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NAHOST/857: Ägypten - Sicherheitsvakuum auf dem Sinai, Militär- und Polizeipräsenz unzureichend (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. August 2011

Ägypten: Sicherheitsvakuum auf dem Sinai - Militär- und Polizeipräsenz unzureichend

Von Adam Morrow und Khaled Moussa al-Omrani


Kairo, 23. August (IPS) - Die von Beduinen bewohnte Sinai-Halbinsel galt schon vor dem Volksaufstand in Ägypten als rechtsfreier Raum. In den Monaten nach der Revolte, die im Februar zum Sturz von Präsident Husni Mubarak führte, hat sich die Lage weiter verschlechtert.

"Im Sinai gibt es ein gravierendes Sicherheitsvakuum", meinte der ägyptische Journalist Hatem al-Bulk aus der Stadt Al-Arish im Nordosten der Halbinsel. Nachdem ein Teil des Militärs, wie 1979 mit Israel im Friedensabkommen von Camp David vereinbart, abgezogen wurde, ist al-Bulk zufolge inzwischen auch die Polizei aus der Region verschwunden.

Mitte August schickte der seit dem Sturz von Mubarak regierende Militärrat mehr als 2.000 Soldaten und Polizisten in den Nordosten des Sinai, um "Sabotageakte zu verhindern und die Anwohner zu schützen". Zuvor war es dort zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen.

Am 29. Juli hatten mehr als 100 maskierte Bewaffnete eine Polizeistation in Al-Arish, etwa 270 Kilometer nordöstlich von Kairo, attackiert. Sechs Menschen, darunter ein Armeeoffizier und ein Polizist, wurden getötet. Außerdem gab es mehr als 20 Verletzte. Kurz darauf wurde in der Nähe eine Pipeline angegriffen, durch die Gas nach Israel und Jordanien gepumpt wird. Es war der fünfte Anschlag auf die Leitung seit Februar. Politische Beobachter vermuten, dass die Täter derselben Gruppierung angehören.

Das Abkommen von Camp David beschränkte die ägyptische Militärpräsenz auf dem Sinai erheblich. Das gesamte östliche Gebiet an den Grenzen zu Israel und zum Gazastreifen wurde zur entmilitarisierten Zone erklärt.


Panzer zur Verteidigung entsandt

Der Gouverneur von Nord-Sinai, Abdel-Wahab Mabrouk, betonte, dass die jüngste Truppenentsendung "nur Verteidigungszwecken" diente. Inoffiziellen Quellen zufolge sollen auch Panzer und gepanzerte Fahrzeuge auf die Halbinsel geschickt worden sein. Wie die israelische Tageszeitung 'Haaretz' vom 14. August bestätigt, hat Israel den Einsatz gebilligt.

Ende Januar hatte das Mubarak-Regime einen landesweiten Abzug der Polizeikräfte angeordnet. Die Armee füllte daraufhin die Lücken, konnte aber aufgrund des Friedensabkommens nicht in den Sinai einrücken. Israel gestattete aber, dass 800 Soldaten ausnahmsweise dort postiert werden konnten.

"Israel hat nach dem Polizeiabzug die Gefahr eines Sicherheitsvakuums auf der anderen Seite der Grenze erkannt", erklärte Tarek Fahmi vom 'National Centre for Middle East Studies' im Gespräch mit IPS. "Wie die jüngsten Angriffe gezeigt haben, reichen 800 Soldaten aber einfach nicht aus."

Auch ein halbes Jahr später hat sich die Lage nicht verbessert. Die Beduinen, die den größten Teil der Bevölkerung auf dem Sinai ausmachen, sind unzufrieden mit ihren Lebensbedingungen. Ihr Verhältnis zur Regierung in Kairo ist daher angespannt. "Das Mubarak-Regime hat es versäumt, die Industrie- und Agrarentwicklung auf dem Sinai voranzutreiben", sagte Fahmi. Die Nomaden sahen sich dadurch an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Auch nach der Revolution habe die Regierung noch nicht genug getan, um den Unmut der Beduinen zu besänftigen.


Tausende Beduinen willkürlich festgenommen

Tausende Beduinen wurden vor Jahren willkürlich festgenommen, nachdem zwischen 2004 und 2006 eine Reihe bisher nicht aufgeklärter Bombenanschläge auf Küstenorte im Sinai verübt worden waren. Noch immer sind Hunderte Menschen inhaftiert. Andere wurden in Abwesenheit zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

"Die amtierende Regierung hat wiederholt in Aussicht gestellt, die ohne Anklage inhaftierten Beduinen freizulassen und die in Abwesenheit gefällten Urteile aufzuheben", sagte Fahmi. Passiert sei aber noch nicht viel.

Medien im In- und Ausland brachten die kürzlich ausgebrochene Gewalt mit islamistischen Gruppen - unter anderem dem Netzwerk Al-Kaida auf dem Sinai - in Verbindung. Der Augenzeuge al-Bulk erklärte dagegen, bei den Aggressoren habe es sich um Nomaden und Schmuggler gehandelt. Auf der gesamten Halbinsel gebe es nicht mehr als 200 bis 300 islamistische Extremisten. Einen Zusammenhang mit Al-Kaida kann er nicht erkennen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2011