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OSTEUROPA/383: Die Wahl der Oligarchen (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 2. April 2019
german-foreign-policy.com

Die Wahl der Oligarchen


KIEW/BERLIN - Signifikante Unregelmäßigkeiten haben am Sonntag die Präsidentenwahl in der von Berlin protegierten Ukraine begleitet. Wie berichtet wird, sind nicht nur die Namen hunderttausender toter Ukrainer nicht von der Wählerliste entfernt worden, während hunderttausende, möglicherweise Millionen in Russland lebende Ukrainer faktisch von der Wahl ausgeschlossen wurden. Laut Aussage des Innenministers in Kiew haben Wahlkämpfer von Präsident Petro Poroschenko in zahlreichen Fällen versucht, Wähler per Bestechung zu gewinnen. Die Nationale Miliz, eine faschistische Kampfgruppe, hat nicht nur gewalttätig Wahlkampfveranstaltungen gestört, sondern ist mit einigen hundert Mitgliedern auch als Wahlbeobachter aufgetreten. Vorab hatte einer ihrer Anführer erklärt, sollte seine Vereinigung es dabei im Sinne angeblicher "Gerechtigkeit" für notwendig halten, "jemanden ins Gesicht zu treten, dann werden wir das ohne Zögern tun". Die bevorstehende Stichwahl ist laut Beobachtern, weil Poroschenkos Rivale Wolodimir Selenskij von einem Milliardär gefördert wird, faktisch ein Machtkampf zwischen zwei Oligarchen.

Tote auf der Wählerliste

Die Vorwürfe wegen formaler Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit den Wahlen treffen zu einem erheblichen Teil den Präsidenten und seine Regierung. So sind etwa - das hat ein regierungskritisches Internetportal aufgedeckt - die Namen von rund 200.000 verstorbenen Ukrainern nicht von der Wählerliste gelöscht worden. Mit ihren Stimmzetteln konnte mutmaßlich ebenso gewählt werden wie mit denjenigen der Bewohner von Kiewer Apartements, in denen laut Recherchen des Teams von Poroschenkos Konkurrentin Julia Timoschenko jeweils bis zu 300 Personen gemeldet waren.[1] Nicht wählen konnten hingegen Hunderttausende, laut russischen Angaben sogar bis zu zwei Millionen Ukrainer, die in Russland leben. Während die ukrainische Regierung in diplomatischen Vertretungen im westlichen Ausland umstandslos Wahlurnen aufstellen ließ, war dies in Russland nicht erlaubt. Bei Ukrainern, die nicht etwa in Polen, sondern in Russland Arbeit und Zuflucht gesucht haben, darf eine Ablehnung der exzessiv antirussischen Politik von Präsident Poroschenko unterstellt werden.

Stimmenkauf

Hinzu kommen weitere Unregelmäßigkeiten. Am Wahltag selbst wurden laut Angaben der Polizei rund 1.700 Verstöße gegen das Wahlgesetz gemeldet; dabei hat es sich etwa um das Ablichten angekreuzter Stimmzettel sowie um unzulässige Wahlwerbung in Wahllokalen gehandelt. In einem Kiewer Wahlbezirk sollen die Wahlprotokolle bereits gut zwei Stunden vor Schließung der Wahllokale unterzeichnet worden sein.[2] Auch vom Diebstahl von Stimmzetteln wurde berichtet. Schon drei Tage vor dem Wahltag hatte Innenminister Arsen Awakow mitgeteilt, ihm lägen hunderte Beschwerden vor, laut denen die Wahlkampfteams von Poroschenko wie auch von Timoschenko potenziellen Wählern Bestechungsgelder zahlten; vor allem Bestechungsversuche durch Poroschenko-Mitarbeiter seien auf zahllosen Fotos und Videos dokumentiert. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass Awakow selbst politische Ambitionen verfolgt und dies Auswirkungen auf die Gewichtung seiner Äußerungen haben kann.[3] Manche vermuten, er habe auf die Kooperation mit Timoschenko gesetzt, die eine Zeitlang in Umfragen auf dem ersten oder zweiten Platz lag.

Die "Nationale Miliz"

Bereits der Wahlkampf ist nicht nur von Bestechungsversuchen, sondern auch von diversen Attacken auf Wahlkampfveranstaltungen überschattet worden. Dabei wurden neben Veranstaltungen des Siegers der ersten Wahlrunde, Wolodimir Selenskij, auch Auftritte von Timoschenko gestört; bei einer Timoschenko-Veranstaltung in Kiew warfen Unbekannte Rauchbomben ins Publikum.[4] Poroschenkos Wahlkundgebungen sind ebenfalls mehrmals attackiert worden. Dabei hat sich vor allem eine Organisation namens Nationale Miliz hervorgetan, die letztlich aus dem faschistischen Bürgerkriegs-"Bataillon Asow" entstanden ist. Zu einem Zusammenstoß mit der Polizei kam es, als vermummte Kämpfer der Miliz am 9. März versuchten, die Tore zum Gelände um den Amtssitz des Präsidenten aufzubrechen. Am selben Tag wurden 20 Polizisten verletzt, als die Nationale Miliz in Tscherkassy Poroschenkos Wagenkolonne zu blockieren versuchte.[5] Die Angriffe der Miliz auf den Präsidenten gelten als besonders pikant, weil Innenminister Awakow signifikanten Einfluss auf die Faschisten haben soll; er unterhält gute Beziehungen zum Gründer des "Bataillons Asow", Andrij Bilezkij, der einen Sitz im ukrainischen Parlament innehat.[6]

"Ins Gesicht treten"

Die Nationale Miliz hat nicht nur gewalttätig in den Wahlkampf eingegriffen, sondern auch am Wahltag selbst eine herausragende Rolle gespielt: Die Organisation, die nicht zuletzt für Angriffe auf Roma-Lager berüchtigt ist (german-foreign-policy.com berichtete [7]), stellte insgesamt 363 Wahlbeobachter. Einer ihrer Anführer wurde vorab mit der Aussage zitiert, sollte es "im Interesse der Gerechtigkeit" sein, "jemanden ins Gesicht zu treten, dann werden wir das ohne Zögern tun".[8] Die Aussicht, dass mehrere hundert gewalttätige Faschisten die Wahl in der Ukraine überwachen, die laut Darstellung der westlichen Mächte unter ihrer Protektion auf dem Weg zur Musterdemokratie sein soll, hat Frankreichs Botschafterin in Kiew, Isabelle Dumont, bewogen, im Namen der G7 einen Brief an Innenminister Awakow zu schreiben. Darin heißt es, man sei ernsthaft über "extreme politische Bewegungen besorgt", die "ukrainische Bürger einschüchtern, versuchen, die Rolle der nationalen Polizei bei der Absicherung der Wahlen zu übernehmen", und damit "den nationalen und internationalen Ruf der ukrainischen Regierung beschädigen".[9] Der Appell ist wirkungslos verpufft.

"Freiheitskämpfer"

Freilich handelt es sich bei den faschistischen Banden, an deren Gewalttaten die G7 heute Anstoß nehmen, um dieselben Schläger, die bereits die Maidan-Proteste blutig eskalieren ließen. Damals wurden sie im Westen als "Freiheitskämpfer" hofiert (german-foreign-policy.com berichtete [10]).

Der Schauspieler und sein Finanzier

Mit Blick auf den Wahlkampf zur zweiten Runde der Präsidentenwahl, die für den 21. April angekündigt ist, sagen Beobachter voraus, die Sache werde jetzt wohl so richtig "schmutzig" werden.[11] Amtsinhaber Poroschenko, ein Oligarch, hat in der ersten Runde knapp 16 Prozent erzielt und liegt weit hinter seinem Herausforderer Selenskij zurück, der 30 Prozent gewinnen konnte. Selenskij wiederum, ein Schauspieler, steht seinerseits dem Oligarchen Ihor Kolomoiskij nahe, auf dessen Fernsehsender 1+1 seine Erfolgsserie "Diener des Volkes" läuft, eine Satire über die ukrainische Politik. Kolomoiskij war einst Gouverneur der Oblast Dnipropetrowsk, bevor er im März 2015 von Poroschenko im Konflikt entlassen wurde. Ein halbes Jahr später ging auf 1+1 Selenskijs Serie auf Sendung, die maßgeblich beigetragen hat, den von Kolomoiskij geförderten Schauspieler zum führenden Rivalen des Präsidenten aufzubauen. Beobachter beschreiben den nun bevorstehenden Wahlkampf zur Stichwahl um das Präsidentenamt als De facto-Machtkampf zwischen zwei Oligarchen: Poroschenko und Kolomoiskij.[12]


Anmerkungen:

[1] Reinhard Lauterbach: Fernsehheld vorn. junge Welt 30.03.2019.

[2] Reinhard Lauterbach: Ukraine: zweite Runde. jungewelt.de 31.03.2019.

[3] Yuras Karmanau: Ukraine minister: President and rival both bribing voters. washingtonpost.com 29.03.2019.

[4] Reinhard Lauterbach: Jagd auf "tote Seelen". junge Welt 16.02.2019.

[5] Reinhard Veser: Wer Gewalt sät. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.03.2019.

[6] Zu Bilezkij s. auch Radikalisierung im Parlament
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6439/
und Nationalistische Aufwallungen.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6446/

[7] S. dazu Euros für Bandera.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7878/

[8] Matthew Schaaf: Why Is a Militia Monitoring Ukraine's Presidential Election? freedomhouse.org 12.03.2019.

[9] Christopher Miller: G7 Letter Takes Aim At Role Of Violent Extremists in Ukrainian Society, Election. rferl.org 22.03.2019.

[10] S. dazu Nützliche Faschisten,
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6187/
Vom Stigma befreit
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6213/
und "Faschistische Freiheitskämpfer".
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6293/

[11], [12] Roman Olearchyk, Ben Hall: Ukraine election turns ugly as president and comic reach run-off. ft.com 01.04.2019.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2019

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