenarbeiten, hat sich dagegen kaum etwas geändert. So ändert sich das Verhältnis zwischen öffentlichen, frei-gemeinnützigen und gewerblichen Anbietern nicht. Die Kooperationspartner von Schulen setzen sich aus rund 60 Prozent frei-gemeinnützigen, 23 Prozent öffentlichen und 17 Prozent gewerblichen Anbietern zusammen.

Nach wie vor sind es vor allem die Kinder- und Jugendhilfe und Sportvereine, die vorrangig Ganztagsangebote durchführen. Zusammengefasst bedeutet das, dass die Erhöhung der Kooperationen nicht zu Lasten einer bestimmten Gruppe von außerschulischen Akteuren geht. Die Ganztagsschulen setzen also nicht auf ein Mehr an einer bestimmten Kooperation, beispielsweise aus dem Bereich der Prävention, sondern bleiben bei der bereits 2005 vorhandenen Zusammensetzung.


Externe Partner profitieren von der Arbeit an Schulen

Ganztagsschulen kooperieren zwar mit einer großen Anzahl von Sportvereinen, der einzelne Sportverein ist jedoch in einer Schule durchschnittlich nur mit einem geringen Stundenumfang vertreten. Dies ändert sich auch nicht im Verlauf der Zeit. Die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt betrachtet hat dagegen einen hohen Stundenumfang pro Schule, wobei aber große Unterschiede zwischen den einzelnen Handlungsfeldern bestehen: Jugendämter und die Jugendsozialarbeit decken einen großen Anteil des Ganztagsangebots ab, die offene Jugendarbeit bietet hingegen kaum mehr Angebote in den Schulen an als die Sportvereine. Auch hier sind keine signifikanten Veränderungen über die Zeit festzustellen. Das bedeutet, dass die außerschulischen Akteure, die bisher eher negative Erfahrungen durch den Ausbau von Ganztagsschule gemacht haben, randständige Kooperationspartner in Bezug auf den Angebotsumfang sind und bleiben.

Dennoch brachte die Kooperation mit Ganztagsschulen für externe Partner Vorteile: Die Sportvereine berichten zum ersten Befragungszeitpunkt, dass sie durch die Kooperation mehr Kinder und Jugendliche für ihre Angebote außerhalb der Schule gewinnen konnten. Vier Jahre später, bei der dritten Erhebung, hat sich dieser Effekt zwar gelegt. Das lässt sich jedoch mit dem generell zu beobachtenden Zusammenhang erklären, dass mit steigender Dauer der Kooperationsbeziehung die wahrgenommenen Veränderungen abnehmen. Für die offene Jugendarbeit lässt sich festhalten, dass diese durch ihr Engagement an Ganztagsschulen vor allem neue Zielgruppen für ihre außerschulischen Angebote gewinnt, nicht jedoch mehr Kinder und Jugendliche. Dies ist insofern ein Erfolg für die offene Jugendarbeit, da das Erreichen neuer Zielgruppen einer ihrer wichtigsten Beweggründe für das Eingehen einer Kooperation mit der Ganztagsschule ist.


Schule und Partner stimmen sich zu wenig ab

Dass die externen Partner Gewinn aus der Zusammenarbeit mit der Schule ziehen, ist nur ein Aspekt der Erwartungen an die Kooperation. Mindestens genauso wichtig ist es, dass das Angebot gewissen Qualitätskriterien entspricht, wie etwa der Durchführung des Angebots durch qualifiziertes Personal (Steiner 2010), der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler (Arnoldt 2009) und der Verbindung von Ganztagsangebot und Unterricht. Auf den letzten Aspekt wird im Folgenden beispielhaft eingegangen, da hier deutlich wird, dass die Intensität, mit der ein Partner sich am Ganztagsprogramm einer Schule beteiligt, einen Einfluss auf die Möglichkeiten der Ausgestaltung der Kooperation hat. Insgesamt zeigen nach wie vor etwa 60 Prozent der Angebote von Kooperationspartnern keinerlei Verbindung zum Unterricht auf. Die anderen 40 Prozent können Bestandteil des Unterrichts sein, im Unterricht vor- und nachbereitet oder thematisch auf ihn abgestimmt sein. Dieses Verhältnis hat sich bislang nicht verbessert.

Analysiert man, welche Bedingungen überhaupt zu einer Verbindung von Angebot und Unterricht führen, ist das Formulieren einer gemeinsamen pädagogischen Konzeption stärkstes Merkmal. Dieses Vorgehen lohnt sich offenbar nur, wenn der Partner eine gewisse Bedeutung für das Ganztagsprogramm hat. Denn es zeigt sich, dass durchschnittlich erst ab einem Engagement von zehn Wochenstunden irgendeine Form der Verbindung von Angebot und Unterricht realisiert wird. Beobachtet man diesen Qualitätsaspekt im Verlauf der Zeit, so wird auch deutlich, dass es sich nicht um einen stabilen Zustand einer Kooperation handelt: Nur bei einem Fünftel der Kooperationen, die über den gesamten Befragungszeitraum vorhanden waren, lag dauerhaft eine Verbindung ihrer Angebote mit dem Unterricht vor. Bei gut einem Drittel standen Unterricht und Angebot dauerhaft in keinem Zusammenhang, und bei 40 Prozent gab es im Laufe der Zeit Wechsel zwischen den Formen der Kooperation.


Für qualitative Verbesserungen fehlen Ressourcen

Die Verbindung von Angebot und Unterricht ist ein Qualitätskriterium von Kooperation, das aufgrund seines hohen Aufwands an Absprache nicht leicht zu realisieren ist. Um pädagogisch tätiges Personal an der Planung, Gestaltung und Entwicklung des Ganztags stärker zu beteiligen, benötigen Schulen und Kooperationspartner personelle Ressourcen und zeitliche Perspektiven. Dies sollte in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Aus demselben Grund ist dieser Aspekt aber auch nicht für jede Kooperation sinnvoll. So wünschenswert und notwendig die Abstimmung bei vielen Angeboten (etwa bei Förderangeboten, fachnahen Angeboten) auch sein mag, andere Angebote funktionieren gut als in sich geschlossene Projekte, die sich bewusst vom Unterricht abgrenzen. Es sollte nicht vergessen werden, dass im Alltag der Schülerinnen und Schüler ebenso Aktivitäten eine Rolle spielen sollten, die einen Gegenpol zum Unterricht darstellen und die ihnen freien Raum zur Entfaltung lassen.


Bettina Arnoldt ist seit 2004 wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut und dort Mitarbeiterin in StEG (Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen). Ihre Auswertungsschwerpunkte bei der Studie liegen auf den Themenbereichen Kooperation von Schule mit außerschulischen Partnern und Partizipation. Zuvor war die Diplom-Pädagogin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München Projektmitarbeiterin der Studie »QuaSSU« (Qualitätssicherung in Schule und Unterricht) und am Bildungsbericht beteiligt.
Kontakt: arnoldt@dji.de


Literatur
Arnoldt, Bettina (2009): Der Beitrag von Kooperationspartnern zur individuellen Förderung an Ganztagsschulen. In: 54. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim/Basel, S. 63-80

Steiner, Christine (2010): Multiprofessionell arbeiten im Ganztag: Ideal, Illusion oder Realität? In: Der pädagogische Blick, Heft 1/2010, S. 22-36


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 3/2010, Heft 91, S. 11-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2010