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USA/306: Tea Party, Oath Keepers und ähnliche Gruppierungen (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2010

Tea Party, Oath Keepers und ähnliche Gruppierungen - Background, Weltanschauung und Ziele

Von Lewis Hinchman


Immer mehr politische Bewegungen in den USA orientieren sich an einer rechtskonservativen Haltung à la Sarah Palin und üben harte Kritik an der Politik Obamas.


Wer die politische Schlagkraft der Tea Parties und anderer rechtsextremistischer Gruppen in Amerika bezweifelt hat, muss nach den Ergebnissen der Republikanischen Vorwahlen und Parteiversammlungen im Frühling von ihr überzeugt sein. Im Bundesstaat Utah kam der erzkonservative Senator Robert Bennett auf den dritten Platz im Nominierungsverfahren seiner Partei, weit hinter zwei Rechtsextremisten. In Nevada siegte die von der Tea Party unterstützte Kandidatin Sharron Angle in der Vorwahl für einen Senatssitz. Sie verspricht, das Bundesumweltschutzamt (E.P.A.) und sogar die staatlichen Altersrenten abzuschaffen. Der Republikanische Gouverneur von Florida Charlie Crist wollte auch für einen Senatssitz kandidieren, seine Partei verweigerte ihm jedoch trotz seiner hohen Quoten die Nominierung zu Gunsten eines "hardliners". Crist will nun als Unabhängiger in den Wahlkampf eingreifen. Und im Bundesstaat Kentucky hat der libertäre Rand Paul die republikanische Vorwahl gegen eine vom Parteiestablishment bevorzugte Kandidatin gewonnen. Paul hat Präsident Obamas Kritik an BP wegen der Ölkatastrophe im Golf als "unamerikanisch" angeprangert. Außerdem behauptet er, dass die Bürgerrechtsgesetze der USA nie auf Privatunternehmen hätten angewendet werden dürfen. Wenn etwa ein Restaurant oder Hotel keine Afro-Amerikaner bedienen will, dann habe der Staat keine Befugnis, sich für sie einzusetzen.


Kritik an Amerika ist Verrat

Die Tea Party-Bewegung ist die auffälligste und populärste Erscheinungsform des rechtsradikalen Unbehagens in Amerika. Laut einer Meinungsumfrage Ende März unterstützt ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ihre Ziele. Dabei sind die dezentralisierten Tea Parties lediglich ein Element eines weit verzweigten Komplexes ineinandergreifender rechter Organisationen. Sie haben beispielsweise enge Beziehungen zu dem 9/12-Projekt, das vom rechtsradikalen Medienstar Glenn Beck gegründet wurde. Die 9/12-Bewegung will den Geist des 11.9.2001 wiedererwecken, als die Amerikaner nach dem Terroranschlag angeblich "zusammen standen." Sie machte neun Grundsätze, alle durch Zitate von den "Gründervätern" unterlegt, und zwölf Werte als Programm für ihre Anhänger bekannt. Die Werte nehmen sich meistens recht harmlos aus ("Redlichkeit", "Sparsamkeit"), aber die Grundsätze lassen eine brisantere Agenda durchblicken: "Amerika ist gut"; "Ich glaube an Gott und Er ist der Mittelpunkt meines Lebens"; "Ich arbeite hart für das, was ich habe, und es liegt an mir, mit wem ich es teile. Der Staat kann mich nicht zwingen, großzügig zu sein." Zwischen den Zeilen liegt die Botschaft, dass Kritik an Amerika Verrat ist, Atheisten und Nicht-Christen sich mit religiöser Indoktrination abfinden sollen und sozialstaatliche Programme weg müssen.

Am extremen Rand lauern die birthers, die die Ente glauben, dass Obama nicht auf amerikanischem Boden geboren worden wäre und deswegen keinen Rechtsanspruch auf das Präsidentenamt hätte. Obwohl derartige Verleumdungen schon längst widerlegt worden sind, machen sie immer noch die Runde. Der Präsident ist überhaupt in vielerlei Hinsicht zum Blitzableiter für den Zorn und Frust der Rechten geworden. Laut einer neuen Sondierung glaubt eine Mehrheit der Republikaner, dass er Muslim und Sozialist ist und "die Souveränität der Vereinigten Staaten einer Weltregierung übergeben will".

Der Verdruss der Rechten über Obama und ihre Begeisterung für Verschwörungstheorien rufen auch bedrohliche bewaffnete Bewegungen auf den Plan. Die selbsternannten Milizen, meist auf Bundesstaatsniveau organisiert, greifen schon wieder um sich. Zahlenmäßig sind sie noch nicht so stark wie 1996, als Milizenmitglied Timothy McVeigh das bundeseigene Murrah-Gebäude in Oklahoma City sprengte. Die Anzahl ihrer Ortsgruppen hat sich jedoch seit dem vergangenen Jahr um 90 erhöht und beträgt bereits 130. Dieser Anstieg geht zum Teil auf ein Gerücht zurück, das Waffenfanatiker verbreitet haben, demzufolge Obama und die Demokraten den Waffenbesitz verbieten würden. Innerhalb des Militärs ist ein neuer Verband, die Oath Keepers:, entstanden, dessen Mitglieder einen Eid ablegen, sich gegen die Obama-Regierung zur Wehr zu setzten, falls sie - wie von dieser Gruppe erwartet - das Kriegsrecht einführt und amerikanische Staatsbürger inhaftiert. Die Oath Keepers pflegen sowohl mit den Tea Parties als auch mit Glenn Beck und seiner 9/12-Bewegung wie auch mit dem Eagle Forum (Abtreibungsgegner) enge Beziehungen.


Eigene Verfassungsinterpretation

An der Oberfläche mutet das Programm der Rechten ziemlich harmlos, ja sogar vernünftig an: überhandnehmende Haushaltsdefizite einschränken, Steuern und verschwenderische Staatsausgaben kappen, die Basisdemokratie neu beleben und sich streng an die Verfassung und Bill of Rights halten. Eine nähere Betrachtung lässt ihre Ansichten stark beunruhigend erscheinen. Fangen wir mit ihrer oft wiederholten Verfassungsehrfurcht an. Viele Tea Party- und 9/12-Aktivisten machen geltend, dass es der US-Bundesregierung verfassungsrechtlich an der Befugnis fehlt, viele für einen modernen Staat unverzichtbare Leistungen zu erbringen: etwa Umweltschutz, die Aufsicht über das Finanz- und Bankensystem, die Konjunkturpolitik oder die Garantie einer Krankenversicherung für jeden Staatsbürger. Sie stellen heraus, dass die Verfassung dem Kongress nur bestimmte, ausdrücklich aufgezählte Verantwortungsbereiche zuerkannt habe. Alle Gesetze, die der Kongress über diese Bereiche hinaus verabschiedet hat, seien prima facie widerrechtlich. Kurzum, die wahre Macht liege im Verfassungssystem der USA bei den Einzelstaaten, die grundsätzlich ihnen unliebsame Gesetze (wie die neue Krankenversicherungsreform der Obama-Regierung) für ungültig erklären dürfen. Diese Interpretation der Verfassung wurde schon 1819 vom Obersten Gericht im Fall McCulloch vs. Maryland abgelehnt, später von der südlichen Sklavenhalterelite wieder aufgenommen und vom Bürgerkrieg und dem 14. Verfassungszusatz (1868) endgültig diskreditiert. Also ist das, was die Rechte predigt, eine Art Verfassungsfundamentalismus: zurück zum historischen wortwörtlichen Sinn des Dokuments. Dementsprechend will Glenn Beck seine Gefolgschaft davon überzeugen, dass die Gründerväter einen Plan für Amerika hatten, den "die Liberalen" entgleist hätten. Kehre Amerika bloß zum Buchstaben der Verfassung zurück, wäre alles wieder in Ordnung. Diese Einstellung läuft einem dauerhaften Konsens zuwider, dem gemäß die US-Verfassung sich informell entwickeln und verändern müsse, sonst lebten die Amerikaner unter der Herrschaft der moralischen und rechtlichen Maßstäbe, die vor 230 Jahren entstanden sind.

Die Angriffe auf Haushaltsdefizite und verschwenderische Staatsausgaben, die häufig in der Rhetorik der Tea Party und ihrer Mitläuferorganisationen vorkommen, klingen so lange überzeugend, bis deren Alternativvorschläge benannt werden. Die klügeren Köpfe in der Bewegung verstehen, dass die Defizite zum Großteil durch ungenügende Steuereinnahmen und wegen großer sozialstaatlicher Programme, wie der Krankenversicherung für die Armen und Älteren sowie der Altersrenten, verursacht worden sind. Anstatt die einschlägigen Steuersätze zu erhöhen, wollen sie diese Programme privatisieren oder abschaffen. In Wahrheit kümmert sich die Rechte jedoch wenig um Defizite. Ein Senator aus Arizona, Jon Kyl, hat die verborgene Agenda seiner Gesinnungsgenossen entlarvt. Er behauptet, dass alle neuen Ausgaben durch Haushaltskürzungen bei anderen Programmen ausgeglichen werden müssen. Dieselbe Regel gelte hingegen nicht für Steuersenkungen, obwohl sie gleichfalls Haushaltsdefizite nach sich ziehen. Also ist der wahre Zweck dieses Ansinnens, dem Staat das für sein Fortbestehen unentbehrliche Geld vorzuenthalten, um letztlich die Hypothese der Rechten zu bestätigen, dass der moderne Staat dysfunktional ist! Wird dies erreicht, dann gestaltet sich die nächste Steuersenkungsrunde und die Aushöhlung des Sozialstaates umso einfacher.

Schließlich darf auch das oft proklamierte Ziel der Tea Party und ihrer Verbündeten, Staatsbehörden und -dienste wie die Federal Reserve, das Umweltschutzamt und die US-Steuerbehörde abzuschaffen, nicht verkannt werden. Auch in dieser Frage hat sich seit der Progressiven Ära (im frühen 20. Jahrhundert) ein Konsens gehalten, dass es dem Einzelnen an den Ressourcen fehle, sich gegen mächtige Unternehmen und systemische Risiken zu behaupten. Daraus wurde gefolgert, dass der Bund sich als Fürsprecher und Tribun im Interesse des Durchschnittsbürgers einschalten müsse. Kein Wunder, dass Tea Party-Liebling Sarah Palin so viel Lob für die "Volksbildungskampagne" Glenn Becks gegen den Progressivismus übrig hatte. Da Beck schon die Legitimität der Sozialpolitik des New Deals und der Great Society bestreitet, warum nicht gleich auch den ursprünglichen, in der Epoche des Progressivismus erreichten Konsens über die erweiterte Rolle des Staates in der modernen Wirtschaft und Gesellschaft ins Visier nehmen? Wenn seine Argumente genug Unterstützung fänden, so würden am Ende die politischen und ökonomischen Errungenschaften des ganzen 20. Jahrhunderts rückgängig gemacht.


Zurück ins 19. Jahrhundert?

Und wenn die Tea Party (vermittels der Republikanischen Partei) in den November-Wahlen an die Macht käme? Wahrscheinlich läge ein Patt zwischen Obama und dem Kongress vor, das eine konsequente Umsetzung des rechten Programms verhindern würde. Aber auch so könnte die Rechte das Diskursfeld der US-Politik dauerhaft in ihrem Sinne beeinflussen. In Amerika will jede Partei die Mitte besetzen, aber diese wird immer aufgrund eines Vorverständnisses dessen bestimmt, was in der Politik als maßgebend zählen soll. Zunehmend hat die Tea Party das nationale Gespräch auf Themen wie Verfassungstreue und Abbau des Staates umgelenkt. Wenn die rechte Seite des Meinungsspektrums über diese Themen durch die Verfassungsideologie der südstaatlichen Sklavenhalter und eine ungezügelte Marktwirtschaft definiert wird, dann befinden wir uns noch einmal im Diskursfeld des 19. Jahrhunderts - genau dort, wo die Tea Party uns platzieren möchte.


Lewis Hinchman (* 1946) ist Professor für Politikwissenschaft an der Clarkson University in Potsdam/New York. Veröffentlichte 2007 gemeinsam mit Thomas Meyer das Buch: The Theory ofSocial Democracy.
lhinchma@clarkson.edu


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2010, S. 33-36
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Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2010