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SCHULE/632: Schulbesuch für alle? - Umsetzung für Kinder ohne Papiere (Der Schlepper/Pro Asyl)


Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL

Schulbesuch für alle?

Das Menschenrecht auf Bildung und seine praktische Umsetzung für Kinder ohne Papiere

Von Kirsten Eichler


Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung", so heißt es in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. In Deutschland gilt dieses Menschenrecht jedoch nicht für alle Menschen. So wird Kindern, die in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität leben, der Schulbesuch und damit der Zugang zu Bildung in vielen Bundesländern erschwert, zum Teil gar unmöglich gemacht. Die Schulpflicht und -zugangsbedingungen sind in den jeweiligen Landesschulgesetzen geregelt. Ein Blick auf die Ländergesetzgebung zeigt, dass die Regelungen zum Schulbesuch von Kindern ohne Papiere in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich und in vielen Fällen Auslegungssache sind. Während Kinder in Berlin und Hessen ein Schulbesuchsrecht haben, sehen die Schulgesetze in Bayern, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland eine Schulpflicht für ausreisepflichtige Kinder vor. In der schulrechtlichen Praxis bleibt jedoch unklar, ob damit sowohl geduldete Kinder als auch Kinder ohne aufenthaltsrechtlichen Status gemeint sind.


Hindernisse auf Bundesebene

Neben einer Aufnahme des Schulrechts von statuslosen Kindern in die Landesschulgesetze bedarf es auf Bundesebene einer Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Schließlich stellt das größte Hindernis die Übermittlungspflicht des 87 Abs. 2 AufenthG dar. Danach sind Schulen verpflichtet, die Ausländerbehörde zu informieren, "wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben" Kenntnis von einem illegalen Aufenthalt erlangen. Durch den Schulbesuch läuft so unter Umständen eine ganze Familie Gefahr, dass ihr undokumentierter Aufenthalt entdeckt wird.

Die Politik ist sich dieser Misslage durchaus bewusst. Bereits seit einigen Jahren sprechen sich Politiker und Politikerinnen aller Parteien für ein Recht auf Bildung für Kinder ohne Papiere aus. Eine bundesweit einheitliche, juristisch verbindliche Regelung zum Schulbesuch dieser Kinder gibt es jedoch bis dato nicht. Es bleibt zu hoffen, dass sich mit den Koalitionsvereinbarungen von CDU/CSU und FDP diesbezüglich noch in dieser Legislaturperiode etwas ändern wird. So sieht der Koalitionsvertrag vor, die Mitteilungspflicht dahingehend zu ändern, dass ein Schulbesuch der Kinder ermöglicht wird.


Möglichkeiten auf Landesebene

Bis dahin liegt es in der Hand der Länder, den Schulbesuch für Kinder ohne Papiere zu ermöglichen. Durch Erlasse, wie sie bereits in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin existieren, können zugangsbeschränkende Aufnahmebedingungen wie z. B. das Erfordernis einer Meldebescheinigung und/oder eines Aufenthaltspapiers, sowie die Erhebung sonstiger aufenthaltsrechtlicher Daten untersagt werden. Schulleitungen können dann im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben keine Kenntnis über einen illegalen Aufenthalt erlangen und sind somit nicht mitteilungspflichtig. Kinder ohne Papiere können deswegen ohne Angst vor Entdeckung ihrer aufenthaltsrechtlichen Illegalität die Schule besuchen.

Diese Erlasse sind Signale in die richtige Richtung. Was es jedoch braucht, um einen angst- und diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung auf Bundesebene zu schaffen, ist eine bundesweite Rechtsgarantie. Solange Familien bei Schulbesuch immer noch die Aufdeckung der "Illegalität" und somit die Abschiebung befürchten müssen, ist das Menschenrecht auf Bildung in der Praxis nicht verwirklicht.


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Quelle:
Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52, S. 15
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL
http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2010__ab_April_/TdF2010_Homepageversion.pdf
Herausgeber: PRO ASYL - Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
Postfach 160624, 60069 Frankfurt/M.
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Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2010