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DISKURS/012: You can never be ... overeducated - eine rot-grüne-Perspektive in der Bildungspolitik (spw)


spw - Ausgabe 3/2014 - Heft 202
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Crossover
You can never be overdressed or overeducated - eine rot-grün-rote Perspektive in der Bildungspolitik

von Katja Dörner



Crossover

Soll eine sozial-ökologische Kräftekonstellation im Jahr 2017 keine Wunschvorstellung bleiben, muss sie durch intensive Debatten zwischen den linken Parteien, Gewerkschaften, Verbänden und sozialen Bewegungen vorbereitet werden. Aus Sicht der SPD-Linken hat der Öffnungsbeschluss von Leipzig Möglichkeiten für eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit auf Bundesebene eröffnet, die vorher SPD-intern blockiert waren. Andererseits erschwert die Einbindung der Partei in die große Koalition zugleich die langfristige und glaubwürdige Suche nach neuen Bündnissen. Es gilt, nicht nur auf bekannte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verweisen, sondern Brücken über die unterschiedlichen programmatischen Ansätze und Vertrauen zwischen den Akteuren zu bilden. Wird dieser Prozess allein machttaktisch und nicht als politisches Projekt verstanden, entsteht weder unter den beteiligten Akteuren noch in den jeweiligen Wählerklientelen Vertrauen. Mit der neuen Artikelserie crossover versucht spw, die diskursiven Schnittmengen zwischen progressiven Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu vergrößern und gemeinsame politische Gestaltungsperspektiven zu entwickeln. In dieser Ausgabe skizziert Katja Dörner die Möglichkeiten rot-rot-grüner Bündnisse in der Bildungspolitik.


You can never be overdressed or overeducated - eine rot-grün-rote Perspektive in der Bildungspolitik

Der Koalitionsvertrag der großen Koalition im Bereich der Bildungspolitik von der Kita bis hin zur Hochschule und dem lebensbegleitenden Lernen ist eine Enttäuschung. Die zu erwartenden Vorhaben bis 2017 bleiben weit hinter dem zurück, was uns nationale und internationale Studien, Expertengremien und auch das Programm der SPD zur Bundestagswahl 2013 ins Stammbuch schreiben. Es jedem Kind bzw. jedem Jugendlichen zu ermöglichen, seine Potentiale voll auszuschöpfen und gleichermaßen Deutschland so aufzustellen, wie es einer zukunftstauglichen Gesellschaft Not tut, die auf Ressourcen in den Köpfen statt in der Erde setzen muss (und darf) - so wird das nichts. Dies liegt meines Erachtens gleichermaßen an inhaltlichen Differenzen der Koalitionspartner wie an der mangelnden Bereitschaft, ausreichend finanzielle Mittel bereitzustellen, um notwendige Zukunftsinvestitionen zu gewährleisten.

Ich muss nicht erörtern, aus welchen Gründen es im Herbst 2013 nicht zur Bildung einer rot-rot-grünen Bundesregierung gekommen ist. Die Bildungspolitik war in der Frage sicherlich kein relevanter Faktor. Insofern ist es müßig, über die bildungspolitischen Inhalte einer Koalitionsvereinbarung der drei Parteien auf der Grundlage der Wahlprogramme zu spekulieren. Nichtsdestotrotz bleibt es mit Blick auf 2017 wichtig festzuhalten, was SPD, Grüne und Linke jenseits aktueller großkoalitionärer Kompromisse programmatisch verbindet. Dies möchte ich anhand ausgewählter Aspekte tun.

Aufgrund der Kultushoheit der Länder spiegeln sich im Bundestag die großen bildungspolitischen Auseinandersetzungen - bspw. um die Ermöglichung eines längeren gemeinsamen Lernens aller Kinder - zwar in Debattenform, nicht aber in konkreter Handlungskompetenz wider. Daraus zu schließen, es gäbe eine programmatische Äquidistanz der Parteien zueinander, wäre aber trügerisch. Richtig ist, dass die Union Forderungen und Vorstellungen der politischen Linken in ihr Vokabular aufgenommen hat - sei es nach Entkopplung von (sozialer) Herkunft und Bildungserfolg, nach gleichberechtigter Teilhabe für alle und Durchlässigkeit im Bildungssystem. Im konkreten Handeln lässt sie eine Orientierung an diesen Zielen vermissen - und leider hat die SPD im Korsett der großen Koalition dem nicht viel entgegengesetzt.

Im Gegensatz zur Union haben SPD, Grüne und Linke Kindertagesstätten verstärkt als Orte frühkindlicher Bildung auf dem Schirm. Alle Erkenntnisse hinsichtlich der kognitiven Entwicklung von Kindern belegen die Bedeutung früher Bildung. Diese findet selbstverständlich zunächst in den Familien statt. Aber gerade für Kinder, die in ihren Familien wenig Förderung und Unterstützung erfahren, ist der frühe Besuch von Kitas zentral. Die vielbeschworene Chancengleichheit beginnt hier. Deshalb ist das Betreuungsgeld - das leider viel zu häufig nur unter einem familienpolitischen Blickwinkel diskutiert wurde - eine bildungspolitische Katastrophe. Erste Studien zeigen, dass die befürchteten negativen Effekte eintreten: Kinder aus bildungsfernen Milieus und aus Migrantenfamilien gehen aufgrund des Betreuungsgelds nicht in eine Kita; die Bildungsungleichheit verschärft sich. Ich bin mir sicher, dass eine umgehende Abschaffung des Betreuungsgeldes mit einer rot-grün-roten Bundesregierung problemlos möglich gewesen wäre. Statt das dringend notwendige und im Familienministerium bereits vorbereitete Qualitätsgesetz für die Kitas auf den letzten Metern aus dem Koalitionsvertrag zu streichen, wie es bei Union und SPD geschehen ist, wären damit auch finanzielle Spielräume entstanden, um Ernst zu machen mit einem Mehr an echter Chancengleichheit im Bildungssystem durch eine qualitativ gute Förderung aller Kinder von Anfang an.

Entgegen aller Vernunft wird der Bund sich weiterhin nicht für eine bessere schulische Bildung engagieren können. Zwar hat die SPD mittlerweile selbst das im Rahmen der Föderalismusreform im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot als "Irrweg" erkannt. Revidiert wird die Fehlentscheidung aus dem Jahr 2006 aber nur halbherzig und zwar für den Bereich der Wissenschaft. Grund hierfür ist nicht nur die indifferente Haltung der Union im Bundestag, sondern auch die skeptische bis ablehnende vieler Bundesländer - selbst ein grüner Ministerpräsident aus dem Süden hat sich bis dato nicht überambitioniert gezeigt, das Kooperationsverbot für die Schulen zu kippen. Bitteres Ergebnis dieser Gemengelage: Ein Ganztagsschulprogramm, wie es von der letzten rot-grünen Bundesregierung höchst erfolgreich ins Leben gerufen wurde, wird zukünftig weiterhin nicht möglich sein. Hier bindet der Bund sich selbst die Hände und nimmt sich damit die Möglichkeit, bessere Chancen insbesondere für benachteiligte Kinder auch in den Schulen konkret zu befördern.

Auch wenn der Bund, was die Inhalte schulischer Bildung angeht, nichts mitzureden hat, möchte ich einen kleinen Exkurs nach Baden-Württemberg machen, um anhand einer sehr aktuellen Entwicklung zu verdeutlichen, dass eine links orientierte Bildungspolitik sich in ganz zentralen Punkten von der der Union unterscheidet. Es geht um die Wertschätzung und Akzeptanz der Vielfalt und Diversität der Schülerinnen und Schüler. Dass sich die Union nicht klar und deutlich von der homophoben Kampagne gegen die Verankerung der fächerübergreifenden Vermittlung von Wissen zur sexuellen Vielfalt im neuen Bildungsplan distanziert hat, die im weitesten Sinne eine offen und tolerante Gesellschaft zum Ziel hat, macht aus meiner Sicht tiefe Gräben deutlich.

Solche Gräben zeigen sich auch im Bundestag, wenn es um die Weiterentwicklung der Hochschulpolitik geht. Angesichts steigender Studierendenzahlen problematisieren Abgeordnete der Union zunehmend die aus ihrer Sicht zu hohe Quote von Schülerinnen und Schülern, die Abitur machen und ein Studium beginnen. Selbstverständlich können wir sehr zufrieden mit unserem dualen System der Berufsausbildung sein. Nichtsdestotrotz ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium der beste Garant für eine erfolgreiche Berufstätigkeit und diese Entwicklung wird sich sogar verstärken. Aber nicht nur das: Eine gute Bildungspolitik ermöglicht es jedem und jeder, seine Potentiale voll auszuschöpfen. Aufstieg durch Bildung und zwar gerade für Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Milieus muss wieder verstärkt unterstützt und nicht durch fehlende Studienplätze verhindert werden. Dass viele rot-grüne Landesregierungen die von Union und FDP befürworteten Studiengebühren abgeschafft haben, ist hierzu ein wesentlicher Beitrag. Und deshalb setzen Grüne, Linke und auch die SPD auf eine bessere Finanzierung der Hochschulen statt auf Kontingentierung. Denn mit Oscar Wilde salopp gesprochen: You can never be overdressed or overeducated.

Die Bildungspolitik der großen Koalition krankt an der mangelnden Finanzierung. Gerade einmal sechs Milliarden für Kitas, Schulen und Hochschulen und drei Milliarden für die Forschung sollen bis 2017 zusätzlich investiert werden. In ihrem Wahlprogramm hatte die SPD zehn Milliarden jährlich in Aussicht gestellt. Insbesondere die sechs Milliarden für Kitas, Schulen und Hochschulen sind Peanuts angesichts der Herausforderungen im Bildungsbereich. Dies ist insbesondere ärgerlich, da die große Koalition ja sehr wohl bereit ist, große Summen zu bewegen. Zehn Milliarden jährlich kostet die jüngst verabschiedete Rentenreform. Und so sehr ich jedem Menschen, der 45 Jahre gearbeitet hat, und jeder Mutter, die vor 1992 Kinder geboren hat, ein Rentenplus gönne, so klar ergibt sich das Ungleichgewicht zwischen Ausgaben für die Rente und Zukunftsinvestitionen in Bildung. Hier zeigt sich, dass die SPD sich mit der Orientierung an der "schwarzen Null" in Kombination mit der Absage an ein gerechteres Steuersystem auch von einem echten Aufbruch in der Bildungspolitik verabschieden musste. Ich bin mir sicher, dass bei einer zukünftigen rot-rot-grünen Zusammenarbeit hier zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen würden.


Katja Dörner, MdB ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Koordinatorin des Arbeitskreises Wissen, Generationen und Gesundheit und Vorstandsmitglied beim Institut für solidarische Moderne.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 3/2014, Heft 202, Seite 63-65
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2014