Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/614: Beendet die Blockade gegen die Menschen in Gaza (Hedy Epstein)


Beendet die Blockade gegen die Menschen in Gaza

Von Hedy Epstein - 27. Januar 2010


Als die Uhr in der Sylvesternacht Mitternacht schlug, war ich nicht im Gazastreifen.

Seit Monaten hatte ich geplant, dort zu sein, weil ich weiß, wie es ist, nachts durch ein Klopfen an der Tür wach zu werden; wenn das Haus durchsucht wird; nicht zur Schule gehen zu können; wenn deine Eltern verhaftet und an einen unbekannten Ort deportiert werden; nicht zu wissen, ob oder wann sie zurückkommen; Flugzeuge über deinem Kopf zu hören und darauf zu warten, daß sie ihre tödliche Fracht abwerfen; in jungen Jahren schon zur Waise zu werden.

Weil nun aber der mehr als achtzigjährige ägyptische Führer - unter Druck von außen - hunderte Menschen aus aller Welt daran gehindert hat, die ägyptische Grenze nach Gaza zu überqueren, habe ich mit einem Hungerstreik begonnen, um ihm den Anstoß zu geben, das Richtige zu tun und uns zu erlauben zu passieren. Der ägyptische Außenminister hat uns verächtlich als Randalierer bezeichnet.

Ich habe in den meisten meiner 85 Jahre für die Sache der Menschenrechte gekämpft. Meine frühen Jahre, in denen ich als jüdisches Kind in Deutschland aufgewachsen bin, haben mich ein geschärftes Bewußtsein dafür entwickeln lassen, wie Menschen behandelt werden.

Ich glaube, daß Präsident Obama sich auf ähnliche Weise des Leidens anderer deutlich bewußt ist. Und dennoch scheint er, an der Spitze der amerikanischen Macht, nicht in der Lage zu sein, die vorherrschenden "Weisheiten" infragezustellen. Sein Friedensnobelpreis ist eindeutig ein Preis, den er nicht verdient. Es ist zu früh, und sein erschreckendes Schweigen sowie seine Beteiligung am Leid der Palästinenser, sind für mein Empfinden zu groß.

Hunderte Amerikaner beabsichtigten, nach Gaza zu reisen, um zu zeigen, wie wirkliches Friedenstiften aussieht. Wo die Regierung nichts unternimmt, nehmen normale amerikanische Bürger die Dinge in die Hand und fordern mehr von ihrer Regierung. Die Ansprachen, die auf dem Gaza Freedom March am 31. Dezember gehalten wurden - auch wenn er in Kairo stattfand - waren nicht so eloquent oder professionell gefaßt wie die von Obama, aber sie waren ein tiefempfundener Aufruf an die Welt, die verheerende Blockade gegen die Menschen in Gaza aufzuheben.

Über 1.300 Menschen aus mehr als 40 Ländern hatten den Plan, in einer Karawane von Kairo nach Gaza zu ziehen, um die Zerstörungen durch den israelischen Angriff im vergangenen Winter zu bezeugen, der über 1.400 Palästinenser das Leben gekostet hat - etwa 300 von ihnen unschuldige Kinder. Einmal die Grenze bei Rafah überquert, hätten den Erwartungen nach 50.000 Palästinenser zu uns stoßen sollen zu einem gewaltlosen Marsch an die israelische Grenze. Auf der israelischen Seite der Grenze forderten Palästinenser und Israelis die israelische Regierung auf, die Grenze zu öffnen. Sie ließen Luftballons steigen und Drachen fliegen und schwenkten Fahnen zur Unterstützung der palästinensischen Bestrebungen für Frieden.

Ich bin mir darüber im klaren, daß ich eine der Glücklichen bin, die die Schrecken des kriegszerrissenen Europa überlebt hat. Heute führe ich ein privilegiertes Leben in St. Louis. Ich bin frei zu reisen und mache mir keine Sorgen darüber, wie ich das Essen auf den Tisch bekomme. Meine Existenz unterscheidet sich sehr von der der Mehrheit der Palästinenser in Gaza, die weniger als zwei US$ pro Tag zum Überleben haben.

Weil ich das alles weiß, weil zuviele meiner frühen Jahre der palästinensischen Erfahrung quälend ähnlich sind, "kann ich nicht tatenlos zusehen". (Leviticus 19:3) Es ist meine Pflicht und die aller Amerikaner, den Palästinensern in ihrer Zeit der Not die Hand zu reichen und mit ihnen solidarisch zu sein, sie wissen zu lassen, daß sie nicht allein sind, daß ich ihnen eine Botschaft aus St. Louis übermittle, daß wir an sie denken, während sie sich auf eine weitere Winternacht ohne genügend Elektrizität, genügend Wärme und genügend Unterkunft gefaßt machen.

Ich habe mit einem Hungerstreik begonnen, und andere haben sich mir angeschlossen, weil ich mich von der Unbeirrbarkeit, der Stärke und ja, sogar der Hoffnung der palästinensischen Menschen beflügelt fühle, trotz allem. Fünfmal bin ich seit 2003 in der israelisch besetzten Westbank gewesen, aber nie in Gaza. Obwohl ich durch die ägyptische Regierung in meinen Plänen gehindert - und auf viele unserer Marschierer eingeprügelt - wurde, habe ich die Absicht, das, was ich über die palästinensische Realität in Gaza weiß, mit Zuhörern über die ganze Nation hinweg zu teilen. Und ich habe alle Hoffnung, meinen Senatoren und Repräsentanten und vielleicht sogar Präsident Obama vom verwüsteten Gaza und seinen mutigen Menschen erzählen zu können.

Wie John Ging, der Leiter des UN-Hilfswerks für die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten (UNWRA), anmerkt: "Es wird dringend, daß wir uns verändern. Weil die Zeit gegen uns ist. Eine ganze Generation wächst heran."

16 Jahre sind vergangen, seit die Verträge von Oslo unterzeichnet wurden. Das ist Zeit genug für eine ganze Generation, die aufwächst, während ihre Träume zunichtegemacht werden, weil ihnen Bildungs- und Einkommensmöglichkeiten verschlossen sind. Präsident Bush und sein Sohn haben es nicht fertiggebracht, die Freiheit der Palästinenser zu garantieren. Auch Präsident Clinton hat versagt. Präsident Obama befindet sich auf dem gleichen Weg des Scheiterns, weil es ihm an Mut fehlt, der israelischen Regierung Paroli zu bieten.

Unsere amerikanischen Steuergelder subventionieren die Herrschaft Israels über die Palästinenser - wie auch die wachsende Komplizenschaft Ägyptens bei der Blockade - und unser Veto im UN-Sicherheitsrat schützt Israel davor, für seine Taten zur Verantwortung gezogen zu werden. Wenn Präsident Obama sich seinen Friedensnobelpreis verdienen will, könnte er zuerst einmal sein Bestmögliches dafür tun, die Freiheit der Palästinenser sicherzustellen.


Über die Autorin:

Hedy Epstein ist 85 Jahre alt und hat den Holocaust (üb)erlebt. Mittlerweile lebt sie in St. Louis, USA. Die mutige Mitstreiterin des Gaza Freedom March', die sich aufgrund der eigenen leidvollen Erfahrungen, seit sie denken kann, für die Menschenrechte einsetzt, erhebt hier erneut ihre Stimme für die Menschen im Gazastreifen, die unter der israelischen Besatzung und ägyptisch/israelischen Blockade in höchster Not leben müssen.


Übersetzung aus dem amerikanischen Originaltext:
Redaktion Schattenblick


*


Quelle:
Hedy Epstein, St. Louis, USA - 27.01.2010
mit freundlicher Genehmigung der Autorin

übersetzt vom und veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2010