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INTERNATIONAL/027: Nahost - Schulbücher stellen Weichen für Krieg oder Frieden, Studie vorgelegt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. April 2013

Nahost: Schulbücher stellen Weichen für Krieg oder Frieden - Studie vorgelegt

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Der Geschichtsunterricht ist für palästinensische und israelische Kinder entsprechend ideologisch eingefärbt
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Jerusalem, 12. April (IPS) - Am islamischen Dar-el-Eitam-Gymnasium in der Altstadt von Jerusalem bereiten sich Schüler der zwölften Klasse gerade auf ihre Abiturprüfung in Geschichte vor. Auf der Wand hinter ihnen hängen die Portraits zweier "Märtyrer", die während der zweiten Intifada (2000 bis 2005) getötet wurden.

In der Ortschaft Eshkol an der Grenze zum Gazastreifen bereiten sich Sechstklässler ebenfalls auf Klausuren vor. Sie machen mit ihren Lehrern einen Ausflug nach Tel Aviv, wo sie die 'Halle der Unabhängigkeit' im Eretz-Museum besuchen. Hier hatte der israelische Premierminister David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israels verlesen.

"Die UN stimmten für die Zweiteilung Palästinas, aber weil die Araber diese Lösung nicht akzeptierten, wurde daraus nichts. Einen Tag später brach dann der Unabhängigkeitskrieg aus", erläutert die Reiseführerin Lili Ben-Yehuda.

"Die Juden wollten zwei Staaten - einen israelischen und einen palästinensischen. Haben sie aber nicht 20 Jahre später, 1967, das Westjordanland eingenommen und unser Land besetzt?" fragt hingegen der Geschichtslehrer der islamischen Schule, Iyad el-Malki.

Tatsächlich hatte die UN-Vollversammlung am 29. November 1947 für ein Ende des britischen Mandats in Palästina und für eine Zweiteilung in einen jüdischen und einen arabischen Staat gestimmt. Sechs Monate nach der Abstimmung erfolgte die Gründung des israelischen Staates. Für die Palästinenser hingegen bedeutete die Entscheidung die 'Nakba' - die Katastrophe: Von einer Mehrheit im eigenen Land wurden sie zu einer Minderheit im Staate Israels.


Selektive Darstellung historischer Ereignisse

An den jeweiligen Schulen würden geschichtliche Ereignisse nicht unbedingt falsch sondern selektiv wiedergegeben, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Studie der Bethlehem-Universität und der Universität von Tel-Aviv, die sich mit palästinensischen und israelischen Schulbüchern befasst hat. Auf diese Weise werde die jeweilige Community entsprechend beeinflusst.

"Beide Seiten sind in ihren eigenen Narrativen gefangen, die ihren Ursprung im Grundkonflikt der beiden Völker hat", heißt es weiter in der Untersuchung mit dem Titel 'Opfer unserer eigenen Erzählstoffs? Darstellung des 'Anderen' in israelischen und palästinensischen Schulbüchern'.

"Beide Seiten haben ein negatives Bild der jeweils anderen Seite", sagt Sami Adwan, Professor für Pädagogik an der Bethlehem-Universität und Ko-Autor der Studie, gegenüber IPS. "Und auf beiden Seiten werden wichtige Informationen zur Kultur, Religion und zum alltäglichen Leben der jeweils anderen Seite einfach ausgeblendet. So entsteht ein verzerrtes Bild."

Im Rahmen des Oslo-Friedensprozesses, der 1993 seinen Anfang nahm, erklärten sich sowohl die Israelis als auch die Palästinenser bereit, "die gegenseitigen legitimen und politischen Rechte" anzuerkennen und auf eine Zweistaatenlösung hinzuarbeiten. 20 Jahre später ist weder von gegenseitiger Anerkennung noch von einer Zweistaatenlösung etwas zu sehen. "Und das wird auch so bleiben, wenn die Schulbücher den Kindern weiterhin Ideologien einimpfen", so Adwan.

Mehr als 3.000 Texte in 94 palästinensischen und 74 israelischen Schulbüchern waren in einem Zeitraum von drei Jahren für die Studie untersucht worden. Die Wissenschaftler stellten fest, dass viele der darin abgebildeten Landkarten die Wirklichkeit verdrehten. So hätten ideologische Überlegungen Einfluss auf die Ziehung der Grenzen gehabt.

"Die Kinder beider Seiten wachsen mit der Vorstellung auf, dass das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer ihnen gehört", sagt Daniel Bar-Tal, Professor für kindliche Entwicklung der Universität von Tel Aviv und Ko-Autor der Studie. Darüber hinaus schildere jede Seite die eigenen Handlungen als friedvoll oder als Akt der Selbstverteidigung, während dem Gegenüber feindliche und zerstörerische Absichten unterstellt würden.

Das israelische Schulsystem existiert seit 1948. Es gibt sowohl religiöse und säkulare Schulen des Staates als auch unabhängige ultra-orthodoxe Schulen. Alle nutzen unterschiedliche Lehrbücher. Das homogenere palästinensische Schulsystem existiert seit dem Jahr 2000. Dort lernen alle Schüler mit den gleichen Büchern.


Märtyrertum auf beiden Seiten gutgeheißen

In der Studie wurde auch untersucht, wie die Schulbücher Märtyrer darstellen. Palästinenser lesen in der sechsten Klasse Sätze wie "Tod vor Unterwerfung!", israelische Zweitklässler die letzten Worte des Zionisten Joseph Trumpeldor: "Es ist gut, für das eigene Land zu sterben."

Bar-Tal zufolge haben Schulbücher einerseits das Potenzial, die Schüler aufzuwiegeln und für den Kampf vorzubereiten. "Andererseits lassen sie sich dazu nutzen, für Frieden zu werben." Beispielsweise wurde in israelischen Schulbüchern in den 90er Jahren erstmalig anerkannt, dass Palästinenser während des israelischen Unabhängigkeitskrieges nicht freiwillig geflohen sind, sondern dazu gezwungen wurden. Doch, so die Studie, ist es noch ein weiter Weg, bis Schulbücher beider Völker tatsächlich auf ein friedliches Miteinander hinwirken.

Die Studie sorgte im israelischen Bildungsministerium für Kritik. Sie sei "parteiisch, unprofessionell und es mangelt ihr erheblich an Objektivität", ließ das Ministerium in einer Mitteilung verlauten, noch bevor die Studie offiziell vorgestellt worden war. "Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein politischer Bericht, der dem Ruf Israels schaden soll", meinte Yossi Kuperwasser aus dem israelischen Strategieministerium. Die Palästinensische Autonomiebehörde hingegen stand den Ergebnissen der Untersuchung Adwan zufolge "offen" gegenüber. (Ende/IPS/jt/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2013