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NAHOST/878: Ägyptische Frauen und die Wende - Interview mit Mansoura Ez-Eldin (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 117, 3/11

Es war wie eine Utopie - Ägyptische Frauen und die Wende
Ein Interview mit der Autorin Mansoura Ez-Eldin


An der ägyptischen Revolution beteiligten sich in großem Maß auch Kulturschaffende und LiteratInnen. Ishraga Mustafa Hamid sprach für die Frauensolidarität mit Mansoura Ez-Eldin(1), jener erfolgreichen jungen Literatin, die 2009 auf der Liste der 39 besten arabischen AutorInnen unter 40 Jahren gelandet war. Als Autorin und als Demonstrantin war und ist sie bei den revolutionären Prozessen in Ägypten aktiv, wie sie im Interview beschreibt.


FRAUENSOLIDARITÄT: Welche Rolle spielten die Frauen in der ägyptischen Revolution?

MANSOURA EZ-ELDIN: Der ägyptischen Revolution im Jänner 2011 ging ein langer Prozess voraus. Wichtig dabei war die 2008 entstandene so genannte "Jugendbewegung des 6. April", die u. a. auf die Initiative von zwei Frauen, Israa Abdel Fattah und Asma Mahfouz, zurückgeht.(2) Bei der Revolution selbst standen Frauen und Männer Seite an Seite. Es handelte sich dabei um eine bunte Vielfalt von Frauen, quer durch alle Klassen und Bildungsschichten. Frauen standen an der Spitze von Demonstrationen und wurden zum Vorbild für junge Ägypterinnen. Die Frauen beteiligten sich aktiv und bewusst, ich konnte von ihnen viel lernen.

Ich erinnere mich an jenen "Freitag des Zorns", den 28. Jänner, als die Polizei mit Gummigeschossen, Tränengas und scharfer Munition auf uns losging Die Frauen - und besonders die Hausfrauen - haben sich nicht einschüchtern lassen und sind nicht zurückgewichen, obwohl wir damals alle dem Tod sehr nahe waren, als hätten wir mit ihm gespielt. Es waren die Frauen, die beharrlich auf der Straße und in den Zelten geblieben sind. Und es ist uns gelungen, Mubarak zu stürzen. Es war wie eine Utopie, wo die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, zwischen ChristInnen und MuslimInnen, Reichen und Armen, IslamistInnen und Liberalen unsichtbar wurden. Wir kämpften alle mit jenem Slogan, der am Beginn der Revolution stand, für ein Ziel: Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit! Nach der erfolgreichen Revolution wurden die Frauen und ihre Rolle vernachlässigt. Im Verfassungskomitee ist keine einzige Frau. Und auch die Beteiligung an den Demonstrationen des Internationalen Frauentages war gering. Auch die neue Regierung ist fast frauenfrei. Seit dem 11. Feber fordert sie eine Änderung des Familiengesetzes und des Scheidungsrechtes mit dem Argument, dass es nicht den Bestimmungen des islamischen Rechts entspricht. Es wird dabei aber übersehen, dass diese (bestehenden, Anm.) Rechte auf den Kampf der ägyptischen Frauenrechtsaktivistinnen seit Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgehen. Der stärkste Schlag gegen Frauen war aber die Verhaftung und Verurteilung von zivilen Demonstrantinnen, die vor Militärgerichte gestellt wurden und Jungfräulichkeitstests unterzogen wurden. Diese Tests stellen nicht nur sexuelle Übergriffe dar, sondern auch die Herabwürdigung von Gefangenen und eine Rache wegen ihrer aktiven Beteiligung an der Revolution.

FRAUENSOLIDARITÄT: Welche sichtbare und unsichtbare Rolle spielten die Schriftstellerinnen in der Revolution?

MANSOURA EZ-ELDIN: Sie waren in jeder Hinsicht an der Revolution beteiligt. Sie waren und sind die Stimme des Volkes und waren deshalb Angriffspunkt beispielloser Gewalt seitens der Polizei und der Sicherheitskräfte des Zentralsystems. Nach dem Sturz Mubaraks bildeten sie im ganzen Land in den verschiedensten Regionen Netzwerke, die sich für einen bürgerlichen Staat und die Trennung von Religion und Politik einsetzten.

Ich zum Beispiel nahm an den Demonstrationen teil und sorgte dafür, dass die RebellInnen in mehr als einer Zeitung außerhalb Ägyptens eine Stimme verliehen bekamen, vor allem in jener kritischen Phase, in der das Mubarak-Regime noch immer stark war. Ich veröffentlichte am 31. Jänner einen Artikel in der New York Times und erzählte über die Vorkommnisse am "Freitag des Zorns", (28. Jänner, Anm.) und mit welcher Brutalität wir konfrontiert waren, nachdem uns Internet, Mobiltelefon und sämtliche Kommunikationsnetzwerke abgeschnitten wurden und wir von der Welt völlig isoliert waren. Ich schrieb regelmäßig Artikel zur Revolution in mehreren libanesischen Zeitungen und Zeitschriften, wo ich als Redakteurin für Buchrezensionen arbeite. Ich war auch nach der Freigabe des Internets bemüht, Nachrichten an Freundinnen und Freunde in der ganzen Welt zu schicken, um sie über die aktuellen Entwicklungen zu informieren. Nach dem Erfolg der Revolution bin ich einer Gesellschaft von ägyptischen AktivistInnen und AkademikerInnen, die im Bereich Redaktion tätig ist, als Mitglied beigetreten. Diese Gesellschaft steht noch am Anfang und möchte jene Bewegung des kulturellen und politischen Bewusstseins und Gemeinsinns fördern, die die Revolution ausgelöst hat.

FRAUENSOLIDARITÄT: In welchem Umfang ist die Frauenbewegung vernetzt? Gibt es eine globale Lobby für die Sicherung der Ergebnisse der Revolution?

MANSOURA EZ-ELDIN: In Ägypten selbst gibt es eine Vernetzung und Kooperation zwischen den verschiedenen Frauenbewegungen nach der Revolution, um die Rechte der Frauen und Randgruppen zu unterstützen. Zum Beispiel gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen Frauengruppen und Menschenrechtsorganisationen, die zur Ausarbeitung der Verfassung im Sinne der Wahrung der Rechte der Frauen und der Randgruppen beitragen. Es gibt auch internationale Kooperationen und Vernetzungen, diese sollten aber verstärkt werden. Die ägyptischen und arabischen Bewegungen sehen sich im Rahmen von globalen feministischen Bewegungen, die Gemeinsamkeiten* sollten nicht unterschätzt werden. Aber es gilt an der Konsolidierung des Kampfes um die Erreichung der Rechte der arabischen Frauen zu arbeiten.

FRAUENSOLIDARITÄT: Welche Träume und Vorstellungen haben Sie für Ägypten?

MANSOURA EZ-ELDIN: Ich träume von einer neuen Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger respektiert werden und wo auf Menschenrechte und Freiheit geachtet wird. Ich träume von einer Heimat, die nicht auf die Persönlichkeit eines Herrschers reduziert wird; wo sich nicht alles um den Altar der Freiheit eines einzelnen Tyrannen dreht oder um eine Reihe von Lügen, die von den Behörden verbreitet werden, um ein repressives System zu stärken.

Als Schriftstellerin will ich nicht auf die Vertreterin eines bestimmten Geschlechts oder einer Volksgruppe reduziert werden. Ich träume von einem Ägypten, das offen ist für die Welt und Verständnis zeigt für menschliches Leid. Und was nun die Rolle Ägyptens im regionalen und globalen Kontext betrifft, so hoffe ich, dass ein neuer Staat, der die BürgerInnen respektiert und Menschenrechte beachtet, im internationalen Umfeld eine positive Rolle spielt.

FRAUENSOLIDARITÄT: Hat die Revolution ihre Ziele erreicht?

MANSOURA EZ-ELDIN: Bisher ist unsere Revolution noch nicht abgeschlossen, und deshalb sind auch ihre Ziele nicht erreicht. Im Moment scheint es, als gäbe die Militär-Übergangsregierung der Revolution Schutz und Unterstützung. Es bleibt aber immer noch die Möglichkeit, dass die Revolution erwürgt wird und es zu einem Militärputsch kommt oder dass die Revolution nur Teil einer Reformbewegung bleibt. Es gibt einen großem Druck der Öffentlichkeit, dass die Ziele der Revolution auch nach dem Sturz Mubaraks erreicht werden, und dafür wird jeden Freitag am Tahrir-Platz in Kairo demonstriert. Der Prozess der Revolution geht weiter, und ich hoffe, ich hoffe dass sie all ihre Ziele erreicht.

FRAUENSOLIDARITÄT: Ich danke für das Gespräch.


Anmerkungen:

(1) Mansoura Ez-Eldin schrieb mehrere Romane, die in viele Sprachen übersetzt wurden. 2010 wurde sie mit ihrem Roman "Hinter dem Paradies" für den Arabischen Booker-Prize vorgeschlagen. Der Roman wurde auch ins Deutsche übersetzt.

(2) Am 6. April 2008 gründeten sie eine Facebook-Gruppe mit dem Aufruf zu einem Generalstreik zur Unterstützung eines geplanten Arbeiterstreiks und gegen steigende Lebensmittelpreise.


Übersetzung aus dem Arabischen: Ishraga Mustafa Hamid


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 117, 3/2011, S. 18-19
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2011