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NAHOST/759: Naqab/Negev-Beduinen - Versuch eines kolonialen Paradigmas (inamo)


inamo Heft 64 - Berichte & Analysen - Winter 2010
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Naqab/Negev-Beduinen: Versuch eines kolonialen Paradigmas

Von Oren Yiftachel


Die Untersuchung der Beduinengesellschaft als einer marginalisierten, aber modernisierenden Minderheit, so wichtig sie auch ist, nimmt einen zentralen Faktor, der die Wirklichkeit der Beduinen seit 1948 ausmacht, nicht zur Kenntnis, nämlich Israels ethnischen Kolonialismus in ihrer Region. Dieser hat unmittelbar zu Enteignung und erzwungener Umsiedlung, zu Flüchtlingen und einem anhaltenden Kampf mit den israelischen Behörden um Land, Entwicklung und Wohnrechte geführt.


Die Konzentration der Beduinen in auf dem Reißbrett geplanten "Entwicklungsstädten" ist von Armut und sozialer Abwertung gekennzeichnet. Unter dem israelischen Regime sind Beduinen "Eindringlinge" in das Land ihrer Vorväter und "Hindernisse" auf dem Weg zu Entwicklung geworden. Die bisherige Forschung war nicht in der Lage, eine einfache Frage zu beantworten: warum werden die Beduinen mehr als alle anderen Minderheiten in Israel/Palästina diskriminiert?

Die Antwort besteht in zwei für die zionistische Siedlergesellschaft kritischen Zielsetzungen: Land und Demographie. Beduinen sind unmittelbare Hindernisse für Israels "ethnokratisches" Regime und für Israels durchgängigen Druck, die Territorien unter seiner Kontrolle, d.h. sowohl Israel selbst als auch die besetzten Gebiete zu judaisieren (und so zu de-arabisieren). Vor 1948 besaßen die Beduinen im Naqab/Negev Land in einer geschätzten Größenordnung von 3-5 Mio. dunams (1 dunum entspricht etwa 1000 m²) wobei Besitz verschiedenartige Rechtsformen bedeuten kann. Dies erklärt die besondere Schwere der ethnischen Säuberung dieser Region: etwa 80-85 % der Araber wurden aus dem Staatsgebiet während des 1948er Krieges und danach vertrieben.

Das wiederum hat Israel erlaubt, sich das Land "legal" anzueignen und es für jüdischen Gebrauch bereitzustellen. Die Beduinen, die in Israel verblieben sind, wurden streng kontrolliert, wobei ihr traditionelles System des Grundeigentums unbeachtet blieb, damit der Staat die völlige Kontrolle über das Land beanspruchen konnte. In demographischer Hinsicht wird den Beduinen gemeinhin eine "gefährlich" hohe Geburtenrate vorgeworfen, die den modernen und aufgeklärten Way of Life bedrohe, den wiederum die Architekten der israelischen Gesellschaft so sehr suchen. In dieser Hinsicht ist ein offen rassistischer Diskurs entstanden, in dem die Beduinen als anders und minderwertig essentialisiert werden.

Das zuvor Gesagte bedarf der genaueren Darstellung, weil die Kolonisierung der Beduinen nicht die einzige israelische Politik war. Es gibt sehr wohl auch andere Aspekte, mitunter durchaus progressive und fördernde. Die israelische Politik war nicht homogen, sie umfasst konkurrierende Ansätze zur Behandlung der lokalen Beduinen. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass der Ansatz der Judaisierung eine hegemoniale Meta-Geschichte für die meisten Politikrichtungen darstellt und, dass dieser Ansatz seit nunmehr sechs Dekaden die klare Grenze für Politiker darstellt.

Siedlergesellschaft
Geographie, das braucht nicht betont zu werden, ist in höchstem Maße wichtig für die Beziehungen der Beduinen zu den Institutionen, den Praktiken, den Legalitäten und dem Diskurs der jüdischen, zionistischen Siedlergesellschaft. Die Betrachtung der Beduinen sollte auf diese Interaktionen und Schnittstellen achten, wo wohlfeile Vorstellungen von Entwicklung und Fortschritt das nackte Projekt des "internen Kolonialismus" treffen, das alle Siedlergesellschaften kennzeichnet. In Israel, wie gut bekannt ist, hat der Staat als langfristige Ziele die "Eroberung des Brachlandes", die "blühende Wüste" und die "Judaisierung der Randgebiete" ausgerufen. Dieser Anspruch ist ursprünglich von außen an die beduinische Gemeinschaft herangetragen, aber im Laufe der Jahre von dieser verinnerlicht worden. Obgleich die Stabilisierung der südlichen Grenze in den letzten Jahren als gesellschaftliches Ziel an Bedeutung verloren hat, steht die Judaisierung der Region nach wie vor oben auf der Tagesordnung der israelischen Regierung. In dieser Hinsicht sind neue Politikbestrebungen zu vermerken, die sich auf die Kontrolle von Land, die Abgabe von Land an ausschließlich jüdische Bauernfamilien und auf die Versuche beziehen, Bau- und Agrarprojekte von Beduinen zu beschränken.

Die Dinge verkomplizieren sich, wenn man weiß, dass die Negev-Beduinen formal in den jüdischen Staat integriert wurden, 1949/50 erhielten sie offiziell die Staatsbürgerschaft. Diese Tatsache hat es ihnen erlaubt, für ihre Rechte und für Gleichheit zu werben und sich politisch in einer Weise zu organisieren, die für Beduinen unter anderen Regimen nicht vorstellbar war. In gewisser Hinsicht haben die Negev-Beduinen den Raum, der ihnen in Israel offen steht, durchaus für Mobilisierungen vor allem im Bereich der Lokalpolitik in den "geplanten Städten" genutzt und so einen Prozess der Demokratisierung eingeleitet.

Außerhalb ihrer kleinen Enklaven bleibt die Staatsbürgerschaft der Beduinen aber eine rein formelle; eine Methode der Registrierung, der Organisation und der Überwachung, und die an sich wenig politische Bedeutung trägt. Sie hat nie echte politische Beteiligung in gesamtstaatlichen oder auch nur regionalstaatlichen Angelegenheiten bedeutet noch war sie eine Begründung, einen gerechten Anteil staatlicher Ressourcen zu bekommen. Die Beduinen sind "unsichtbare Bürger" geblieben, die zusehen dürfen, wie der Siedlerstaat sich mit massiven Mitteln das Land ihrer Vorväter aneignet. Die Bedeutung, als Minderheit in einer Siedlergesellschaft die Staatsbürgerschaft zu besitzen muss erst noch untersucht und erforscht werden.

Typisch für koloniale Projekte ist die Beziehung der Beduinen zur zionistischen Siedlergesellschaft durch Spaltungen und Identitätsmanipulationen gekennzeichnet. Um ihren Widerstand möglichst klein zu halten, hat der Staat versucht, ihr "Israelischsein" (natürlich nicht etwa ihr "Jüdischsein") zu betonen, sie von anderen palästinensischen Gemeinschaften in Israel/Palästina zu trennen und sie so konsequent zu "de-palästinensinieren", ja in ihrer Identität zu "de-arabisieren". Beduinen sind in Israel gemeinhin als kulturell "einzigartig" konstruiert worden: ein exotisches Volk, dessen Loyalität einzig der Wüste und keinem einzelnen Staat bzw. keiner einzelnen Kultur gehöre. Während die Negev-Beduinen in der Tat ihre eigenen kulturellen und ethnischen Merkmale besitzen, waren sie doch immer ein Teil der weiteren arabischen Welt und gehören unzweifelhaft den Arabern Palästinas an. Ihre selbstverständliche Einbeziehung als "Palästinenser mit beduinischer Herkunft" in die palästinensischen Gemeinschaften im Exil belegt diese Zuschreibung.

Die spaltende koloniale Strategie ist durch ein System teilweiser Anbindung ergänzt worden. Der Staat hat versucht, die Beduinen einzubeziehen, sie aber gleichzeitig am Rande zu halten. Im Kontext des Negev ist diese Strategie von einigen arabischen Führern bereitwillig aufgenommen worden, da diese den kolonialen Apparat benutzen konnten, um ihre Herrschaft über Siedlungen und Stämme auszubauen. Aber die staatliche Unterstützung hat ihren Preis: Aufgabe der Beziehungen zu palästinensischen oder anderen arabischen bzw. muslimischen Gruppen, Ermutigung, in der israelischen Armee zu dienen, sowie die Judaisierung der Region außerhalb der arabischen Enklaven zu billigen.

Das Identitätsregime hat aber auch "im Innern" der Gemeinschaften operiert. Hier gab es Versuche, die Beduinengemeinschaften zu spalten, indem das traditionelle patriarchale Stammessystem unterstützt wurde und Praktiken wie die Ehe unter nahen Verwandten, die Polygamie sowie ein innerer Rassismus gebilligt wurden. Der israelische Staat hat insgeheim bis in die späten 80er des vergangenen Jahrhunderts sogar die sehr konservative islamische Bewegung unterstützt, weil man darin eine "weichere" Identität sah als in den nationalistischen palästinensischen Bewegungen. Hier liegt ein Paradox: Siedlergesellschaften - und eben auch Israel stellen sich gerne als modern und westlich dar, verlängern und vertiefen aber eigentlich die reaktionären Verhaltensweisen ihrer Bevölkerung.

Indigenität
Mittlerweile gibt es eine ganze Anzahl von theoretischen, historischen und empirischen Studien über Völker, die in kolonisierten Regionen bzw. Staaten leben und die in der Folge zu "indigenen" Völkern wurden. Solche Studien zeigen die Problematik von Minderheiten auf, die gemeinhin in der staatszentrischen Wissensproduktion "unerkannt" blieben. Sie haben die traditionellen anthropologischen und orientalistischen Ansätze, die solche Minderheiten als exotische Phänomene "dokumentiert" hätten, bevor diese durch Assimilation von der Bühne der Geschichte verschwunden wären, politisiert. Die Politisierung hat die Kategorie des "Indigenen" als eine historische Wirkmacht konstruiert. Das "Indigene" kämpft und entwickelt sich und ist nicht länger passives Opfer kolonialer Politik. Indigenität ist zu einem Anspruch auf Macht, Selbstbestimmung, Kultur und Raum geworden.

Die Relevanz des Indigenitäts-Konzepts für die Negev-Beduinen ist offenkundig. Sie sind eine Gruppe, die auf dem Land ihrer Vorväter lange vor der zionistischen Besiedlung lebte und sich in deren Folge mit Enteignung und Marginalisierung konfrontiert sieht. Vor der israelischen Herrschaft hatten die Beduinen ein System der tribalen Herrschaftsordnung sowie eine Anzahl bewährter Traditionen und Gewohnheitsrechte, die mehr oder weniger auch während der osmanischen und britischen Kolonialherrschaft unverändert in Kraft blieben, In wichtigen Aspekten ist deshalb die Misere der Beduinen ähnlich der anderer indigener Völker, etwa der Maori in Neu-Seeland, der Aboriginies in Australien oder der Zapatistas in Mexiko; alle haben ihre Selbstbestimmung verloren, halten aber ihren Kampf aufrecht, die Kontrolle über das Land und über ihre kulturell Autonomie zurückzubekommen.

"Die Grauzone"
Die politische Geographie, die Globalisierungsforschung und die sogenannten Urban Studies haben jüngst das Phänomen der "urbanen Informalität" beschrieben. Damit sind Enklaven, Bevölkerungs- und Wirtschaftsteile gemeint, die nur teilweise in die "Gastgebergesellschaft" eingebunden sind. Ich selbst spreche in diesem Zusammenhang von "Grauzonen", die als solche zwischen dem "Weißen" der Legalität, der Zustimmung, der Sicherheit und dem "Schwarzen" der Zerstörung, des Todes, der Herauslösung liegen. "Grauzonen" sind weder integriert noch eliminiert. Sie bilden pseudo-dauerhafte Ränder heutiger urbaner Regionen und sind weitgehend außerhalb der Beachtung durch staatliche Behörden und Stadtplanern.

Die Relevanz des Konzepts der "Grauzonen" für die Analyse der Situation der Negev-Beduinen ist offenkundig. Um das jüdische Beer-Sheva sind solche "Grauzonen" in kurzer Zeit in beduinisch-arabische Wellblech- und Holzhüttensiedlungen gewachsen. Das ist ganz klar ein Abfallprodukt der israelischen Politik, die sich weigert, beduinische Eigentumsrechte auf das Land ihrer Vorväter anzuerkennen und die Beduinen damit faktisch zu "Eindringlingen" erklärt. "Grauzonen" sind auch in den auf dem Reißbrett geplanten Neubausiedlungen für die arabischen Beduinen erkennbar, wo Hausbesetzer zunehmend den öffentlichen Raum besetzen, der seinerseits auf noch umstrittenen Land existiert. Es gibt darüber hinaus auch eine größer werdende Zahl von "befristeten" arabischen Einwohnern in der modernen jüdischen Stadt Beer-Sheva. Sie wohnen hauptsächlich im heruntergekommenen osmanisch-arabischen Stadtzentrum und den angrenzenden verarmten Vierteln. Neben den etwa 1.000 offiziell einem anerkannten Beruf nachgehenden Arabern, die gleichzeitig Einwohner der Stadt sind, gibt es ein paar tausend andere, die einen "städtischen Schatten" darstellen, unregistriert sind und somit auch nicht auf kommunaler Ebene politisch vertreten sind. In der Folge genießen diese keine kommunalen Leistungen, keine Schulbildung, keinen Zugang zu religiösen Einrichtungen und eben keine politische Repräsentation.

Wie weitermachen?
Indigene Politik, die im Spannungsfeld aus Zwang, Fragmentierung und Versuchung seitens der Kolonialmacht operieren muss, ist häufig sehr wechselhaft; so auch die Politik der Beduinen Israels. Sie schwankt zwischen der Notwendigkeit, einerseits eine geeinte Front gegen die enteignende Regierung zu bilden und andererseits dem tief verwurzeltem Tribalismus, Chauvinismus und Zynismus sowie den Spannungen, die sich aus den unterschiedlichen konkreten Agenden der verschiedenen Politiker ergeben. Eine andere Quelle für Spannungen besteht vis-a-vis den Palästinensern im Norden Israels und gegenüber der "palästinensischen Sache" im Ganzen. Die Politik der Beduinen ist von tiefgreifender Unsicherheit und von Spaltungen geprägt. Gleichwohl ist sie eingebettet in den gesamtpalästinensischen Unabhängigkeitskampf und damit in eine post-koloniale Vision. Die Beduinengemeinschaften sehen sich täglich starken und verwirrenden Kräften ausgesetzt, während sie versuchen, ihre Position zwischen Tradition und Kolonialisierung zu behaupten.


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Palästinenser mit beduinischer Herkunft

Nahezu unbeachtet von nationaler wie internationale Seite sind die Beduinen, die mit blauem Pass auf israelischem Staatsgebiet in Galiläa im Norden und hauptsächlich im Süden in der Wüste Naqab (Hebr.: Negev) leben. Die Folgen ihrer Zwangssesshaftmachung nach der Staatsgründung 1948, ihrer Umsiedlung und vor allem auch ihre aktuellen Probleme mit und in Israel finden weit seltener den Weg zu der breiteren Öffentlichkeit.

Nach 1948
Die Mehrheit der Beduinen (80-85%) musste fliehen oder wurde während des Krieges in die umliegenden Länder vertrieben. Der erste offizielle Staatszensus Israels im Jahre 1953 zählte 11.000 Beduinen im Negev. 1946, also am Ende der britischen Mandatszeit, waren es ungefähr 95.000.

Die verbleibenden Beduinen wurden 1952 in einem abgegrenzten Gebiet, der sogenannten "Enclosed Zone" oder "siyag", im Nordosten des Negev abgedrängt ... Die "Enclosed Zone" umfasste mit nur zirka 1000 km² kaum 10% der ursprünglich von den Beduinen genutzten Fläche der Wüste. Darüber hinaus war sie bis 1966, wie auch andere arabische Gebiete, unter Militärverwaltung gestellt. Dies bedeutete dramatischen Landverlust, Einschränkungen in allen Lebensbereichen der Beduinen (strenge Überwachung der Bewegungsfreiheit, zum Verlassen der EZ benötigte man autorisierte Passierscheine usw). Sie waren nicht nur ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt, sondern auch ihre Würde.

1953 trat das "Land Acquisition Law" in Kraft, welches dem Staat das Landeigentum jeder Person zuführte, die zu einem bestimmten Datum nicht auf dem Land wohnhaft war oder es kultivierte. ... Die Mehrheit der Beduinen konnte nicht anwesend sein, sie waren geflohen oder im militärischen Sperrgebiet - sie verloren ungefähr 95% ihrer Ländereien.

Zudem wandten die israelischen Behörden bei der Staatsgründung das aus osmanischer Zeit stammende "Mawat" Landgesetz aus dem Jahre 1958 im Negev an: Es deklarierte alle nicht oder nur zeitweise genutzten Ländereien zum Staatseigentum... Israel wandte dieses Gesetz an und erklärte kurzerhand den gesamten Negev zum Staatsland traditioneller Landbesitz und -Nutzung war fortan illegal. ...

Die Beduinen, die sich weigerten ihre Landansprüche aufzugeben oder auf ihrem Stammesland in der "Enclosed Zone" bleiben wollten, leben dort nach wie vor illegal auf Staatsland und kämpfen um Anerkennung ihrer Eigentumsansprüche ...

Historische Quellen belegen, dass die Beduinen ursprünglich 12.600.000 Dunum (1 Dunum 1000 km²) des Naqab/Negev besagen. Nach statistischen Angaben der Arabischen Menschrechtsorganisation (HRA) und der Ben-Gurion-Universität lebt die gesamte beduinische Bevölkerung innerhalb der sieben Städte und der mehr als 45 Dörfer auf ganzen 240.000 Dunum...

1976
Im Jahr 1976 gründete der Staat eine paramilitärische Truppe (Green Patrol) mit der offiziellen Aufgabe, Staatsland und Naturschutzgebiete vor Übergriffen und illegaler Besiedlung zu schützen. Seither kontrolliert die Green Patrol die Anzahl des Viehs, die Größe der Weide- und Anbauflächen, vertreibt Bewohner "illegaler" Dörfer, zündet Zelte an und zerstört Häuser. Es gibt außerdem Berichte über getötetes Vieh, vergifteten Ernten und Beschimpfungen sowie verbale Bedrohungen seitens der "Grünen Patrouille". ...

Die Situation im Negev ist entsprechend alarmierend: Alle beduinischen Städte und Dörfer liegen am untersten Ende der offiziellen sozialökonomische Statistiken. Sämtliche "nicht-anerkannten Dörfer" (sie sind isoliert, sind nicht an die staatliche Versorgung mit Wasser und Elektrizität angebunden, haben keine Schulen und Krankenhäuser) sowie die Mehrzahl der bis dato anerkannten Ansiedlungen haben keinen direkten Zugang zu Wasser, Abwassersystem, Elektrizität, Kliniken oder Schulen. Die Arbeitslosenrate der ärmsten Dörfer beträgt 60% bei Männern und 80% bei Frauen; die Rate der Schulabbrecher der Gymnasien liegt bei 50%. Die Kindersterblichkeit im Negev beträgt 1,8% in beduinischen Gebieten, verglichen mit 0,4% in den jüdischen Siedlungen. Teile der israelischen Siedlern, die infolge Sharons "Disengagement"-Politik 2005 den Gazastreifen räumen mussten, wurden im Negev angesiedelt, auf traditionell beduinischen Territorium. "Nach offizieller Staatsräson nämlich ist die Wüste im Süden Israels, die mit 12.500 km² zwei Drittel der Gesamtfläche des Staates bedeckt, seit der Gründung Israels zu besiedelndes Staatsland.

Das Gebiet ist jedoch alles andere als "leer": Nach den neuesten Statistiken des Regional Council of the Unrecognised Villages (RCUV) und der Ben Gurion Universität des Negev leben mehr als 140.000 Beduinen in sieben staatlich anerkannten Städten - und in mehr als 37 nicht staatlich anerkannten Siedlungen ...


Oren Yiftachel lehrt am Institut für Geographie. Ben-Gurion-Universität, Beer-Sheva. Textauszüge aus: Epilogue: Studying Naqab/Negev Beduins - toward a Colonial Paradigm. In: Hagar Studies in Culture, Polity and Identities, Vol. 8(2)2008: 83-198. Gekürzt und übersetzt aus dem Englischen von Christopher Hayes.


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 64, Winter 2010

Gastkommentar:
- Gilad Shalit - Faustpfand israelischer Politik von Lev Grinberg

Palästina in Israel:
Bürgerrecht im Ghetto - Palästinensische Araber in Israel, von Oren Yiftachel
Eigenständig aber nicht gleichberechtigt - der arabisch-palästinensische Bildungssektor, von Yousef Jabareen
Naqab/Negev-Beduinen: Versuch eines kolonialen Paradigmas, von Oren Yiftachel
Araber raus! von Gideon Levy
Zeit, die Knesset zu verlassen, von Ramzi Suleiman
Heimkehr nach Haifa oder auf dem Weg zurück, von Raef Zreik
• Diskriminierende Gesetzgebung und Politik
• Israels Top Anti-Democratic Knesset Bills
• Der Status der arabischen Frauen
• Hauszerstörungen
• Legitimität von Gewalt gegen arabische Staatsbürger
von Mossawa-Center und Association for Civil Rights in Israel - ACRI

Afghanistan:
- "Meine Wähler von damals ... sind heute Taliban", von Matin Baraki

Ägypten:
- Ägyptens letzte Wahl, von Holger Albrecht und Florian Kohstall
- Ägyptische Demokratie mit drei Wahlausweisen, von Ivesa Lübben

Jordanien:
- Parlamentswahlen in Jordanien: Ein deja vu, von Malika Bouziane

Sudan:
- Der Sudan vor der Spaltung - Chaos oder Chance? von Roman Deckert
- Abgrund Abyei? von Tobias Simon

Libanon:
- "Palästinenser leben hier, also sollen sie auch arbeiten können", von Ray Smith

Marokko/Westsahara:
- Westsahara - Vorbereitung für einen Völkermord unter Ausschluss der Öffentlichkeit? von Axel Goldau

Türkei:
- Wasser als Machtinstrument: das GAP, von Ergin Günes

Wirtschaftskommentar:
- Palästinensische Wirtschaftsgefängnisse, von Sam Bahour

Zeitensprung:
- 1980 Muhammad Asads "Die Botschaft des Koran", von Jörg Tiedgen

Ex Mediis
Esther Benbassa: Jude sein nach Gaza /
Film: Lebanon, von Samuel Maoz /
Linda Polman: Die Mitleidsindustrie /
Hatim Kanaaneh: A doctor in Galilee /
Mohamed Turki: Humanismus und Interkulturalität /
Ibn al-Djauzi: Buch der Weisungen für Frauen,
von Sabine Schiffer, Belén Fernández, Nils Fischer, Werner Ruf

//Nachrichten/Ticker//


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Quelle:
INAMO Nr. 64, Jahrgang 16, Winter 2011, Seite 13 - 15
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und Mittleren Ostens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2011