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USA/358: Zu einigen Dingen, um die es im US-Wahlkampf nicht geht (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 42 vom 19. Oktober 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Amerikanische Schönheitskonkurrenz
Zu einigen Dingen, um die es im US-Wahlkampf nicht geht

von Klaus Wagener



Ginge es tatsächlich nach Matthäus 7/16, "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", oder besser, nach der politischen Performance, Barack Obama hätte am 6. November keine Chance. Vom großen Versprechen des Wechsels nach den dummdreisten Überheblichkeiten der Bush-Jahre ist allenfalls die seriöser wirkende Verkaufe geblieben. Dass er sie dennoch hat, verdankt er nicht zuletzt der bornierten, auf bedingungslose Reichenmast versessenen Grand Old Party (GOP), speziell ihres geradezu klassisch-finanzbornierten Private-Equity-Zockers, Mitt Romney, und dessen Prince of Darkness, Paul Ryan.

Als Obama 2008 gegen John McCain mit 53 zu 46 Prozent gewann, stand das Land am Abgrund der geplatzten Zockerblase, die in den Bush-Jahren die auslaufende Boomphase der erfolgreichen Rückeroberung des Ostens bis Mitte 2006 - mit reichlich Zentralbankgeld - noch einmal angeschoben hatte. Gleichzeitig stand die US-Army in Irak und Afghanistan vor dem Scherbenhaufen des von den Neocons mit "Demokratisierung" und "Nation-Building" verbrämten Interventionismus. Abu Ghraib und Guantánamo wurden zu Synonymen für die nun auch offizielle Rückkehr des "Leuchtturms der Freiheit" in die beeindruckenden Reihen der Folterstaaten. Die explodierenden Kriegskosten, die Bankenrettung sowie massive Steuererleichterungen für die Reichen führten zu einem Anstieg der Staatsverschuldung um 67 Prozent auf 10,7 Bio. Dollar. Ende der Clinton-Jahre war die Haushaltsbehörde des Kongresses (CBO) noch von einem strukturellen Budget-Überschuss von 850 Mrd. Dollar ausgegangen. Das hätte bis 2009 einen völligen Abbau der Staatsverschuldung erlaubt. Dank der Findigkeit des Herrn Bush kam es nicht dazu. Nach vier Jahren Obama ist die Bilanz ernüchternd. Guantánamo ist nicht geschlossen. Zu den Kriegsschauplätzen im Mittleren Osten sind die Kriege in Libyen und Syrien hinzugekommen. Der Drohnenkrieg wurde massiv ausgeweitet und der Kalte Krieg gegen Iran droht jederzeit in einen "heißen" und kaum mehr zu kontrollierenden Flächenbrand umzuschlagen. Das militärische Containment gegen Russland und China, des beargwöhnten "Eurasischen Blocks", wird verstärkt. Raketen"schutz"schilde installiert. Die Welt des Friedensnobelpreisträgers ist unsicherer geworden. Auch ökonomisch ist die Lage eher mäßig. Arbeitslosigkeit und Massenarmut sind weiterhin hoch. 46, 7 Mio. USBürger waren im Juli 2012 von Lebensmittelhilfen abhängig. Ein Plus von 50 Prozent unter Obama. Sein groß angekündigtes Konjunkturprogramm hatte er sich - ohne Not, vergeblich Zustimmung heischend - von den Republikanern in weiten Teilen zum Steuersenkungsprogramm umfunktionieren lassen.

Die Banken- und Reichenmast der Bush-Jahre wurde nicht kassiert. Entsprechend rasant wuchsen die Profite und die Einkommens- und Vermögensunterschiede. Gods own Country dürfte mit einem Gini-Koeffizienten von 0,84 eines, wenn nicht das Land mit der ungleichsten Vermögensverteilung weltweit sein. (Null bedeutet: Allen gehört gleich viel, 1 bedeutet absolute Ungleichheit, einem gehört alles). Und entsprechend wuchs die Staatverschuldung. Sie beträgt aktuell 16,158 Bio. Dollar und ist mit plus 51 Prozent fast so rasant weiter gestiegen wie unter seinem Vorgänger.

Die USA, die kapitalistische Weltwirtschaft, befindet sich offenbar in ihrer dritten großen Strukturkrise. Nach der Langen Depression von 1873-1896, der Großen Depression in den 1930er Jahren dürfte 2007 eine dritte große Überakkumulationskrise ausgebrochen sein. Von der bürgerlichen Ökonomie wird sie, wenn überhaupt, phänomenologisch als "Bilanzkrise" wahrgenommen. Staat und Verbraucher seien ver- und überschuldet. Diese Überschuldung müsse nun zurückgeführt werden. Die Modalitäten zur Bewältigung dieser Krise sind zum zentralen Element des wirtschaftspolitischen Machtkampfes der imperialistischen Blöcke geworden.

Die wirtschafts-, fiskal- und geldpolitischen Gegenstrategien bestehen im Kern in dem Versuch, bei Beibehaltung der kapitalistischen Profit- und Akkumulationsmaximierung mit Hilfe rigider Austeritätsregime die Bilanzen zu sanieren und die dabei notwendig entstehenden ökonomischen Kontraktionen geldpolitisch abzufangen. Dieses, in der nun zwei Jahrzehnte währenden japanischen Krise zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte Verfahren, besteht vor allem im Aufkauf von Staats- und Wertpapieren durch die Zentralbanken auf dem sogenannten Sekundärmarkt. Neben der japanischen BoJ betreiben es nun auch die englische BoE, die Schweizer BNS, die europäische EZB und die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) "Quantitativ Easing" (QE). Die Fed hatte im September ihr drittes Programm, QE3, begonnen. Diese Hunderte Milliarden schweren Programme treiben weltweit eine enorme Kursinflation und einen gigantischen Kapitalexport in die globalen Boomregionen. Außenhandelspolitisch tendieren sie damit zu einer Verbesserung der Währungsrelationen im Sinne der QE-Staaten. Allerdings auf Kosten der Stabilität der Schwellenländer. Konjunkturpolitisch sind sie letztlich, wie auch die diversen europäischen "Rettungsschirme", gigantische Wetten auf die Zukunft. Wie die geplatzten Immobilienblasen auch. Es gibt in den eigentlich entscheidenden Fragen zwischen Obama und Romney ebenso wenig Differenzen wie zwischen Steinbrück und Merkel. Strittig sind, wenn überhaupt, die Details. Selbst die republikanische Kampagne gegen "Obamacare", die von Republikanern und Lobbyisten ohnehin weichgespülte Gesundheitsreform (PPACA) muss im Falle eines Romney-Sieges nicht ohne weiteres die Rückkehr zum Status quo ante bedeuten. Die budgetrelevanten Effekte des PPACA, die bis 2019 rund 30 Mio. US-Bürgern den Zugang zu einer Krankenversicherung ermöglichen sollen, werden für die nächste Dekade bemerkenswert unterschiedlich eingeschätzt. Ebenso sind da die durchaus beträchtlichen Kosten von mehr als 200 Mrd. Dollar, die sich aus einer eventuellen Rücknahme des Gesetzes ergäben. Der inzwischen zur Hochform aufgelaufene US-Wahlkampf hat andere Sorgen. Die medial zu Richtungswahlen gepushten milliardenschweren PRKampagnen, die Gesamtkosten des US-Wahlkampfes 2012 werden von der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen auf bis zu 8 Mrd. Dollar geschätzt, richten sich primär auf Aussehen, Kleidung, Ehefrau, Erscheinungsbild und den Unterhaltungswert. Auf einen aggressiven Joe Biden, einen schlappen Barack Obama oder einen hölzernen Mitt Romney.

Die von ganzen Beraterstäben sorgfältig einstudierten Posen und Haltungen, die von Spindoktoren ausgeklügelten und auswendig gelernten Erklärungen machen diesen Schönheitswettbewerb im Eigentlichen zu einem Kampf der PR-Konzepte und -Agenturen. In ihm spiegelt sich prototypisch der reale Gehalt zeitgenössischer bürgerlicher Demokratie. Knapp gefasst ist es ein Rennen zwischen Microsoft, Google, der University of California und Harvard (Obama) gegen Goldman Sachs, Bank of America, JP MorganChase, Morgan Stanley und Credit Suisse (Romney). Die absehbare Perspektive ist wenig erbaulich. Der Versuch, die Bilanzen von Staat und Verbraucher in der Krise sanieren zu wollen, wirkt nicht nur krisenverstärkend, sondern konterkariert das Entschuldungsbemühen, wie in Griechenland vorgeführt, sehr effektiv. Wenn diese Austeritätsstrategien dazu noch weltweit organisiert werden, wird es vollends absurd. Alle finden sich dann fröhlich auf einem noch niedrigeren sozialen Niveau und noch niedrigerer Produktion bei den gleichen Ungleichgewichten wieder. Die absehbare Folge dürfte nicht einmal der japanische Krisenmodus sein. Dieser entwickelte sich in einem boomenden Umfeld. Wahrscheinlicher ist, wenn die Wirkungen der Geldschwemme nachlassen, ein sehr viel drastischerer Krisenverlauf, der dadurch befeuert wird, dass beispielsweise die Meinungsführer in Europa die Hoffnung hegen, schneller und stärker als andere "konsolidieren" zu können. "Wir wollen gestärkt aus der Krise hervorgehen" (Merkel). "Wir", das sind nicht die Bettler von Athen und die Obdachlosen von New York.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 42 vom 19. Oktober 2012, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2012