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NAHOST/795: Eine gute Nachricht oder nur ein neuer Schachzug der Friedensverweigerung? (Nützliche Nachrichten)


Nützliche Nachrichten 2-3/2011
Dialog-Kreis
"Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden"

Der Kommentar
Eine gute Nachricht oder nur ein neuer Schachzug der Friedensverweigerung?

Von Andreas Buro


Bis zu den Wahlen 2009 hatten viele gehofft, das offene Fenster zu einer Beendigung des türkisch-kurdischen Konflikts würde genutzt und die längst überfällige Auseinandersetzung mit einer konstruktiven Perspektive beendet werden. Doch statt friedlicher Lösung kam die bleierne Zeit, die bis zur Gegenwart anhält. Verhaftungen von kurdischen PolitikerInnen, Prozesse gegen gewählte kurdische Bürgermeister aus nichtigem Grund, fingierte Angriffe. Auch von der kurdischen Seite gab es Angriffe tief in der Türkei. Es wuchs die Gefahr, alle bösen Geister der Verfeindung könnten mobilisiert werden und Hass auf allen Seiten wachsen.

Um dem entgegen zu wirken, hat die kurdische Seite anscheinend wirksam die 'Freiheitsfalken' gestoppt, erneut einen einseitigen Waffenstillstand verkündet und auch weitgehend eingehalten, obwohl das türkische Militär weiter schoss und bombte. Den Kurden in der Türkei wurde viel zugemutet. In der veränderten Verfassung war das Wahlgesetz die hohe 10% Hürde nicht gesenkt worden. Eine Hürde, die für die kurdische Partei kaum zu überspringen sein würde. Also war auch in diesem Feld keine ermunternde auf die Zukunft weisende Geste zu erkennen. Natürlich wußten alle Akteure in diesem Konflikt, dass der Regierungspartei es vor allem um den Machterhalt bei den im Juni 2011 anstehenden Wahlen ginge. Ihr Verhalten würde also unter wahlttaktischen Gesichtspunkten kalkuliert werden. Offensichtlich glaubte die AKP-Regierung, sie könne sich gegenüber ihrer heterogenen Wählerschaft eine friedenspolitische Lösung des Kurdenkonflikts nicht leisten. Es könnte sie Stimmen kosten und ihre bisherige Alleinherrschaft in der Großen Nationalversammlung gefährden.

Doch die Leidensfähigkeit der PKK war begrenzt. Sie verkündete im März dieses Jahres, sie würde ihren einseitigen Waffenstillstand beenden, die Regierung habe keinerlei Entgegenkommen gezeigt. Eine niederschmetternde Nachricht! Würden Kämpfe eskalieren und alle Gesprächskanäle verschütten? Munition für den Terrorismusvorwurf gegenüber den Kurden aus dem ganzen NATO-Bereich.

In diese bleierne und eskalationsträchtige Situation kam nun die gute Nachricht, Ankara habe eine hochrangige Delegation nach Imrali gesandt und damit die Gespräche mit Öcalan über die Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts wieder aufgenommen. Anscheinend ging es bei den Gesprächen schon um konkrete Sachfragen. Öcalan hat daraufhin für die Fortführung des einseitigen Waffenstillstandes plädiert und die PKK hat dem entsprochen.

Zwei gute Nachrichten also.

Doch nach allem, was wir in diesem Konflikt schon erlebt haben, dürfen wir nicht blauäugig sein. Könnte nicht Ankara ein ganz anderes Spiel spielen? Angesichts der wachsenden friedlichen Mobilisierung der Kurden in der Türkei muß die AKP ein Interesse an Beruhigung der Situation vor den Wahlen haben. Große Demonstrationen der Empörung könnten für sie auch Stimmenverluste bedeuten. Geht es also vielleicht nur um einen Schachzug bis zu den Wahlen? Könnten nach den Wahlen erneut bleierne Zeiten beginnen? Oder könnte sich Klugheit durchsetzen? Könnten nicht AKP und die kurdische Partei BDP gemeinsam für Reformen in der Türkei eintreten? Großkurdische Träume sind doch längst ausgeträumt. Auch im kurdischen Nord-Irak wird bereits gegen die Regierung demonstriert und die beiden großen Parteien scheinen erneut auf Distanz zueinander zu gehen.


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Quelle:
Nützliche Nachrichten 2-3/2011
Dialog-Kreis
"Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen
Türken und Kurden"
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2011