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FINANZEN/496: Milliarden Euro gegen den Bildungsnotstand - Was bringt ein Education Investment Fund? (idw)


Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) - 07.10.2015

50 Milliarden Euro jährlich für bessere Bildung nötig - Was bringt ein Education Investment Fund?


Wie viel Geld muss Deutschland ausgeben, damit alle jungen Menschen und Erwachsenen zukünftig einen Schulabschluss und mindestens eine Berufsausbildung haben? Wie kann das finanziert werden? Das sind die Themen der aktuellen Studie des FiBS.


In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren sind rund 50 Milliarden Euro jährlich notwendig, um den Bildungsnotstand in Deutschland zu beseitigen - ein Betrag, den die öffentliche Hand nicht alleine finanzieren kann. Dies ist das Ergebnis einer Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, die heute veröffentlicht wird. Die dringende Unterstützung kann von einem Investitionsfonds für Bildung kommen, dessen Konzept das FiBS entwickelt hat.

Die aktuelle Ausgangslage in einem der reichsten Länder der Erde ist deprimierend. Jedes Jahr verlassen über 150.000 junge Menschen das Schulsystem, ohne richtig rechnen, schreiben und lesen zu können. Zwei Millionen 25- bis 35-Jährige oder sieben Millionen Erwachsene zwischen 25 und 65 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung und sind, auch wenn sie Arbeit finden, häufig schnell wieder erwerbslos. Dies ist in Zeiten, in denen Deutschland vor einem demografischen Wandel steht und die Unternehmen bereits heute nicht genügend Auszubildende und Fachkräfte finden, nicht akzeptabel. Allein die Grund- und berufliche Nachqualifizierung dieser Gering- und Unqualifizierten dürfte mindestens &Euro; 50 Mrd. kosten. Je nachdem, welches Ziel man sich steckt und wie viele letztlich daran teilnehmen, können die Kosten auch deutlich höher sein.

"Die Nachqualifizierung von funktionalen Analphabeten und Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist die zentrale Aufgabe, wenn man den Fachkräftemangel im demografischen Wandel verringern will," sagt Dr. Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstituts für Bildung- und Sozialökonomie (FiBS). "Wir können uns den Luxus nicht länger leisten, dass sieben Millionen Erwachsene keine Berufsausbildung haben und jedes Jahr 150.000 junge Menschen das gleiche Schicksal erleiden. Auch sollten wir die politische Brisanz nicht unterschätzen, wenn diese Menschen das Gefühl bekommen, dass für Flüchtlinge viel getan wird und sie selbst zu kurz kommen. In aller Deutlichkeit: ich halte die derzeitige Politik der Bundeskanzlerin für absolut richtig. Wir können die Grenzen nicht dicht machen, wenn Menschen vor Bürgerkrieg oder politischer Verfolgung fliehen und hier Schutz und eine Zukunft suchen. Es gibt kleinere Länder, die viel mehr Flüchtlinge aufnehmen als Deutschland. Wir sollten nur auch an die anderen, hier Aufgewachsenen denken."

Rechnet man zusammen, wie viel Geld insgesamt notwendig ist, um Bildungsangebote und Begleitmaßnahmen für hier Aufgewachsene wie für Flüchtlinge zeitnah umzusetzen, wird es teuer für die öffentliche Hand. Sollen alle in der Gesellschaft mitgenommen und dem Fachkräftemangel, der in den verschiedenen Sektoren und Branchen verschieden schnell voranschreitet, entgegen gewirkt werden, sind über die nächste Dekade mindestens 500 Milliarden Euro erforderlich. "Mit Blick auf die neuen Mitbürger und Mitbürgerinnen wird der Betrag eher noch ansteigen," erwartet der Ökonom.

Konkret sind laut der Studie schon jetzt einmalige investive Ausgaben von gut 130 Milliarden Euro sowie jährlich wiederkehrende laufende Ausgaben von bis zu 40 Milliarden Euro erforderlich. "Da die endgültige Zahl und das Bildungsniveau der Zuwanderer und Zuwanderinnen noch nicht genau erfasst werden kann, können die Ausgaben für diese Gruppe noch nicht abschließend kalkuliert werden," ergänzt Dohmen. "Sollten tatsächlich 1,5 Millionen Flüchtlinge kommen, dann erscheint ein Betrag von bis zu zehn Milliarden Euro durchaus plausibel, damit nicht nur Sprachunterricht, sondern auch die Schul- und Berufsbildung der jungen Leute gesichert und Anpassungsqualifizierungen für Ältere möglich werden. Sie werden dann aber auch zur Deckung des Fachkräftebedarfs und zu öffentlichen Mehreinnahmen beitragen."

"Es ist klar, dass die öffentliche Hand einen Betrag von 50 Milliarden Euro pro Jahr nicht allein finanzieren kann. Selbst wenn der Bund mehr für die Bildung tun dürfte als bisher und Bildung das wichtigste Ziel der Politik in Deutschland würde," sagt Dohmen.

Das FiBS, einer der führenden Think Tanks zum Thema Bildungsfinanzierung in Deutschland und Europa, hat daher ein Konzept für einen Bildungsinvestitionsfonds entwickelt, der den vorhandenen und wachsenden Bedarfen angepasst werden kann.

Der sogenannte Education Investment Fund soll von (Lebens-) Versicherungen und Unternehmen, aber auch von Stiftungen und Privatpersonen finanziert werden. Dafür soll der Fonds später an den zusätzlichen Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen beteiligt werden. Wenn jetzt etwa mehr Studien- oder Ausbildungsplätze finanziert werden können, führt dies schon nach wenigen Jahren zu höheren Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen. Durch höhere Investitionen in frühkindliche Bildung, gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien, werden zudem Sozialleistungen, zum Beispiel für Hilfen zur Erziehung, eingespart. Für einige Maßnahmen ergeben sich nach kurzer Zeit fiskalische Renditen von mehr als zwölf Prozent, für andere sogar von mehr als zwanzig Prozent. Würde der Fonds zu einem Drittel an diesen Mehreinnahmen partizipieren, dann wäre eine attraktive Verzinsung von bis zu zehn Prozent möglich - je nach Bildungsbereich. "Angesichts des geringen Risikos eine durchaus attraktive Rendite," sagt Dohmen. "Dies wäre auch angemessen. Schließlich würden die Geldgeber jetzt die Mittel für die notwendigen Investitionen in Bildung zur Verfügung stellen und diese somit überhaupt erst ermöglichen.

"Deutschland kann den absehbaren Fachkräftemangel nur überwinden," fasst Dohmen seine Überlegungen zusammen, "wenn es zukünftig besser gelingt, alle jüngeren und älteren Menschen zu qualifizieren. Wir haben ein enormes Potenzial an Erwachsenen, die bisher keine Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, und jedes Jahr kommen zu viele junge Menschen ohne Ausbildung hinzu. Selbst wenn es nicht gelingt, jeden einzelnen zu fördern und zu einem Berufsabschluss zu führen oder jedem die entsprechende Weiterbildung zu ermöglichen, kann die erwartete Fachkräftelücke nahezu vollständig geschlossen werden. Mit anderen Worten: Qualifikation und Migration bleiben wichtige Themen für den Arbeitsmarkt. Eine bessere Bildung ist zum Ausgleich der demografischen Entwicklung zwingend erforderlich. Dass es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gelingt, diesen Bildungsnotstand zu beenden, ist ein Problem für Wirtschaft und Gesellschaft. Zur Überwindung kann der Education Investment Fund einen wichtigen Beitrag leisten," ist Dohmen überzeugt.

Die vollständige Studie kann von der Homepage des FiBS (www.fibs.eu) heruntergeladen werden.


Weitere Informationen unter:
http://www.fibs.eu/de/sites/_wgData/Forum_056_Education%20Investment%20Fund_final.pdf
- Download der Studie

http://www.fibs.eu

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution674

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS),
Birgitt A. Cleuvers, 07.10.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2015

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