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NAHOST/698: Keine Zukunft für Al-Araqib - Israel macht seinen Beduinen Landrechte streitig (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2010

NAHOST:
Keine Zukunft für Al-Araqib - Israel macht seinen Beduinen Landrechte streitig

Von Jerrold Kessel und Peter Klochendler


Al-Araqib, Israel, 28. September (IPS) - In der mittäglichen Gluthitze der Negevwüste schleppen Beduine Salem Abu-Midyam und seine Nachbarn Bretter heran. Sie wollen ihre Hütte in der von der Polizei verwüsteten Siedlung Al-Araqib wieder einmal aufbauen. Bislang fünf Mal wurden die Hütten und Zelte des traditionellen Beduinendorfs eingerissen.

Immer wieder wird Al-Araqib zum Schauplatz eines Konflikts um die von den Beduinen verteidigten Landrechte, die ihnen die Regierung verweigert. Sie sind zwar israelische Staatsbürger, gelten aber als rechtlose 'Nomaden' und illegale Besetzer von Staatsland und sind großen Siedlungs- und Agrarprojekten im Weg. Weil Al-Araqib offiziell nicht existiert, ist die Beduinensiedlung auf keiner israelischen Landkarte verzeichnet.

Salem weist auf einen Trümmerhaufen: "Das war einmal mein Haus. Und hier wohne ich jetzt", fügt er hinzu und zeigt auf eine der klapprigen Bretterhütten, die er und die Nachbarn zu Dutzenden aufgestellt haben. In einem separaten, mit Wellblech und einer Wolldecke abgetrennten 'Badezimmer' planschen zwei Kinder.

Trotz mehrfacher Vertreibung sind die meisten Bewohner von Al-Araqib, 35 Familien mit insgesamt rund 400 Menschen, in ihr zerstörtes Dorf zurückgekehrt. Clanchef Sheik Sayyah Abu-Medgheim ist in einem größeren Wellblechgebäude neben dem Friedhof, der unzerstört geblieben ist, untergekommen. Hier werden die Toten gewaschen, bevor man sie bestattet. "Soll ich vielleicht den Friedhof verlassen, auf dem schon der Vater meines Großvaters begraben wurde?" fragt er klagend. "Die Behörden haben zwar erklärt, dass sie uns für unser Land entschädigen wollen, doch andererseits behaupten sie, wir seien Nomaden und hätten keine dauerhafte Bleibe. Das stimmt aber nicht."

Die Polizei beruft sich bei ihrem Vorgehen gegen die Beduinen auf Bau- und Siedlungsvorschriften. Sie könnten ja nach Rahat ('Ruhe') umziehen, eine nahe gelegene Stadt, die die Regierung speziell für Beduinen gebaut hat.

Doch Sheik Sayyah kann Kopien von alten, zur Zeit der Ottomanen ausgestellten Besitzurkunden vorweisen, die bis ins 19. Jahrhundert, lange vor der Staatsgründung Israels (1949) zurückreichen. Sein Turi-Clan habe seit über 100 Jahren hier gelebt, stellt er fest. "Wir haben das Land bestellt und Steuern bezahlt. Das beweisen türkische und britische Dokumente."


Beduinensiedlungen ohne staatliche Dienste

1951 ließ die israelische Regierung Al-Araqib und zahlreiche andere Beduinensiedlungen räumen. Das Land wurde als militärisches Übungsgelände gebraucht. Man versprach den Beduinen, sie könnten ein halbes Jahr später wieder zurückkommen, doch daraus wurde nichts. Nur ihre Herden ließ man hier hin und wieder weiden.

Die Lebensumstände der in 45 Dörfern in der Wüste Negev und in Galiläa lebenden 90.000 Beduinen sind miserabel. Nach amtlicher Lesart sind sie illegal und deshalb von staatlichen Dienstleistungen wie Schulen, Wasser- und Stromversorgung sowie Abfallentsorgung ausgenommen.

Eine Zukunft für sein Heimatdorf Al-Araqib sieht Jumaa A-Turi nur dann, wenn seine Mitbürger bereit sind, sich auf Kompromisse einzulassen. Der elegante Enddreißiger ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und fährt im blitzblanken schwarzen Mercedes in der sandigen Beduinensiedlung vor. Auch acht seiner Häuser und Warenlager waren bei der letzten Polizeiaktion zerstört worden.

"Man muss pragmatisch sein, wenn das Dorf eine Zukunft haben soll", betont er. "Wir haben zwar ein hundertprozentiges Recht an unserem Land, doch das wird der Staat in Millionen Jahren nicht anerkennen." Jumaa ist dafür, einen "klugen Kompromiss" auszuhandeln, der schon in einem knappen Jahr eine Lösung bringen könnte. Sein Vorschlag: "Jede Familie erhält ein Stück Land, um darauf ein Haus zu bauen und kann dazu etwas Ackerland pachten."


"Ein Verbrechen, Beduine zu sein"

Auch der Jurist und Knesset-Abgeordnete Taleb el-Sana, der in der Negevwüste aufgewachsen ist, sah sich nach dem Polizeieinsatz in Al-Araqib um. "Die Situation hier ist zwar entsetzlich, doch dieses Dorf könnte sich an die Spitze unseres Kampfes für die Anerkennung unserer Rechte setzen", sagt er. "Die israelische Regierung konnte vor 20 Jahren eine Million Einwanderer aus der Sowjetunion aufnehmen, doch es scheint ein Verbrechen zu sein, kein Jude, sondern Beduine zu sein."

Zu Solidaritätsbekundungen mit dem zerstörten Dorf kamen auch Aktivisten, israelische und arabische Juden, in zahlreichen Bussen nach Al-Araqib. Die israelische Regierung scheint entschlossen zu sein, den Wiederaufbau von Al-Araqib für immer zu verhindern. Nach Angaben von Regierungsvertretern soll hier ein Wald gepflanzt werden. Doch auch die Dorfbewohner wollen nicht nachgeben. (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2010