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NAHOST/822: "Wir brauchen keinen neuen Irak" (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 21. Mai 2011

»Wir brauchen keinen neuen Irak«
Libanesische Kommunisten sehen mit Sorge auf die Entwicklungen in Syrien

Von Karin Leukefeld, Beirut


Die Entwicklungen in Syrien werden in der libanesischen Hauptstadt Beirut mit Sorge verfolgt. »Syrien ist unser einziger arabischer Nachbar«, sagt Sofia Saadeh, Professorin für Soziologie und die moderne Geschichte des Mittleren Ostens. »Es gibt viele Reformen, die Assad umsetzen muß«, doch aktuell stehe »die regionale Position und Unterstützung des Widerstandes« auf der Tagesordnung, das habe Vorrang.

»Reformen in Syrien werden auch für uns von großer Bedeutung sein«, meint ein anderer Gesprächspartner. »Libanon ist der kleine Bruder Syriens, wir sehnen uns danach, daß unser Nachbar eine wirkliche Demokratie und ein moderner Staat wird.« Doch sollten Assad und sein Regime stürzen, »werden die USA und Israel eine Marionettenregierung in Damaskus einsetzten, wie im Irak. Das bedeutet Bürgerkrieg, nicht nur in Syrien, sondern auch bei uns.«

»Wenn das Regime von Assad nicht zügig mit Reformen vorankommt und weiterhin Militär und Geheimdienste die Oberhand haben, ist ein Bürgerkrieg möglich«, meint auch Marie Debs, Sprecherin für Internationale Politik der Kommunistischen Partei des Libanon. Die libanesische KP unterstütze die syrischen Kommunisten, die seit langem Reformen und auch ein neues Wahl- und Parteienrecht fordern. »Wir wollen, daß Syrien sich nach vorne und nicht nach hinten entwickelt«, sagt Marie Debs.

Selbst der syrische Präsident unterstütze Reformen, doch diese seien nur mit und nicht gegen die Menschen zu machen. »Wir wollen einen demokratischen Wandel in Syrien, mit dem die Baath-Partei unweigerlich ihre Macht verlieren wird.« Syrische Intellektuelle hätten neben politischen und wirtschaftlichen Reformen auch die Abschaffung von Artikel 8 der syrischen Verfassung gefordert, der die Baath-Partei zur führenden Kraft Syriens erklärt. Das sei richtig so, meint Marie Debs. Gleichzeitig hätten die Intellektuellen vor der Muslim-Bruderschaft gewarnt, die offenbar in die Proteste verwickelt sei und vom Ausland unterstützt werde.

Andere Akteure nutzten die Proteste für eigene Interessen, ist Marie Debs überzeugt. 2006 seien die USA mit ihrem Plan des »Großen« oder »Neuen Mittleren Ostens« gescheitert, den Condoleezza Rice angekündigt hatte. Nun versuchten die USA, »durch eine andere Tür wieder hereinzukommen«, so Marie Debs. »In Jugoslawien benutzten sie den Islam, im Irak die Schiiten und jetzt benutzen sie die Sunniten, um ihre Pläne durchzusetzen.«

Wie in Tunesien und Ägypten versuchten die USA auch in Syrien die Muslim-Bruderschaft an die Macht zu bringen, die für die Interessen der USA in der Region offenbar »dienlicher« seien, als »nationale arabische Kräfte«. Das gewaltsame Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte stärke die religiösen Kräfte der sunnitischen Muslim-Bruderschaft, die mit der Parole »Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut« die Grundfesten der syrischen Gesellschaft angreifen würden. Die herrschende Familie Assad gehört der alawitischen Religionsgruppe an, die als modern und säkular gilt und zu Zeiten sunnitischer Herrschaft von politischer und ökonomischer Macht ausgeschlossen war.

»Wenn es zu einem sektiererischen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Alawiten in Syrien kommt, wird das auch vor dem Libanon nicht halt machen«, erklärt Marie Debs. »Wir brauchen nationale Einheit, keinen neuen Irak.«


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Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2011