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REDE/058: Schavan zum Bundesbericht Forschung und Innovation, 10.06.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, zum Bundesbericht Forschung und Innovation vor dem Deutschen Bundestag am 10. Juni 2010 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Im Bundesbericht Forschung und Innovation 2010 wird mit Blick auf die Entwicklung des Forschungsstandorts Deutschland Bilanz gezogen: Bilanz über den Zusammenhang zwischen Forschung und Innovation, Bilanz über den Zusammenhang zwischen Forschung und wirtschaftlicher Entwicklung in Deutschland.

Die Daten sind erfreulich und eindeutig. Es gibt eine erhebliche Dynamik am Forschungsstandort Deutschland. Seit 2005 sind die Investitionen für Forschung seitens der öffentlichen Hand um 21 Prozent gestiegen, und wir haben damit zugleich - das ist ja immer Ziel unserer öffentlichen Investitionen - Dynamik bei den Investitionen seitens der Unternehmen erreicht. Diese Investitionen sind nämlich um 19 Prozent gestiegen. Seit der Wiedervereinigung, also in den letzten 20 Jahren, hat es nicht einen so hohen Anteil von Forschung und Entwicklung am BIP gegeben, nämlich 2,7 Prozent. Das ist eine überaus gute und dynamische Entwicklung in den letzten Jahren.

Durch den Bericht wird deutlich, dass wir uns natürlich mit Trends außerhalb Deutschlands beschäftigen müssen.

Erstens. Die Gewichte verschieben sich. Länder wie China, Indien und Brasilien legen hier deutlich zu, investieren konsequent, sind übrigens auch an internationalen Kooperationen stark interessiert. Deshalb war es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben: Bei der Internationalisierung unserer Forschungspolitik wollen wir einen Schwerpunkt bei den Entwicklungs- und Schwellenländern legen. Wir werden auch in den nächsten Jahren alles tun, um mit den besten, also mit exzellenten Partnern Kooperationen auf internationaler Ebene zu schmieden. 90 Prozent des Wissens wird außerhalb Deutschlands generiert. Das heißt: Die Internationalisierung bleibt in dieser Legislaturperiode ein zentrales Projekt.

Der zweite Trend, der beschrieben wird, betrifft die Investitionen innerhalb Deutschlands. Die Zahl der Publikationen und Patente ist in Deutschland in den letzten Jahren um 20 Prozent gestiegen. Es ist also eine deutlich positive Entwicklung zu erkennen. Diejenigen unter uns, die international unterwegs sind, spüren, dass es ein hohes Interesse am Forschungsstandort Deutschland gibt. Außerdem gibt es ein hohes Interesse an Forschungskooperationen mit unseren Universitäten. Unsere Devise in dieser Legislaturperiode lautet also - davon sind wir fest überzeugt -: Forschung bedeutet Arbeit an der Quelle künftigen Wohlstands. Die strukturelle Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems hat für uns deshalb Priorität. Wir werden neue Allianzen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft schmieden. Das Karlsruher Institut für Technologie und die Entwicklung neuer Zentren der Gesundheitsforschung in verschiedenen Regionen Deutschlands sind Beispiele für strukturelle Innovation. Wir investieren nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern setzen auch neue Konzepte um. Wir schmieden Allianzen und wollen das Wissenschaftssystem strukturell weiterentwickeln. Denn das stärkt unsere internationale Position.

Das alles hat ein solches Gewicht, weil der Anteil von Gütern, Produkten, Dienstleistungen und Verfahren, die auf Forschung basieren, 45 Prozent der Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft beträgt. Aus diesem Grunde ist dieses Thema nicht nur ein Ressortthema. Wir sind nicht Weltmeister niedriger Löhne, sondern wollen Weltmeister der Innovationskraft sein. Denn davon hängt die Wirtschaft von morgen ab.

Neben der Dynamik im Bereich der Finanzen und der neuen Impulse bei der strukturellen Entwicklung ist es eine weitere positive Entwicklung, dass sich immer mehr junge Leute für eine hochqualifizierte Ausbildung im Wissenschafts- und Forschungsbereich interessieren. Der Anteil der Studienanfänger eines Jahrgangs ist im Jahr 2009 auf über 43 Prozent gestiegen. Diejenigen, die schon länger bildungspolitische Debatten führen, wissen, wie viele Jahre von allen gefordert wurde, einen Anteil von 40 Prozent zu erreichen. Mittlerweile liegt der Anteil aber bereits bei 43 Prozent - Tendenz steigend. Das ist der dritte zentrale Faktor: Die jungen Leute, die sich für ein wissenschaftliches Studium interessieren und in die Forschung gehen möchten, werden von uns ermutigt, diesen Weg zu gehen.

Wer den Bundesbericht Forschung und Innovation 2010 liest, stellt sofort eine Verbindung zwischen dem Wissenschafts- und dem Bildungssystem her. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben dafür gesorgt - dies wird auch in fünf oder sechs Jahren im Bundesbericht stehen -, dass in den nächsten Jahren die eindeutige Priorität im Bereich von Bildung und Forschung liegt. Das hat es so noch nie gegeben. Das lassen wir uns auch nicht kleinreden.

Natürlich liegt die Priorität im Bereich der Finanzen; das zeigen die 12 Milliarden Euro. Das ist in Zeiten wie diesen keine Kleinigkeit; darauf ist heute Morgen mehrfach hingewiesen worden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt aber auch bei neuen Impulsen und der Umsetzung unserer Konzepte.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eines ausdrücklich erwähnen: Ich habe mir die Debatte, die heute Morgen geführt wurde, angehört. Manchmal denke ich, dass mancher mit seinen Textbausteinen irgendwo hängen geblieben ist. Das ist im Computerzeitalter leichter möglich; da können Sie immer wieder auf die entsprechende Taste drücken, und es kommt immer wieder das gleiche Zeug heraus.

Wir haben uns doch alle weiterentwickelt: in der Großen Koalition, in den Ländern, in denen jetzt fast alle, die hier vertreten sind, irgendwie Verantwortung tragen. Jeder weiß, wie kompliziert es ist, auch nur eine kleine Reform so umzusetzen, dass die Bürger am Ende sagen: Das ist gut. Jeder weiß, wie schwierig es mit den Finanzen ist; jeder weiß, dass es in dieser Gesellschaft in nahezu keiner einzigen bildungspolitischen Frage einen Konsens gibt, sondern Pluralität, Vielfalt. Das kann man auch gut finden; ich finde es in Ordnung.

Aber man muss doch bereit sein, darüber zu diskutieren, sich dem zu stellen, statt immer die gleiche Feststellung zu treffen, dass der Bildungsstandort nicht vorankomme.

Dieser Bildungsstandort Deutschland ist in den letzten Jahren vorangekommen, und er ist es nicht nur im Hinblick auf Geld. Dies zeigt auch der Vergleich der letzten PISA-Studie mit der ersten PISA-Studie. Diese habe ich als Präsidentin der Kultusministerkonferenz vorgestellt und weiß deshalb noch ganz genau, was darin stand. In diesen zehn Jahren ist enorm viel passiert. Wir konstatieren den Rückgang der Schulabbrecherzahlen, eine größere Spitzengruppe und eine Verringerung der Zahl derer, die am unteren Ende sind.

Deshalb rate ich uns dringend: Wenn es uns gelingen soll, diese Dynamik am Forschungsstandort Deutschland zu erhalten, dann müssen jetzt alle auch einmal über ihren Schatten springen, dann müssen wir sensibler wahrnehmen, was sich verbessert hat und auf welchen Gebieten wir gut geworden sind. Dazu zählt, das Flaggschiff berufliche Bildung stärker herauszustellen, zum Beispiel im europäischen Kontext.

Wir müssen wirklich an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, die wohl 200 verschiedenen Maßnahmen zu bündeln, die sich mit dem Übergang von der Schule in den Beruf befassen und die es auf allen möglichen Ebenen gibt, von jeder einzelnen Kammer bis hin zum Bund und zu den Ländern. Der erste wichtige Schritt ist geschehen. Diese Aufgaben gemeinsam zu lösen, dafür werbe ich.

Ich lasse dann auch nicht zu und halte es für wirklichkeitsfremd, ewig so zu tun, als konzentrierten wir uns auf Maßnahmen, die mit den wirklichen Nöten im Bildungssystem nichts zu tun haben. Nein, wer sich die vorgesehene Verwendung der sechs Milliarden Euro für Bildung anschaut, erkennt genau zwei Schwerpunkte. Der erste Schwerpunkt betrifft etwas, das 60 Jahre lang nicht geleistet worden ist: die Stärkung der Lehre an Hochschulen. Das kommt den Studierenden zugute. Die anderen 50 Prozent der Mittel sollen der Stärkung der Förderung für Benachteiligte zugute kommen. Das sind unsere beiden Schwerpunkte: einerseits die Studierenden - dritte Säule Hochschulpakt -, andererseits die Förderung der Benachteiligten mit all den Maßnahmen, die schon auf dem Weg sind, einschließlich der Bildungslotsen.

Ich werbe dafür, dass wir diesen Weg zur Bildungsrepublik Deutschland weitergehen, an einem Strang ziehen, klare Akzente setzen und damit auch deutlich machen: Wir wissen, welches die zwingend notwendige Voraussetzung für den Forschungsstandort Deutschland ist, nämlich gute Bildung für jedes Kind und jeden Jugendlichen.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 66-2 vom 10.06.2010
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Dr. Annette Schavan, zum Bundesbericht Forschung und Innovation
vor dem Deutschen Bundestag am 10. Juni 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2010