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USA/329: Obama und Pentagon zunehmend gespalten über Truppenabzug in Afghanistan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Juni 2011

Afghanistan: Obama und Pentagon zunehmend gespalten über Truppenabzug

Von Jim Lobe


Washington, 14. Juni. (IPS) - In den USA hat sich die Kontroverse über Umfang und Zeitplan des in wenigen Wochen beginnenden militärischen Rückzugs aus Afghanistan verschärft. Während sich im Kongress zunehmende Kriegsmüdigkeit zeigt, wird die Kluft zwischen den Vorstellungen des Pentagons und denen von Präsident Barack Obama immer größer.

Das Pentagon und prominente Neokonservative beharren darauf, dass die Aufstockung der Truppen um 30.000 Mann vor anderthalb Jahren die richtige strategische Entscheidung im Kampf gegen die Taliban gewesen sei. Alles, was in diesem Jahr über den Abzug von einigen Tausend der insgesamt fast 100.000 Soldaten hinausgehe, drohe alle bisherigen Erfolge zunichte zu machen, heißt es.

Er hoffe auf einen Rückzug von höchstens 3.000 Mann, sagte der republikanische Senator John McCain der 'Financial Times'. Gegen die Taliban müsse weitergekämpft werden. Die politischen Berater von Präsident Barack Obama, die eine starke demokratische Mehrheit und eine wachsende Zahl von Republikanern im Kongress hinter sich haben, wollen dagegen einen umfangreicheren Truppenrückzug durchsetzen. Der Vorsitzende des Militärausschusses im Senat, Carl Levin, forderte, dass mindestens 15.000 Militärangehörige zwischen Juli und Ende des Jahres abgezogen werden sollten.

Wenige Tage zuvor hatte sogar der Republikaner Norm Dicks, ein hochrangiges Mitglied des Unterausschusses im Repräsentantenhaus zur Kontrolle des Pentagon-Budgets, bereits vor 2014 ein Ende der US-Militärpräsenz in Afghanistan gefordert. Die derzeitigen Pläne sehen vor, dass die USA sowie die NATO, die über 40.000 Soldaten entsandt hat, ihre gesamte kämpfende Truppe bis zum Ende des Jahres 2014 abziehen.


Wachsende Kriegsmüdigkeit

"Wir müssen sehen, ob wir alles beschleunigen können", sagte Dicks der Zeitung 'Politico'. "Die meisten Amerikaner würden sich einen Abschluss vor 2014 wünschen." Auch im Kongress sei eine zunehmende "Kriegsmüdigkeit" zu beobachten.

Obama, der bisher von einem "signifikanten" Truppenrückzug sprach, lässt sich allerdings nicht recht in die Karten schauen. Laut dem Weißen Haus wartet der Präsident noch auf formelle Empfehlungen des scheidenden Verteidigungsministers Robert Gates, der kürzlich bei seinem Abschiedsbesuch in Afghanistan mit Militärkommandeuren sprach.

Seit US-Sondereinsatztruppen Anfang Mai in Pakistan den Terroristenführer Osama bin Laden töteten, ist die Debatte über den Rückzug immer hitziger geworden. Bis dahin hatte es so ausgesehen, als würde sich das Pentagon gegenüber Obama durchsetzen. Die Eliminierung bin Ladens gab dagegen Kriegsgegnern Auftrieb, die seit langem davon überzeugt sind, dass das Terrornetzwerk Al Kaida Afghanistan bereits seit zehn Jahren verlassen hat.

Die US-Militärstrategie sei zu ehrgeizig und weitgehend ineffektiv, argumentieren sie. "Wir stecken bis zur Brust im Treibsand fest", sagte Matthew Hoh, der die 'Afghanistan Study Group' leitet und selbst in dem Land stationiert war.

Im Kongress rücken derweil angesichts des klaffenden Haushaltsdefizits die enormen Kosten für den Afghanistan-Krieg zunehmend in den Blickpunkt. Monatlich fallen rund zehn Milliarden Dollar an. Hinzu kommen weitere 300 Millionen Dollar zur Finanzierung ziviler Hilfsprojekte.

Im Repräsentantenhaus wäre im vergangenen Monat beinahe eine Gesetzesänderung durchgekommen, die Obama dazu verpflichtet hätte, einen Plan für den Truppenabzug vorzulegen und der afghanischen Regierung rasch die Oberhoheit über die Militäroperationen zu geben. Lediglich acht Demokraten und 26 Republikaner stimmten dagegen. Das Ergebnis mag auch damit zusammengehangen haben, dass das Vorgehen der USA in Libyen ebenfalls auf scharfe Kritik stößt.

Das Abstimmungsergebnis, das als klares Zeichen für Kriegsüberdruss gewertet wurde, brachte wiederum das Pentagon dazu, seine Kampagne für einen "moderaten" Rückzug zu verschärfen.


Umfrage belegt Rückhalt für raschen substanziellen Rückzug

Eine Meinungsumfrage der 'Washington Post' und des TV-Kanals ABC ergab einerseits, dass die Zahl derjenigen, die die bisherigen Kosten des Afghanistan-Kriegs als gerechtfertigt sehen, von 31 Prozent im März auf 43 Prozent nach bin Ladens Tod gestiegen ist. Zugleich wurde aber auch deutlich, dass drei von vier Befragten einen "umfangreichen" Militärabzug in diesem Sommer befürworten.

Verteidigungsminister Gates nennt zwar keine genauen Zahlen, hat aber klargestellt, dass er so viele Truppen wie möglich in Afghanistan belassen wolle. "Wir sollten zumindest in den nächsten Monaten den Fuß nicht vom Gaspedal nehmen", sagte Gates. Der Vorsitzendes des Auswärtigen Senatsausschusses, John Kerry, kritisierte dagegen, dass das derzeitige militärische und finanzielle Engagement der USA in Afghanistan weder den nationalen Interessen entspreche noch nachhaltig sei. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2011