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SCHULE/622: Warum Lösungsversuche auf Bundesländerebene nicht taugen (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum 1/2010 - Universität Bayreuth

WEGE AUS DER KRISE
Schule in der Krise
Warum Lösungsversuche auf Bundesländerebene nicht taugen

Von Ludwig Haag


Seit den PISA-Ergebnissen sind die Leistungen der deutschen Schüler und damit auch die Schule der Kritik ausgesetzt. Hier soll gezeigt werden, dass Besserung noch nicht in Sicht, dass eine Krisenbewältigung auch ein Politikum ist.


In der ZEIT vom 18. 3.2010 geht es in einem Artikel um die derzeit medial inszenierten und boomenden Krisen und deren Überwindung. Die Rede ist vom Restauranttester oder Schuldenberater in den Doku-Soaps, wobei hier die Dramaturgie auf drei Akte festgelegt ist: vor der Krise/in der Krise/nach der Krise. Zu schön wäre es, dieses Szenario auch auf die bisherige Nach-PISA Zeit anwenden zu können.

Ein "vor der Krise" im deutschen Schulystem war nicht auszumachen. Selbstgefällig waren Bildungspolitiker wie auch Schulleute davon überzeugt, dass die deutsche Schule eine der besten der Welt sei. Die schulstrukturellen Debatten der 70er Jahre, welcher Schultyp wohl der beste sei, schienen überwunden. Seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse Ende 2001 war eine Unterrichtskrise in Deutschland ausgemacht. Schnell wurden unterrichtliche Defizite und schulische Unzulänglichkeiten genannt:

1) Der deutsche Unterricht sei
• zu inhaltsbezogen, zu wenig verständnisintensiv;
• zu leistungsbezogen, zu wenig lernorientiert;
• zu wissensbezogen, zu wenig nutzungsorientiert.

Zu sehr dominiere der Frontalunterricht, schülerzentrierte Unterrichtsmethoden seien eher die Ausnahme. Schuld daran seien u.a. die überalteten Lehrerkollegien, die z. T. ausgebrannten oder auch falsch ausgebildeten bzw. fortbildungsresistenten Lehrkräfte.

2) Auch wurden wieder längst geglaubte überwundene bildungs- und schulorganisatorische Zankäpfel ausgegraben, wie die defizitäre Vorschulerziehung, in der zu viel gespielt, zu wenig gelernt werde, oder die Dreigliedrigkeit des Schulsystems, in dem die Schüler zu früh und relativ endgültig auf Schulformen verteilt würden, oder dass es sich nun rächt, nicht genügend Ganztagsschulen aufgebaut zu haben.

3) Generell wurde die deutsche Gesellschaft hinterfragt. So seien die Bildungsausgaben in Deutschland gerade noch durchschnittlich, was zu große Klassen zur Folge habe. Im Zuge des Wertewandels regiere der Spaß, Anstrengung gelte als uncool. Plakativer geht folgendes Zitat nicht mehr: "Alles sieht fern, keiner spricht, niemand liest"!!!

Es sollen hier nicht all die Aktivitäten, die im Zuge der PISA-Ergebnisse initiiert wurden und werden, klein geredet werden. Die Bedeutung vorschulischer Bildung wird heute klarer gesehen. Eine sprachliche Förderung der Kinder und Jugendlichen mit Migrationhintergrund wird umgesetzt. Doch eines fällt auf, zwischen beschreibender Diagnose der Krise und Ursachenfindung wurde nicht immer sauber getrennt. Bei den Ergebnissen fühlte sich jeder in seiner bisherigen Ansicht bestätigt, nach dem Motto, was ich schon immer gewusst habe. Und eine solche Ursachenfindung trägt nicht gerade zu einem glückenden Krisenmanagement bei.

Ich möchte dies an einem Punkt festmachen, wie im Sinne gängiger PISA-Rhetorik Bildungspolitiker argumentierten: Es geht um den wieder entfachten Streit um das bessere Schulsystem. Die süddeutschen Länder, die ja bekanntlich in allen Erhebungen besser abgeschnitten haben, setzen auf Dreigliedrigkeit und damit frühe Selektion. Schule ist eine Halbtagsschule mit der nachmittäglichen Ergänzung der Hausaufgaben. In Zahlen ausgedrückt gibt es in Süddeutschland heute noch etwa doppelt so viele Hausaufgaben wie in Norddeutschland. Doch hieraus abzuleiten, das Schulsystem in Bayern sei insgesamt effektiver, greift zu kurz. Ungeprüft bleiben andere Kosten, beispielsweise sind die bayerischen Gymnasiasten Spitzenreiter bei den Sitzenbleibern. Demgegenüber steht das System der norddeutschen Bundesländer, das seit 30 Jahren auf Gesamtschulen, offenen Unterricht und soziales Lernen setzt. Diese Form von Unterricht lässt weniger Raum für Übphasen, ohne die aber ein nachhaltiger Wissenserwerb nicht möglich ist.

In der Diskussion der Krisenbewältigung wäre es nun sinnvoll, Nutzen und Kosten der unterschiedlichen Systeme offen aufzuzeigen. Ein "nach der Krise" bedarf einer öffentlichen Auseinandersetzung, die über die Grenzen der Bundesländer in Deutschland reichen sollte, weil die diagnostizierte Krise unseres Schulsystems eine ist, die nicht mit kleinstaatlichen Lösungen auf Bundesländerebene bewältigbar ist.

Professor Dr. Ludwig Haag ist Professor für Schulpädagogik an der Universität Bayreuth.


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Quelle:
spektrum 1/2010, S. 39
Herausgeber: Der Präsident der Universität Bayreuth
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"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2010