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NAHOST/927: Jordanien - Ruf nach Heiligem Krieg spaltet Bewegung der Salafisten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Juni 2012

Jordanien: Ruf nach Heiligem Krieg spaltet Bewegung der Salafisten

von Mona Alami

Salafistenführer Scheikh Abou Mohamad Tahawi - Bild: © Mona Alawi/IPS

Salafistenführer Scheikh Abou Mohamad Tahawi
Bild: © Mona Alawi/IPS

Amman, 8. Juni (IPS) - Der Arabische Frühling hat eine Vielzahl neuer Akteure auf die politische Bühne gebracht. In Jordanien machen die Salafisten von sich reden. Radikale Vertreter der Gruppe haben jetzt zu einem 'heiligen Krieg' im Nachbarland Syrien aufgerufen.

Die Regierung in Amman fürchtet, dass die Gewalt von Syrien nach Jordanien überschwappen könnte, vor allem seit der jordanische Salafistenführer Scheikh Abou Mohamad Tahawi kürzlich eine Fatwa für einen Heiligen Krieg (Dschihad) in Syrien ausgesprochen hat.

"Ich habe jeden Mann, der dazu in der Lage ist, zur Teilnahme an einem Heiligen Krieg in Syrien aufgefordert. Es liegt in der Verantwortung eines jeden guten Moslems, das von dem Nusairier-Regime verursachte Blutvergießen zu beenden", sagte Tahawi. Er bezog sich damit auf die Machthaber in Syrien, die der Gemeinschaft der Alawiten angehören. In dem Bündnis aus Alawiten und Schiiten sieht der Salafistenführer derzeit eine noch größere Bedrohung für die Sunniten als Israel.

Jordaniens dschihadistische Salafisten scheinen Tahawis Ruf zu folgen. Nach Angaben von Tamer Smadi, einem Kenner radikaler Bewegungen im haschemitischen Königreich, versuchte vor einigen Wochen eine Gruppe von mehr als 30 Dschihadisten nach Syrien vorzudringen. Bis auf sieben Männer, unter denen sich auch der Sprengstoffexperte Abu Anas Sahabi befand, wurden alle vom jordanischen Geheimdienst festgenommen.


Salafisten-Bewegung zunehmend gespalten

Die zunehmende Radikalisierung der Dschihadisten hat die Kluft zwischen extremen und moderaten Salafisten vergrößert. Der Reformerflügel hat sich sogar mit Vertretern der Regierung und der US-Botschaft getroffen. Dies wurde als ungewöhnliches Verhalten der Gruppe aufgefasst. Nach Ansicht des Journalisten Smadi hat der Arabische Frühling zu einer Spaltung der Gemeinschaft der Salafisten in Jordanien geführt.

Der Salafismus ist eine Bewegung, die sich für eine reinere und radikalere Interpretation des Islams einsetzt und damit der Lehre von 'Salaf al-Saleh' oder 'gerechtem Vorgänger' folgt. In Jordanien gibt es Salafisten seit den sechziger Jahren, als aus Ägypten und Syrien zurückkehrende Studenten das Gedankengut mitbrachten.

Scheikh Mohamad Nasreldine Albani, ein albanisch-syrischer Religionsführer, spielte in den achtziger Jahren eine wichtige Rolle in der Bewegung, als er in der Stadt Zarga einen salafistischen Flügel namens 'Tabligh wal Daawa' (Muslime rufen) anführte.

Die salafistischen Lehren gründen auf drei Pfeilern: dem Glauben an einen einzigen Gott, der Missionierungsaufgabe und dem 'Dschihad'. Scheikh Omar Bakri, ein radikaler Kleriker, der 2005 wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Kaida aus Großbritannien ausgewiesen wurde, erklärte jedoch, dass die meisten Salafisten das dritte Prinzip nicht befolgten.

Der extremistische Flügel der Bewegung brachte es 2005 zu trauriger Berühmtheit, als dschihadistische Salafisten unter Führung von Abu Mussaab al-Zarqawi in mehreren Hotels in Amman eine Serie von Selbstmordattentaten verübten. Al-Zarqawi wurde später mit Al Kaida im Irak in Verbindung gebracht.

Razzien gegen die Salafisten führten daraufhin dazu, dass sich die meisten Mitglieder in den Untergrund zurückzogen. Ab Ende 2010 schlossen sie sich den panarabischen Demokratiebewegungen an und organisierten Proteste in Jordanien.


Blutige Zusammenstöße mit der Polizei in Zarqa

Bei den dschihadistischen Salafisten handelt es sich um eine lose organisierte Bewegung, die in Jordanien höchstens 1.500 Anhänger zählt und dort kürzlich mehrere Demonstrationen organisiert hat. An der größten Kundgebung am 15. April in der Stadt Zarqa beteiligten sich etwa 350 Salafisten. Die Demonstration mündete in gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und der Polizei, bei denen zahlreiche Menschen verletzt wurden.

Die jordanische Regierung reagierte mit Razzien, durchsuchte Häuser von Dschihadisten in Zarqa und beschuldigte 146 Mitglieder terroristischer Aktivitäten.

Moderate Salafisten haben unterdessen damit begonnen, Hilfsaktionen für syrische Flüchtlinge in Jordanien zu koordinieren. Tamer Smadi zufolge haben sie bislang Hilfsgüter im Wert von etwa fünf Millionen US-Dollar verteilt. Rund 60 Prozent der Gelder kamen aus Ländern wie Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait.

Anders als die Reformer, deren Einfluss seit etwa einem Jahr spürbar ist, halten sich die traditionellen Salafisten, die häufig anti-nationalistisch denken, von der Politik fern. Sie glauben an die globale Herrschaft der 'Ummah', der religiösen Gemeinschaft aller Muslime. (Ende/IPS/ck/2012)

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2012