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NAHOST/776: Ägypten - Militär in Mubaraks Schatten, Freilassung der politischen Gefangenen gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Februar 2011

Ägypten: Militär in Mubaraks Schatten - Freilassung der politischen Gefangenen gefordert

Von Adam Morrow and Khaled Moussa al-Omrani


Kairo, 18. Februar - Die ägyptischen Streitkräfte, die seit dem Rücktritt von Staatspräsident Husni Mubarak die Macht in den Händen halten, sind der politischen Opposition zwar in vielen Punkten entgegengekommen. Doch müssen sie nach Ansicht einiger kritischer Stimmen einiges mehr unternehmen, um zufrieden stellende demokratische Strukturen zu schaffen.

"Die Armee hat etliche Forderungen der Revolution erfüllt", bestätigt der Journalist und Generalsekretär der Islamischen Arbeitspartei, Magdi Hussein. "Doch gibt es noch vieles, was angepackt werden muss wie die Freilassung der Menschen, die während des Volksaufstands verhaftet wurden oder verschwunden sind."

Der Oberste Rat der ägyptischen Streitkräfte, der seit dem Rücktritt Mubaraks vom 11. Februar das Land regiert, wird nach eigenen Angaben die Macht binnen eines halben Jahres abgeben. Seit dem denkwürdigen Tag hat das Militär in einer ganzen Serie von Mitteilungen angekündigt, die "legitimen Forderungen" der Demonstranten in einem angemessenen Zeitplan zu erfüllen. So sicherte der Oberste Rat eine "friedliche" Machtübergabe an eine gewählte zivile Regierung zu, der der Aufbau eines demokratischen und freien Landes zukomme.

In einer Mitteilung vom 12. Februar erklärte sich der Rat zudem bereit - und nicht zuletzt in Anspielung auf das 32-jährige Friedensabkommen mit Israel -, alle regionalen und internationalen Verpflichtungen und Abkommen einzuhalten. Am Tag darauf setzte der Rat die ägyptische Verfassung aus und löste beide Häuser des Zweikammerparlaments auf. Darüber hinaus erklärte er seine Bereitschaft, die Regierungsgeschäfte bis zu freien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen innerhalb von sechs Monaten zu übernehmen.

Am 14. Februar ernannte der Rat ein achtköpfiges Expertengremium, das die Verfassungsartikel überarbeiten soll, die den Wahlprozess und die Amtszeit des Präsidenten betreffen. Die Veränderungen sollen innerhalb von zehn Tagen vorliegen und dann nach spätestens zwei Monaten der Bevölkerung im Rahmen einer Volksbefragung vorgelegt werden.


Positive Resoanz

Alle diese Schritte wurden in Ägypten weitgehend positiv aufgenommen. "Die Auflösung des Parlaments, das mit den Kumpanen der Regierungspartei gemeinsame Sache machte, und das Versprechen der Machtübergabe an eine Zivilregierung innerhalb eines festen Zeitplans haben dazu beigetragen, die Menschen von den guten Absichten des Militärs zu überzeugen,", sagte Magdi Hussein.

Doch zur Enttäuschung vieler Oppositioneller beschloss der Militärrat, die von Ministerpräsident Ahmed Schafik geführte Regierung bis zur Bildung einer neuen Regierung zu belassen. "Die Schafik-Administration besteht aus neuen und alten Ministern, die alle von Mubarak ernannt worden sind", bemängelt auch Hussein. "Wie kann es sein, dass Mubarak aus dem Amt getrieben wurde, seine Regierung jedoch bleiben darf, zumal sich alle amtierenden Minister als Fehlbesetzungen herausgestellt haben?"

Überfällig sind nach Ansicht Husseins die Freilassung der politischen Gefangenen und die Abschaffung des nationalen Notstandsgesetzes, das willkürliche Festnahmen und die Auflösung von Versammlungen erlaubt. Auch dürfen Zivilisten von einem Militärgericht abgeurteilt werden. "Viele von denen, die während des Aufstands verhaftet oder verschwunden sind, und nicht zu vergessen diejenigen, die seit Jahren in den Gefängnissen ausharren, wurden nicht freigelassen, kritisiert der Politiker.

Am 13. Februar hatten sich zwei Mitglieder des Obersten Rats mit acht ausgewählten Demonstrationsführern getroffen. In einem Online-Statement nach dem Treffen versicherten zwei der acht zivilen Unterhändler, dass die Streitkräfte offenbar fest entschlossen seien, eine demokratisch gewählte Zivilregierung in Ägypten zu installieren.

"Der Rat hat uns mitgeteilt, dass er die Schafik-Regierung zum Schutz der öffentlichen Interessen im Amt belassen hat. Er teilte uns aber ebenfalls mit, dass er daran arbeite, sie schnell zu ersetzen", hieß es in der Mittelung. "Der Rat hat ferner erneut seine Bereitschaft betont, alle korrupten Mitarbeiter des Regimes - die neuen und die ehemaligen - rechtlich zu belangen."


Namensliste Inhaftierter/Verschwundener

Die Streitkräfte ließen bei dieser Gelegenheit ebenfalls verlauten, dass sie an einer Liste mit den Namen aller verhafteten oder verschwundenen Demonstranten zu erstellen und die Suche nach den Betroffenen einzuleiten. Eine Zusage, die nach Ansicht von Hussein Grund Anlass zu Hoffnung gibt. Der Chef der Islamischen Arbeiterpartei saß selbst zwei Jahre im Gefängnis, weil er während der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen 2008/2009 die ägyptische Grenze zu dem palästinensischen Territorium überschritten hatte.

Der Oberste Rat besteht derzeit aus 17 Mitgliedern einschließlich des langjährigen Vereidigungsministers Mohamed Hussein Tantawi. In Abwesenheit des Präsidenten ist er der Oberkommandierende der ägyptischen Streitkräfte. Das Militär hat bereits zwei Mal in der jüngsten Geschichte die öffentliche Ordnung wiederherstellt: bei der Hungerrevolte 1977 und einem Aufstand von Sicherheitskräfte zugunsten von Lohnerhöhungen 1986. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2011