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OSTEUROPA/264: Ukraine - Lage vor und nach den Parlamentstagungen vom 13.-16.01.09 (Tlaxcala)


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Lage in der Ukraine vor und nach den Plenartagungen des Parlaments vom 13. bis 16. Januar 2009 - Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen in die Ukraine und nach Europa

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 23.01.2009


Die Ukraine befindet sich in einem Zustand zunehmender Rivalität unter den politischen Hauptkräften, den Lagern von Staatspräsident Viktor Juschtschenko, von Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und von Oppositionsführer Viktor Janukowitsch. Der Streit spitzte sich insbesondere zum Ausgang des Jahres 2008 zu. Inzwischen schlägt Juschtschenko gegenüber Frau Timoschenko wieder gemäßigtere Töne an. Der Präsident hat sogar zusammen mit Frau Timoschenko Anfang Januar gemeinsame Briefe an den IWF und an die russische Regierung unterschrieben. Gegenüber dem IWF entschuldigten sie sich gemeinsam dafür, dass auf Grund der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise nicht alle Auflagen des Abkommens mit dem IWF erfüllt werden können. Auch der Gasstreit mit Russland, inzwischen als Erdgaskrieg bezeichnet, hat möglicherweise dazu beigetragen, dass sich Frau Timoschenko und Juschtschenko wieder etwas näher gekommen sind. Allerdings sind grundsätzliche Gemeinsamkeiten beider weiterhin nicht in Sicht.

Frau Timoschenko hat die erste Runde der Auseinandersetzungen mit Staatspräsident Juschtschenko insofern für sich entschieden, als sie die vorgezogenen Parlamentswahlen verhindern konnte. Der Einfluss des Staatspräsidenten wurde von ihr weiter zurückgedrängt. Es wurden unter ihrer weiter bestehenden Regierung wichtige Antikrisengesetze im Parlament verabschiedet und mit der allerdings knappsten Mehrheit von 226 von insgesamt 450 Stimmen im Parlament auch der Staatshaushalt für 2009 verabschiedet, den der Staatspräsident dann nur widerwillig unterschrieben hat. Festzustellen ist, dass das ukrainische Bruttoinlandsprodukt und die Industrieproduktion im Jahre 2008 bis zum dritten Quartal das schnellste Wachstum der letzten Jahre aufzuweisen hatten. Die Landwirtschaft verzeichnete 2008 eine Rekordernte. Abgerutscht ist allerdings im kritischen Grade die ukrainische Währung. Der Kurs des Grywnja (Hrywnja) erreichte 10,78 = 1 Euro (Stand vom 13. Januar 2009). Das bedeutet mehr als eine Halbierung seines Devisenwerts innerhalb von drei Monaten. Dadurch erhöhte sich auch die Inflationsrate beträchtlich. Rückgänge der Industrieproduktion gibt es in erheblichem Maße seit November 2008.

Der Kampf Juschtschenkos gegen Frau Timoschenko geht im Grunde weiter. Der Chef des Präsidentenkanzlei Baloga (Baloha) steht nach wie vor bereit, das Amt des Ministerpräsidenten der Ukraine zu übernehmen. Das Jahr 2009 wird, wie auch der stellvertretende Parlamentsvorsitzende Mikola Tomenko in einer Stellungnahme feststellte, neben den weiteren Bemühungen um die Überwindung der Folgen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Ukraine vor allem vom Wahlkampf um die Präsidentschaft geprägt sein. Die Präsidentschaftswahl soll nun nach den in der ukrainischen Verfassung vorgesehenen Terminen im Dezember 2009 oder spätestens im Januar/Februar 2010 stattfinden. Sie könnte aber auch vorgezogen werden.

Im ukrainischen Parlament (der Werchowna Rada) gibt es eine Mehrheit, die für ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) gegen Präsident Juschtschenko ist. Nur mit Winkelzügen gelingt es Anhängern von Juschtschenko, bisher dazu endgültige Beschlussfassungen zu blockieren. Mit 383 Stimmen wurde aber bereits ein Beschluss zur Bildung einer Provisorischen Sonder- und Untersuchungskommission der Werchowna Rada gefasst, die sich mit Vorwürfen gegen Präsident Juschtschenko befassen soll. Nun soll ein entsprechendes Gesetz angenommen werden. In der Annahme dieses Gesetzes sieht Parlamentsvorsitzender Litwin großen Sprengstoff, weil sich Juschtschenko, wie er schon angekündigt hat, dagegen mit allen Mitteln wehren will. Juschtschenko versucht sich auch mit der Mehrheitspartei im Parlament, der pro-russischen Partei der Regionen unter Janukowitsch, zu arrangieren. Frau Timoschenko wünscht sich eine Ukraine ohne Juschtschenko und Janukowitsch in der Opposition.

Was die Folgen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise anbetrifft, so wurden im Kiewer Parlament, wie schon gesagt, bereits wichtige Antikrisengesetze verabschiedet darunter auch der Staatshaushalt für 2009. Das alles beherrschende Thema ist dann der Gasstreit mit Moskau geworden. Russland hat wegen rückständiger Zahlungen von über 2 Mrd. US-Dollar die Gaslieferungen für die Ukraine ab 1. Januar gestoppt (von ukrainischer Seite wurden bis Ende 2008 von 3,2 Mrd. US-Dollar nur 1 Mrd. bezahlt). Darauf zapfte man in der Ukraine illegal Gasleitungen für nach West- bzw. Mittel- und Südosteuropa bestimmtes Gas an, worauf Gazprom sämtliche Gaslieferungen durch die Ukraine auch nach West-, Mittel- und Südosteuropa einstellte. Es geht auch um den Gaspreis. 2008 bezog die Ukraine Erdgas zu einem vergünstigten Lieferpreis von 179,50 US-Dollar für 1000 Kubikmeter Gas. Die ukrainische Seite aber meinte, nur einen Gaspreis von 100 $ zahlen zu müssen und den wollte sie auch für 2009. Obendrein meint Juschtschenko auch noch, dass die Ukraine als NATO-Mitglied den Niedrigstpreis beanspruchen könne. Er tritt Moskau laufend vors Schienenbein und wurde immer frecher. Der Erdgaspreis gegenüber der EU beträgt 450 US-Dollar für 1000 Kubikmeter und den müsste die Ukraine eben zahlen, wenn seine Führung Russland als Feindesland betrachtet. Weltmarktpreise müssen dann auch für andere Rohstoffe gelten. Sog. Freundschaftspreise, die bei der Hälfte des Weltmarktpreises und darunter liegen, kann Russland nicht gewähren, wenn die Ukraine ein NATO-Staat und EU-Staat werden sollte, aber es kann sie auch dann nicht gewähren, wenn es keine Kontrolle über die Weiterleitung des Erdgases an seine Bestimmungsorte durch zuverlässige Experten gibt. Z. B. muss es sicher sein, dass billig für die Ukraine bestimmtes Erdgas nicht zu russischen Preisen mit Aufschlag, aber dennoch noch unter dem Weltmarktpreis weiterverkauft wird, woran dann ukrainische und auch sonstige Spekulanten verdienen würden. Aus Moskau hieß es, dass der Gaspreis weiter verhandelbar sei, verhandelbar sei auch eine etappenweise Anhebung des Gaspreises und Moskau bietet auch großzügige Kredite an. Russische Gaskredite wollen aber merkwürdigerweise die NATO-Staaten und damit auch Juschtschenko nicht. Juschtschenko versuchte bis zuletzt zu verhindern, dass auch russische Beobachter Mitglieder der Überwachungskommission zur Kontrolle des Gastransits nach für 1000 Kubikmeter Gas werden. Das ist ihm offenbar misslungen. Am 11. Januar unterzeichene Ministerpräsidentin Timoschenko das erste Abkommen über Transitgasleitungen, so wie es auch von Russland akzeptiert worden war, das auch russische Beobachter (sog. Spezialisten) in gleicher Zahl wie ukrainische Beobachter (Spezialisten), ferner Beobachter der west-, mittel- und südosteuropäischen Hauptverbraucherländer als Kontrolleure zulässt.

In dieser Woche wird dann von Russland und der Ukraine ein neuer Erdgasvertrag abgeschlossen werden (s. unten).

Die Timoschenko-Regierung ist im Grunde weiter eine Regierung im Schwebezustand ohne den schon längs fälligen neuen Koalitionsvertrag. Es gibt nur eine vorläufige Vereinbarung zwischen Juschtschenko als Vorsitzender des Blocks "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" und Frau Timoschenko als Vorsitzende des Timoschenko-Blocks im Parlament, die Regierung provisorisch bestehen zu lassen, bis es den neuen Koalitionsvertrag auch zuminderst mit dem Litwin-Block gibt.

Die derzeitige Kabinettszusammensetzung (sie ist noch aus der Zeit vor dem September 2008, also vor der Zeit, als der Juschtschenko-Block im Parlament die bestehende Koalition kündigte) erschwert die Arbeit von Regierungschefin Timoschenko weiterhin erheblich. Ständig reden ihr z. B. der vom Juschtschenko ernannte Außenminister Ogrizko und Verteidigungsminister Jechanurow dazwischen. So verlautete bezüglich des Kompromisses mit Moskau über die Beobachter des Transitnetzes vom 11. Januar aus dem Außenministerium, dass Russland damit die alleinige Kontrolle des Gasnetzes der Ukraine errichten wolle, was natürlich Unsinn ist, da zahlreiche Beobachter aus der EU bei den Kontrollen tätig sind und der Ukraine insgesamt und auch an den wichtigen Gastransitnetz-Punkten die gleiche Beobachterzahl wie Russland zugesichert wurde.

Der NATO-Beitritt der Ukraine, ein Sehnsuchtswunsch der Washingtoner Lakaien in Kiew, Juschtschenko und seiner Entourage, wird weiter heiß umkämpft bleiben. Es gibt ein von Juschtschenko mit der USA-Regierung Mitte Dezember 2008 abgeschlossenes Abkommen zur strategischen Partnerschaft auf militärischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Es soll als Vorstufe des NATO-Beitritts der Ukraine dienen, ist aber vorerst völkerrechtlich seitens der Ukraine nur eine Absichtserklärung, da es noch nicht vom Parlament gebilligt wurde.

Während eines Besuches des ukrainischen Parlamentsvorsitzenden Litwin in Moskau Ende Dezember 2008 erklärte der russische Duma-Vorsitzende Gryslow, dass ein Beitritt der Ukraine zur NATO zu für Russland unakzeptablen schmerzhaften Veränderungen im Verhältnis beider Staaten führen würde. Ein anderes sehr schmerzhaftes Problem, sagte Gryslow, war die Position der Ukraine, speziell ihres Präsidenten, während des georgisch-russischen Konfliktes. Auch eine wachsende antirussische Hysterie, die mit dem angeblichen Genozid am ukrainischen Volk durch Hunger ausgelöst wurde, beunruhigt uns sehr, erklärte Gryslow.

Litwin erklärte seinerseits, "dass die sensiblen Fragen für Russland, auch für die Ukrainer sehr sensibel sind. Er erklärte: "In dieser komplizierten Zeit zeigt sich wahre Freundschaft und Unterstützung. Notwendig ist eine Bestandsaufnahme der Probleme, notwenig ist es, dazu Prioritäten ihrer Lösung festzulegen, und den Problemkomplex konsequent zu lösen". "Im ukrainischen Parlament", so sagte Litwin, "haben sich über ein Drittel der Abgeordneten zu einer Freundschafts-Gruppe mit Russland zusammengeschlossen An dieser Freundschaft ist das ganze ukrainische Volk sehr interessiert. Wir in der Ukraine machten eine politische Krise durch und diese Krise ist noch nicht überwunden. Jetzt beginnt sich die Situation zu verändern. Wir haben die Krise im wirtschaftlichen Bereich aufgehalten, Alle sensiblen Probleme befinden sich im Stadium der öffentlichen Diskussion. Erforderlich ist es, einen normalen Dialog einzustimmen, 37 Prozent der Ukrainer haben doch Verwandte in Russland."

Was den NATO-Beitritt anbelangt, so ist dieses Frage erst einmal zurückgestellt worden. Einen völkerrechtlich gültigen Vertrag der strategischen Partnerschaft auf militärischem und wirtschaftlichern Gebiet konnten die USA nur mit Georgien schließen. Gegen diesen Unterwerfungspakt kämpft aber nun das georgische Volk.

Zum anvisierten NATO-Beitritt der Ukraine, erklärte Litwin Folgendes: "Die Ukraine sollte ein nicht blockgebundener Staat sein. Es müssen die Stimmungen im Volk berücksichtigt werden. Es ist offensichtlich, dass die Mehrheit der Ukrainer gegen einen Beitritt zur NATO ist".

Beide Seiten vereinbarten, im Januar 2009 die VIII. Tagung der interparlamentarischen Kommission in Moskau durchzuführen.


Vom 13. bis 16. Januar 2009 tagte das ukrainische Parlament (Werchowna Rada).

Am 15. Januar wurde mit 372 Ja-Stimmen die Bildung einer Provisorischen Untersuchungskommission des Parlaments zur Überprüfung der Tätigkeit der Nationalbank der Ukraine in der Periode der Finanzkrise beschlossen. Der Beschluss legt für die Tätigkeit der Untersuchungskommission einen Termin von 6 Monaten, also bis zum 15. Juli 2009 fest. Ferner wiederholte das Parlament mit der gleichen Stimmenanzahl die Aufforderung an den Präsidenten der Ukraine, den Nationalbankpräsidenten Stel'mach abzuberufen. Eine neue Kandidatur eines Nationalbankpräsidenten soll nach diesem Beschluss dem Parlament zur Bestätigung zugeleitet werden. Das war eindeutig ein Schlag gegen Staatspräsident Juschtschenko, der wiederholt zusammen mit dem Staatsbankpräsidenten Stel'mach der Korruption und dabei konkret auch seitens von Frau Timoschenko dunkler Devisenmanipulationen auch zur persönlichen Bereicherung beschuldigt wurde.

Eine weitere parlamentarische Untersuchungskommission wurde mit 400 Ja-Stimmen gebildet, um Korruptionsvorwürfen gegen Amtspersonen im Zusammenhang mit 16 Hubschraubern MI-8 MT im Bestand der Landstreitkräfte der Ukraine, die an eine private Firma verpachtet wurden, zu überprüfen. Das richtet sich gegen den von Juschtschenko ernannten Verteidigungsminister Jechanurow.

Am 16. Januar beschloss die Mehrheit der Fraktion "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" die Ablösung ihres Vorsitzenden Kirilenko, einem engen Vertrauten von Juschtschenko. Neuer Vorsitzender der Fraktion wurde an seiner Stelle Mikola Martinjenko. Zu seinen Stellvertretern wurden Ruslan Knjazewitsch, Taras Stez'kiw, Boris Tarasjuk und Oleksandre Tret'jakow gewählt.

Die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments vom 13. bis 16. Januar betraf eine Reihe von Gesetzesvorlagen. Es wurden mehrere Gesetze und Gesetzesnovellen beschlossen. Auf die Tagesordnung wurde u.a. ein Gesetzesprojekt über die Erneuerung und Entwicklung des Ukrainischen Kosakentums, die Kosakenorganisationen und ihre Vereinigungen aufgenommen. Es gab eine parlamentarische Anhörung über den Stand der Rechtssprechung in der Ukraine.

Verabschiedet wurden konkret Gesetze wie das Gesetz über Verwaltungsrechtsverstöße, der Wasserkodex,. das Gesetz über Staatsauszeichnungen, das Verpackungsgesetz und andere. Beschlossen wurden Änderungen in zweiter Lesung z. B. im Gesetz zur Förderung des sozialen Status und der Entwicklung der Jugend, im Gesetz für Sozialhilfe für Kinder und Jugendliche, im Gesetz über die Tätigkeit des Spezialinformationsdienstes und den Schutz von Informationen.

Ferner wurden Gesetzesnovellen verabschiedet, z. B. im Gesetz über die Bestattung von Teilnehmern an Kampfhandlungen und des sozialen Schutzes ihrer Familien. Angenommen wurde ein Gesetz über die Einführung eines Paragraphen in das Strafgesetzbuch und in die Strafprozessordnung zum Verbot der Ausnutzung von Kindern für das Bettelwesen.

Angenommen wurde am 14. Januar mit 235 Stimmen auch u.a. ein Gesetzesprojekt zu Änderungen im Staatsprogramm zur Anpassung der Gesetzgebung der Ukraine an die Gesetzgebung der EU. Die Abgeordneten prüften auch eine Reihe von Projekten von Beschlüssen zur Wahl und Abberufung von Richtern.

Überstimmt wurden mit der Zahl von 400 Abgeordnetenstimmen (die erforderliche Zweidrittelmehrheit zur Überstimmung eines Präsidentenvetos liegt hier bei mindestens 300 Stimmen) das Veto des Präsidenten der Ukraine bei einigen Gesetzen zur Minimierung der Folgen der Finanzkrise auf die Entwicklung der inländischen Industrie sowie mit der Zahl von 411 Abgeordnetenstimmen das Veto des Präsidenten der Ukraine über den Disziplinarstatus des Staatlichen Spezialinformationsdienstes und für den Schutz von Informationen.

Behandelt wurden auch Berichte der Provisorischen Untersuchungskommission zur Klärung der Umstände der Verletzung der Verfassung und Gesetzgebung seitens der lokalen Staatsverwaltung und des Rats von Sewastopol und anderer lokaler Organe der exekutiven Macht sowie des Missbrauchs ihrer Dienstpflichten und der Unterschlagung staatlicher Gelder. Ein vorläufiger Ergebnisbericht der Untersuchung wurde mit Billigung von 374 Abgeordneten dem Präsidenten der Ukraine, der Regierung, dem Generalstaatsanwalt der Ukraine und dem Ministerium des Inneren zugeleitet. Beanstandet wurde mit einer Mehrheit von über zwei Drittel der Abgeordneten auch ein Misstrauensbeschluss des Lokalen Rats von Sewastopol gegen den Vorsitzenden des Rats der staatlichen Verwaltung von Sewastopol. Diese Vorgänge haben insofern besondere Brisanz, als Sewastopol mit seinem russischen Flottenstützpunkt als eine der Hochburgen der pro-russischen Unabhängigkeitskräfte in der Ukraine gilt. Es gibt Kritiken, dass insbesondere Juschtschenko diese Kräfte, die auf eine stärkere Autonomie der Krim hinarbeiten, mit Korruptionsvorwürfen schwächen will.

Eine Beschlussvorlage der parlamentarischen Kommission für Kultur und Geisteswesen setzte sich für die wirkungsvollere Unterstützung des Verlagswesens und Bibliothekswesens und für die Verhinderung der Schließung von Verlagen und Bibliotheken sowie anderer Kultureinrichtungen ein. Ein entsprechender Parlamentsbeschluss für ein Moratorium des Abbaus der genannten Kultureinrichtungen sowie der Schließung von Verlagen, Redaktionen, Druckereien von Masseninformationsmitteln, Bibliotheken und weiteren Kultureinrichtungen sowie auch von Unternehmen des Buchvertriebs wurde mit 414 Stimmen angenommen. Dabei ging es auch um Mindeststandards der Ausstattung der Städte und Gemeinden mit diesen Kultureinrichtungen.

Auf den Sitzungen des Parlaments vom 13. - 16. Januar 2009 wurde von Abgeordneten auch in scharfer Form die Frage der Verantwortung für den Erdgaskrieg mit Russland gestellt. Janukowitsch, der Vorsitzende der Partei der Regionen, sprach davon, dass dies der letzte Orange-Winter für die Ukraine sein wird. Er sagte in einem Interview (veröffentlich in www.rg.ru vom 15. Januar 2009), dass in der Ukraine Abenteurer an den Hebeln der Macht sitzen, die für den Gasstreit, inzwischen auch Erdgaskrieg genannt, verantwortlich sind.

Der ukrainische Minister für Brennstoffe und Energie, Jurij Prodan, erläuterte im Parlament eingehend die Situation auf dem ukrainischen Erdgasmarkt. Er beklagte, dass seit 2008 ein vertragsloser Zustand bei den Erdgaslieferungen bestände. Es bestände nur ein Memorandum der beiden Regierungschefs, von Putin und Frau Timoschenko, von Ende 2008. Die Verhandlungen mit der russischen Seite laufen weiter. Energieminister Prodan brachte seine Hoffnung auf ihren baldigen Abschluss zum Ausdruck. Zahlreiche Abgeordnete kritisierten die Energiepolitik der Ukraine. U.a. der bisherige Leiter des parlamentarischen Kommission für Fragen des Brennstoff- und Energiekomplexes, Mikola Martinjenko (er ist Abgeordneter der Fraktion "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes", und inzwischen deren Vorsitzender). stellte fest, dass die Verhandlungen in einer Sackgasse stecken. Er gab aber dafür nicht nur der russischen Seite die Schuld. Er sagte: "Anstelle der Suche nach realen Auswegen aus der Krise gibt es gegenseitige Beschuldigungen, werden sowohl unangemessene Gaspreise für die Ukraine, aber auch nicht konsensfähige Transitgebühren vorgeschlagen. Wir können bis zum Ende des Winters diesen Gaskrieg fortsetzen, sagte Mikola Martinjenko. Die Ukraine wäre dabei aber auf dem Weg der weiteren Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Bedingungen, ebenso entstehen für Russland schlechtere Wirtschaftsbedingungen. Es kommt zur Schließung von Erdgasfeldern. Aber wohin führt diese destruktive Haltung? Dies ist der Weg in den wirtschaftlichen Abgrund und der weiteren Verschlechterung der gegenseitigen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine.". Martinjenko rief dazu, die Suche nach Schuldigen oder von Siegern des Erdgaskrieges zu beenden. Sieger wird es nicht geben. Die wirtschaftlichen Verluste tragen die Beteiligten des Erdgaskrieges, neben der Ukraine und Russland auch EU-Länder. Am meisten leidet die Bevölkerung der Ukraine und einiger EU-Länder und Länder Südosteuropas, sagte er. Er schlug vor, die Bemühungen aller Bereiche der Regierung und der Spezialisten im Inland der Ukraine zur Suche nach einer Beendigung des Erdgaskrieges zu vereinigen und die Verhandlungen auf eine höhere Ebene zu überführen: Die Leiter der Regierungsstellen beider Länder haben den Verhandlungsprozess wieder aufzunehmen. Er schlug vor, mitteleuropäische Transitpreise sowie mitteleuropäische Preise für Erdgas und langfristige Verträge für mindestens 10 Jahre zu vereinbaren. Es sind auch alle möglichen Begleitmaßnahmen zur Verminderung der Abhängigkeit vom russischen Gas zu ergreifen. Er stellte aber auch fest, dass .Kohle, Masut und Atomenergie sowie auch Holz nur sehr begrenzt das Erdgas ersetzen können und man in absehbarer Zeit mit Erdgaslieferungen von anderer Seite in genügender Menge und zu akzeptablen Bedingungen nicht rechnen könne. Es gibt schon jetzt ernste Folgen des Ausfalls von Erdgas in der Wirtschaft und für die Bevölkerung. Der Erdgaskrieg müsse schnell beendet werden und dazu sind Kompromisse auch von ukrainischer Seite notwendig, erklärte er.

Es gab im Parlament eine breite Palette von Meinungen von der Aufforderung, die Regierung und den Präsidenten zu unterstützen, bis zur Kritik am Missbrauch der Energiefrage durch einige ukrainische Politiker. Es wurde auch ein Misstrauensantrag gegen die Regierung Timoschenko gestellt, hinter dem 164 Abgeordnete standen. Andere Abgeordnete wollen das Impeachmentverfahren gegen Präsident Juschtschenko vorantreiben. Es kam aber hier bis zum Freitag den 16. Januar noch zu keinen Entscheidungen. Parlamentsvorsitzender Litwin betonte die dringende Notwendigkeit, dass ein neuer Koalitionsvertrag endlich abgeschlossen wird, der auch in der Zusammensetzung der Regierung das Kräfteverhältnis im Parlament berücksichtigt. Das betonte er auch nochmals in einem am 17. Januar 2009 unter www.rada.kiev.ua veröffentlichten Statement.

Das Parlament fasste auch einen Beschluss zur Bildung einer Provisorischen Untersuchungskommission über die Erdgasproblematik und ihrer Folgen. Das hat zweifellos dazu beigetragen, dass sich der russische Ministerpräsident Putin und die ukrainische Ministerpräsidentin Timoschenko am 17. und 18. Januar 2009 in Moskau auf die Konditionen der Wiederaufnahme der Gaslieferungen in die Ukraine und nach Europa einigten. Das Parlament wird am 3. Februar 2009 zu einer neuen Plenartagung zusammentreten.

Was den Gasstreit (auch als Erdgaskrieg bezeichnet) angeht, so zeigte sich jetzt, dass Scharfmacher im Streit mit Moskau der ukrainische Präsident Juschtschenko ist. Aus der Wirtschafts- und Finanzkrise bis zum Ausfall des Erdgases will er für seine Machtambitionen Nutzen ziehen. Er hofft aus der Erdgaskrise persönlich zu punkten. Er spielt sich als Verteidiger der ukrainischen Souveränität auf, die er in Wahrheit an die USA verkaufen will. Die Bush-Administration hat ihn in ihren letzten Tagen offensichtlich noch zusätzlich gegen Russland aufgehetzt. Das wird auch in russischen Presseartikeln, auch in einem Artikel der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza, Warschau, vom 15. Januar 2009 mit der Überschrift "Gazprom beschuldigt die USA der Abdrehung des Gashahns, Gazprom-Vize-Chef Alexander Medwedjew bezichtigte die USA, an dem Gasschauspiel Schuld zu sein" (poln.) deutlich. Es heißt im polnischen Text: A. Medwedjew verwies auf die Unterzeichnung der Erklärung über die strategische Partnerschaft der USA und der Ukraine von Mitte Dezember 2008. Er verwies auch darauf, dass der damalige ukrainische Präsident Kutschma und der damalige Bundeskanzler Schröder im Jahre 2002 ein Abkommen über die Zulassung eines internationalen Konsortiums unterzeichnet hatten, das die ukrainischen Gasleitungen unter seine Regie nehmen sollte. Das Abkommen wurde nicht realisiert. Es heißt in dem Artikel weiter:

"Amerika würde unter Barack Obama den Gastransfer nach Europa aus Lagerstätten unterstützen, die in Konkurrenz zu Russland stehen. Wir, die USA brauchen eine Diplomatie, die eine gemeinsame Strategie mit den europäischen Staaten der Energieverbraucher ausarbeitet, um der russischen Dominanz im Energiesektor Paroli zu bieten. Federführend für die jetzt eröffnete Debatte darüber war der Senator Joseph Biden, seinerzeit Chef der Kommission für auswärtige Beziehungen des US-Senats, der jetzt amerikanischer Vizepräsident wird. Es gibt auch andere amerikanische Politiker, die für die Verminderung der Energieabhängigkeit Europas von Russland eintreten. Die Form des Erdgastransits nach Europa seitens Russlands kritisierte auch Kurt Volker, US-Botschafter bei der NATO, und Stephen Hedley. Nationaler Sicherheitsberater des scheidenden Präsidenten George W. Bush. Hedley ist der Meinung, dass die Obama-Administration vor der schwierigen Aufgabe steht, die Beziehungen zu Russland auszubauen und gleichzeitig seinem aggressiven und unklaren Absichten und Zielen entgegen zuwirken.

Schon lange unterstützen die USA europäische Konzerne, die den Bau der Gasleitung Nabucco wünschen, damit Rohre durch Georgien, die Türkei und den Balkan Mitteleuropa mit Rohstoffen aus Lagerstätten aus dem Raum des Kaspischen Meeres und aus Asien beliefern. Es gibt aber gleichzeitig Projekte von Erdgaslieferungen aus diesen Regionen durch die Ukraine, z. B. der Rohrleitung White Stream durch das Schwarze Meer. Einige Analytiker ziehen auch in Betracht, dass Präsident Obama zu einer Übereinkunft der USA-Politik mit dem Iran kommen kann. Das wäre die Chance, die iranischen Gasvorräte für die Welt zu öffnen, die in ihrem Umfang nur hinter den russischen Gasvorräten zurückstehen. In Moskau verhehlt man nicht, dass man speziell den Iran als potentiellen Hauptkonkurrenten betrachtet. Kiew habe schon einige Male mit europäischer Vermittlung versucht, an Lieferungen des iranisches Gases ranzukommen."

Aus russischen Quellen heißt es:

Russland dagegen will die Souveränität der Ukraine voll achten. Es will lediglich verhindern, dass ein neuer Feindstaat entsteht, der Russland im Rahmen der NATO militärisch von der Süd- und Südwestflanke bedroht. Russland ist dabei auch mit einem Nichtpaktgebundenenstatus der Ukraine voll einverstanden. Russland will Erdgaslieferungen und weitere Rohstofflieferungen zu fairen Bedingungen. Juschtschenko will aber die Erdgas-Krise auch ausnützen, um seine Stellung als Landesfürst zu festigen und er will über die Verhängung eines Ausnahmezustandes letztlich unangefochtener Diktator der Ukraine werden. Um dieses Ziel zu erreichen, würde er die Ukrainer auch frieren und erfrieren lassen. Dessen ist man sich auch in Moskau bewusst. Dessen müsste sich auch Frau Timoschenko bewusst sein, die gegen Juschtschenko bei der anstehenden Präsidentenwahl antreten und nächste ukrainische Präsidentin werden will. Sie würde auch abserviert werden, wenn sie im Erdgaskrieg mit dem Präsidenten nachgibt.

Quellen. Rossisskaja Gazeta, Moskau vom 29. Dezember 2008
(veröffentlich u.a. unter www.rg.ru 29. Dezember 2008; www.rada.kiev.ua; http://www.rada.gov.ua/rada/control/uk/publish/article/news_left?art_id=139883&cat_id=37486, 33449;


Letzte Nachrichten

Der russische Ministerpräsident Putin und die ukrainische Ministerpräsidentin Timoschenko haben sich in Moskau am 17. und 18. Januar 2009 auf die Konditionen der Wiederaufnahme der Gaslieferungen in die Ukraine und nach Europa geeinigt.

Die Ukraine und Russland haben am Montag, den 19.01.09 die Dokumente für die Bedingungen der Lieferung russischen Erdgases in die Ukraine und die Dokumente für die Bedingungen seines Transits in die europäischen Länder unterschrieben. Die Chefin der ukrainischen Regierung, Frau Timoschernko, erklärte: "Nach Unterzeichnung aller Dokumente über den Gastransit und den Kauf von Gas werden alle Leitungen des Gastransits nach Europa, wieder geöffnet, alle Gaslieferungen nach Europa wieder aufgenommen".

Seinerseits erklärte der Chef der Regierung der Russischen Föderation, Wladimir Putin, dass während der Verhandlungen Vereinbarungen dahingehend erzielt wurden, dass die Ukraine und Russland in den Fragen der Gaslieferungen auf die europäische Formel der Preisbildung übergehen. Er teilte auch mit, dass die Vertragsseiten darüber übereingekommen sind, dass die Ukraine eine Senkung von 20 Prozent für Erdgas im Jahre 2009 nach den Preisen von 2008 unter der Bedingung der Gewährleistung eines Vorzugstarifs für die Lieferung russischen Gases für die europäischen Verbraucher zugestanden bekommt. Der russische Ministerpräsident bemerkte ebenso "dass ab Januar 2010 die Ukraine und Russland auf die Preisbildung der Liefertarife für Erdgas in voller Übereinstimmung mit den europäischen Standards übergehen."


Ukraine, 19.01.09

Quelle: die Autoren
Originalartikel veröffentlicht am 23.1.2009


Über die Autoren

H.-J. Falkenhagen und Brigitte Queck sind assoziierte Autoren von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Dieser Artikel kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl die Autoren als auch die Quelle genannt werden.

Brigitte Queck ist Dipl. Staatswissenschaftlerin Außenpolitik und aktives Mitglied von Mütter gegen den Krieg e. V. in Berlin - Brandenburg.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2009