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USA/392: 2016 - Die Wahl der sozialen Bewegungen (spw)


spw - Ausgabe 1/2016 - Heft 212
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Meinung
2016: Die Wahl der sozialen Bewegungen

von Daraka Larimore-Hall


Mehr als bei jeder anderen Wahl in den zurückliegenden Jahren sind die Spielregeln der politischen Auseinandersetzung im Präsidentschaftswahlkampf 2016 von sozialen Bewegungen und der Unzufriedenheit der Bevölkerung geprägt. Die Antworten der Basis auf die Finanzkrise im Jahr 2008, die Occupy-Bewegung und die Tea Party, haben den Stil und die Themenschwerpunkte der großen politischen Parteien beeinflusst und stellten deren Eliten vor große Herausforderungen. Auf der republikanischen Seite belohnen die Wähler, nun bereits im zweiten Präsidentschaftszyklus in Folge, Außenseiterstatus und populistische Anti-Washington-Rhetorik. Im Jahr 2012 ist es den Parteispitzen noch gelungen, die Nominierung zugunsten der parteipolitischen Präferenzen zu lenken. Diese Bestrebungen erweisen sich im Jahr 2016 als wesentlich schwieriger - der Außenseiter Donald Trump führt die Umfragen weiterhin an. Derweil muss das demokratische Establishment, welches sich größtenteils um Hillary Clinton versammelt hatte, den Angriff eines Anti-Establishment-Kandidaten abwehren, der seine gesamte Karriere damit zugebracht hat, die Demokratische Partei von links zu kritisieren.

Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass die Tea Party und die Occupy-Bewegung - trotz ihrer scharfen ideologischen Differenzen - beide ihre Wurzeln in der öffentlichen Entrüstung über die Finanzkrise und die Antwort der US-Regierung auf diese Krise haben. Einer der ursprünglichen Katalysatoren für die Formierung von Netzwerken und Protesten, welche später als Tea Party bekannt werden sollten, war die Ausstrahlung einer Hetzrede des CNBC-Wirtschaftsreporters und Hedgefonds-Managers Rick Santelli, in der er die Obama-Administration verunglimpfte, weil sie geringfügige Entlastungen für Hauseigentümer, die von einer Zwangsvollstreckung bedroht waren, in ihr Konjunkturpaket integrierte. Santelli beschuldigte die Regierung, die "Verlierer" zu retten, deren Hochrisiko-Hypotheken vorhersehbarer Weise gescheitert seien und damit den Kollaps ausgelöst hätten. Dieser Gedanke - dass der Finanzkollaps die Folge individuellen Fehlverhaltens sowie der Spendierfreudigkeit der Regierung sei - wurde zur Kernbotschaft einer Reihe von Gruppen, die überall im Land aus dem Boden schossen, gefördert von Movement-Konservativen wie den Koch-Brüdern und intensiv beworben vom Fox-News-Netzwerk.

Vom Jahr 2009 an engagierten sich kapitalkräftige Aktivistennetzwerke, Spender/innen und Politiker/innen in den republikanischen Vorwahlen und in den Basisorganisationen der Partei, um die Rhetorik und politischen Bekenntnisse weiter in Richtung der Anti-Regierungs-Rechten zu treiben. Der Tea Party zugewandte Kandidaten besiegten Establishment-Republikaner oder brachten diese durch teure Vorwahlkämpfe in Bedrängnis. Im Laufe weniger Jahre wurde die Grand Old Party (GOP) radikalisiert. Unter den GOP-Kandidaten im Aufgebot für die Präsidentschaftswahlen 2016 sind die Senatoren Rubio, Cruz und Paul - allesamt von der Tea Party unterstützte Favoriten der Basis, die sich gegen "institutionellere" Gegner durchgesetzt haben. Die republikanische Wählerschaft zeigt sich den hochgradigideologischen "Außenseiter"-Kandidaten, die konservative Prinzipien über wahltaktische Überlegungen zu stellen scheinen, weiterhin zugeneigt.

Erst im Jahr 2011 traten Kräfte der politischen Linken mit einer eigenen Antwort in Erscheinung (beginnend mit einer Besetzung des Zuccotti Parks im New Yorker Finanzdistrikt) und gaben sich den Namen "Occupy Wall Street". Eine Welle von Demonstrationen, Aktivistengruppen und anhaltenden Besetzungen von Parks und öffentlichen Plätzen überrollte das Land. Im Gegensatz zur Tea Party lehnte die Occupy-Bewegung eine Beteiligung an der institutionalisierten Politik jedoch grundsätzlich ab - sie stellte keine Kandidaten in demokratischen Vorwahlen, formierte keine Political Action Committees (PACs) und kommunizierte weitestgehend eine ambivalente Haltung gegenüber den beiden großen politischen Parteien. Wie es in der Linken nur allzu verbreitet ist, favorisierte Occupy eine radikal horizontale Organisationskultur und die Mitwirkenden widersetzten sich den allermeisten Institutionalisierungsbestrebungen. Dies ermöglichte es der Bewegung, recht schnell zu wachsen und wirkte anziehend auf das kreative und leidenschaftliche Engagement von Aktivist/innen im ganzen Land. Es beschränkte aber auch in erheblichem Maße ihren Einfluss auf Politik und Gesetzgebung und führte dazu, dass die explosive Leidenschaft bald abebbte und letztendlich sehr wenig von ihr übrig blieb.

Dennoch, Occupy verstärkte und bündelte ein in der Bevölkerung wie unter den Eliten zunehmendes Bewusstsein für die wachsende Ungleichheit und zeigte dem Land den krassen Gegensatz zwischen dem oberen einen Prozent und den unteren 99 Prozent auf. Während die Bewegung selbst verblasste und zersplitterte, blieb das öffentliche Bewusstsein bestehen: Ungleichheit wurde zum Leitthema der Demokraten und ihrer Verbündeten. Dem Bürgermeisterkandidaten New Yorks, Bill Di Blasio, gelang mit einem Wahlkampf rund um Themen der wirtschaftlichen und auf der Hautfarbe basierenden Ungleichheit ein Erdrutschsieg - mit einer Botschaft, die in einer Stadt mit steigenden Wohnkosten und einer anhaltend hohen, konzentrierten Arbeitslosigkeit großen Nachhall fand. Seitdem haben andere Demokraten, wie zum Beispiel die Senatorin von Massachusetts, Elizabeth Warren, landesweit hohe Bekanntheitsgrade erlangt, indem sie dieselben progressiv-populistischen Leitthemen anstimmten wie Occupy. Dies erzeugte eine politische Öffnung am linken Rand, in die Bernie Sanders' überraschende Wahlkampagne hineingewachsen ist und die sie ausgefüllt hat.

Es ist bemerkenswert, dass der selbst erwählte "Außenseiter"-Status von Occupy Wall Street den Weg für Sanders bereitete, der seinerseits seine gesamte politische Karriere als Unabhängiger verbrachte. Für Sanders hat sich das sowohl als Stärke als auch als Schwäche erwiesen, genau wie für Occupy selbst. Sanders begann seine Kampagne mit so gut wie keiner Unterstützung durch Mandatsträger/innen oder Parteifunktionäre - ein erhebliches Manko in dem aufreibenden, von Staat zu Staat ausgetragenen Basiswahlkampf um die demokratische Nominierung. Seine Vergangenheit als unabhängiger Politiker ermöglicht es ihm jedoch, die zurückhaltende politische Linie der Establishment-Demokraten und ihre engen Verbindungen zur Finanzindustrie scharf zu kritisieren. Dies macht ihn zu einem außerordentlich attraktiven Kandidaten für große Gruppen unzufriedener, von der Politik entfremdeter Wähler/innen. Das hat sich Insbesondere im Hinblick auf junge Wähler/innen bewahrheitet - eine Schlüsselgruppe der Bevölkerung, die für Obamas Sensationssieg im Jahr 2008 entscheidend war.

Die Unterstützung durch junge Wähler/innen ist dabei ein zweischneidiges Schwert. Sie ist auf der einen Seite, für die Linke im Allgemeinen, ein enormer Grund zum Optimismus. Die Millenniums-Generation ist deutlich offener für große, progressive Ideen als vorherige Generationen und sie scheint gänzlich befreit zu sein vom Anti-Kommunismus des Kalten Krieges, welcher in der Vergangenheit selbst Debatten über sehr moderate sozialdemokratische Politikansätze erheblich beschränkt hat. "Socialism" funktioniert gegenüber jenen, die in den späten 1980er Jahren geboren wurden, schlicht und einfach nicht mehr als Angst-Begriff. Gleichzeitig sind junge Wähler/innen notorisch unzuverlässig - die Wahlbeteiligung schwankt von Wahl zu Wahl erheblich. Während Sanders beispielsweise in den Iowa-Vorwahlen die Unterstützung von 80 Prozent der jungen Wähler/innen gewinnen konnte, machte die größte Generation, die es in der Geschichte je gab, gerade einmal einen Anteil von 18 Prozent der Vorwahl-Teilnehmer/innen aus. Junge Menschen, die mit Sanders sympathisieren und sich mit seinem Kampagnen-Slogan "Feel the Bern" identifizieren, werden in weit größerer Anzahl antreten müssen, um ihren Kandidaten zu weiteren Vorwahl-Siegen zu treiben.

Es ist kaum zu überschätzen, wie bahnbrechend die Sanders-Kampagne ist. Die von Barack Obama erreichten Rekorde beim Kleinspender- und Basis-Fundraising wurden von der Sanders-Kampagne allesamt zunichte gemacht. Allein in den letzten Monaten wurden über 50 Millionen Dollar von mehr als einer Millionen Kleinspender eingenommen. Sanders zieht bei Kundgebungen riesige Menschenmengen an, ist enorm beliebt in den Sozialen Medien und der Liebling derselben jugendlichen, popkulturellen Initiativen, die Obama 2008 mit zum Sieg verhalfen. Obwohl er die Kampagne mit extrem niedrigen Bekanntheitsgraden außerhalb seines winzigen Heimatstaates Vermont begann, überflügelt er Hillary Clinton mittlerweile in Head-to-Head-Umfragen gegen führende Republikaner. Sanders wäre jedoch der Erste, der darauf hinweisen würde, dass nicht seine besonderen Fähigkeiten oder sein Charisma ausschlaggebend sind. Er ist ein Außenseiter-Kandidat, der in einer von wütenden sozialen Bewegungen und elitärem Missmanagement geprägten Zeit kühne Vorschläge macht. Er tritt an gegen die Wall Street, bei einer Wahl, in der er einer Kandidatin gegenübersteht, die langjährige Verbindungen zu Goldman Sachs pflegt und von unabhängigen "Super PACs" unterstützt wird, die mit ihrem Geld ausgestattet sind.

Das ist die einzige Erklärung dafür, warum ein 74-jähriger jüdischer Sozialist mit einem starken Brooklyner Akzent plötzlich ein politischer Rockstar ist.

Die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton verhielt sich ihrerseits vorsichtig und rückte zeitweise auf eine etwas unbeholfene Art und Weise nach links, um den überraschenden Angriff von Sanders abzuwehren. Sie hat detaillierte Pläne für die Eindämmung von Verstößen im Bankensektor sowie für den Abbau von Studienschulden vorgelegt und, dies ist am ehrgeizigsten, für die Bereitstellung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und weitere Maßnahmen, die erwerbstätigen Frauen zugute kommen sollen. Ihre Botschaft ist, dass sie - im Gegensatz zum Außenseiter Sanders - in der Lage ist, politische Reformvorhaben auch umzusetzen. Während seine Vorschläge mutiger und eher auf einer Linie mit europäisch-sozialdemokratischen Ansätzen bezüglich öffentlicher Dienstleistungen und einer redistributiven Besteuerung sind, argumentiert Clinton, dass diese Ideen in den Vereinigten Staaten kaum jein die Gesetzgebung übertragen werden können und ihr eigener, zurückhaltenderer Ansatz realistischer ist.

Clinton leistet eine hervorragende Arbeit darin, dieses Argument vorzubringen. Darüber hinaus führen der festverankerte Rückhalt in der Parteiorganisation und unter Mandatsträger/innen, ihr Vorsprung beim Sammeln von Wahlkampfspenden und die Tatsache, dass demokratische Schlüssel-Wählerschaften, insbesondere ältere Frauen und People of Color, stark zu ihr tendieren, dazu, dass sie noch immer die Favoritin für die Nominierung sowie die Präsidentschaftswahlen ist. Dies ist in Anbetracht ihrer Fähigkeiten, ihrem Bekanntheitsgrad und ihren Beziehungen nun jedoch wesentlich schwieriger als es hätte sein "sollen".

Wie alle Frauen, die in den Vereinigten Staaten für das Präsidentenamt kandidieren, sieht sich Clinton häufig mit einer auf Sexismus beruhenden Doppelmoral und einem besonderen öffentlichen Fokus auf ihre vermeintlich geringen Sympathiewerte konfrontiert. In den Vorwahlen hat diese Dynamik sowohl positive als auch negative Konsequenzen: Die Solidarität mit Clinton ist Teil ihrer Anziehungskraft, insbesondere für Frauen, die nicht der Millenniums-Generation angehören (die wiederum Sanders mit großem Abstand favorisiert). Aber nicht alle Herausforderungen, vor denen sie steht, betreffen Gender-Aspekte - sie haben auch etwas mit der Marke Clinton zu tun. Hillary Clinton war im Weißen Haus keine plätzchenbackende Hausfrau. Sie war in der "neu-demokratischen" Politik der 1990er Jahre immer eine aktive, intelligente und meinungsstarke Führungspersönlichkeit. Zur Hinterlassenschaft der Zeit, in der die Clintons an der Macht waren - unsere eigene, amerikanische Version des "dritten Wegs" - zählen eine erhebliche Deregulierung des Finanzsektors und eine deutlich enge Beziehung zur Finanzindustrie und Freihandelsabkommen, die allesamt zur wachsenden Ungleichheit und zum Crash im Jahr 2008 beigetragen haben. Clinton präsentiert sich in diesen Fragen zwar als Kandidatin, die sich "weiterentwickelt" habe, aber es fällt ihr schwer, zu vermitteln, dass sie einen klaren Bruch mit der Vergangenheit repräsentiert.

An genau dieser Stelle geht es in dem Wettstreit zwischen Sanders und Clinton um mehr als nur um Stil oder Taktik. Anders als im Jahr 2008, als Obama und Clinton sich eher in ihrem Temperament und ihrer rhetorischen Herangehensweise voneinander unterschieden als in ihrer Weltanschauung, besteht zwischen Sanders und Clinton eine fundamentale Differenz der politischen Auffassungen. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind ihre miteinander konkurrierenden Vorschläge für den Bereich der Hochschulbildung. Studienschulden haben die Marke von einer Billion Dollar überschritten; sie stellen eine massive Belastung für die kommende Generation von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen dar und führen die amerikanische Mittelschicht in eine elementare Krise. Clinton spricht sich dafür aus, die auf Studienkredite erhobenen Zinssätze zu reduzieren und Student/innen aus einkommensschwachen Haushalten, im Austausch für zehn Arbeitsstunden pro Woche, bei der Bezahlung der Studiengebühren zu unterstützen. Sanders schlägt eine Finanztransaktionssteuer vor, um gebührenfreie Bildung an allen öffentlichen Colleges und Universitäten für alle Student/innen zu finanzieren. Clinton hat diesen Vorschlag als Subventionierung der Studiengebühren der Reichen kritisiert. Sanders hingegen vertritt die Auffassung, dass die Ausbildung an einer Hochschule in einer modernen Volkswirtschaft eine Voraussetzung für den Verbleib in der Mittelschicht ist und dass diese, wie die Grundschulbildung, als öffentliches Gut bereitgestellt werden sollte. Der eine Vorschlag ist gezielt, bedarfsbezogen und marktorientiert. Der andere besteht in der Ausweitung eines sozialen Grundrechts. Eine ähnliche Diskrepanz ist in den Auseinandersetzungen um das Gesundheitssystem und Infrastrukturverbesserungen zu beobachten. Sanders ist ein New Dealer: Er favorisiert große, strukturelle Veränderungen und riesige Programme, für deren Finanzierung die Reichen zur Kasse gebeten werden. Clinton, selbst die "neue" Clinton, ist eher ein Produkt der 1990er Jahre: Lass uns kleine Schritte gehen und kapitalfreundlich bleiben.

In einem rationalen politischen System würde die Demokratische Partei über einen einfachen Mechanismus verfügen, um diese verschiedenen Ansätze zu diskutieren und ihre Politiker/innen dann an die politische Linie zu binden, die sich bei der Diskussion durchsetzt. In den Vereinigten Staaten führen die Kandidaten und Kandidatinnen jedoch Wahlkämpfe für ihr eigenes politisches Mandat. Daher wird die Parteipolitik tatsächlich im hitzigen Gefecht der Wahlkämpfe - insbesondere während der Vorwahlen, bei denen die Nominierten der Parteien ermittelt werden - bestimmt. Die Wahl einer Persönlichkeit ist damit in gewisser Hinsicht auch die Wahl einer bestimmten Politik.

Die Demokratische Partei selbst - es ist wichtig, sich dies zu vergegenwärtigen - ist sowohl weniger als auch mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile. Strukturell gesehen sind amerikanische Parteien ein schwindelerregendes Patchwork miteinander verknüpfter politischer Komitees und Organisationen. Es gibt im Prinzip eine Demokratische Partei im Repräsentantenhaus, eine andere im Senat und wieder eine andere rund um den Präsidenten - und auf der Ebene der Staaten wird diese Struktur 50 Mal repliziert. Vielleicht noch wichtiger sind die großen Netzwerke zivilgesellschaftlicher Organisationen, Spender/innen und sozialer Bewegungen, die sich in die Vorwahlen einschalten, um auf den politischen Prozess Einfluss zu nehmen. Diese Gruppen, die Arbeitnehmer/innen, Frauen, Umweltschützer/innen, Wirtschaftsinteressen und ethnische Gemeinschaften repräsentieren, empfehlen Kandidaten, sammeln Spendengelder und stellen freiwillige Wahlhelfer/innen.

Diese Gruppen tendieren stark zu Clinton. Von den Arbeitnehmerorganisationen unterstützen lediglich die größte Gewerkschaft der Krankenpfleger/innen, die Communication Workers und die Post-Angestellten Sanders, während die weitaus größeren und mächtigeren Gewerkschaften, die den Dienstleistungssektor, Lehrer/innen, Bauarbeiter/innen und Angestellte des öffentlichen Dienstes vertreten, Clinton unterstützen. Die größte LGBT-Gruppe, wichtige Umweltorganisationen und Organisationen, die für Frauengesundheit und den Zugang zu Abtreibung eintreten, taten es ihnen gleich. Und das, obwohl Sanders hinsichtlich vieler ihrer Kernthemen nachweislich eine bessere Bilanz vorzuweisen hat. Aber für die altgedienten Organisationen mit ihren empfindlichen Anhängerschaften, die sich keinen republikanischen Präsidenten leisten können und wichtige gesetzgeberische Vorhaben durchzusetzen haben, scheint Sanders ein zu großes Risiko und eine zu große Unbekannte zu sein. Abgesehen von Arbeitnehmergruppen verfügt er über keine engen Beziehungen zu liberalen Gruppen des Beltway und sie spielen keine führende Rolle in seiner Wahlkampagne.

Dies führt uns zurück zu den verhängnisvollen Unterschieden zwischen Occupy und der Tea Party. Sanders stellt für den politischen Status Quo in den Vereinigten Staaten eine große Herausforderung dar. Die Artikulierung eines radikalen Bruchs mit der aus den 1990er Jahren stammenden, sehr zurückhaltenden Auffassung von progressiver Politik hat bereits jetzt den Bereich des "Möglichen" in der amerikanischen Politik erweitert. Sanders hat Socialism erstmals seit einem Jahrhundert wieder zu etwas gemacht, von dem keine Bedrohung ausgeht. Aber seine Revolution könnte schnell zum Stillstand kommen, da die Grundlage für einen Erfolg nie gelegt wurde. Die Tea Party hat Jahre daran gearbeitet, Mainstream-Republikaner durch ihre eigenen Kandidaten zu ersetzen. Sie hat Gegeninstitutionen entwickelt und verlangt, dass Politiker aller Ebenen ihre harte, kompromisslose Weltsicht übernehmen. Occupy blieb hingegen außerhalb des Systems und hat in der Demokratischen Partei wie auch bei ihren zivilgesellschaftlichen Verbündeten keinerlei neue Strukturen geschaffen. Die Folge ist, dass Sanders beim Aufbau seiner Revolution bei null anfangen muss.

Das, was Sanders in den nächsten Monaten aufbaut, könnte jedoch den Weg für eine neue Politik in den Vereinigten Staaten ebnen.


Daraka Larimore-Hall ist Sekretär der California Democratic Party und Principal Consultant bei Modern Action Strategies. Er lebt in Santa Barbara.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 1/2016, Heft 212, Seite 4-8
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2016

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