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NAHOST/608: Iranisches Außenministerium zum Londoner Schlußkommunique zu Afghanistan (Falkenhagen/Queck)


Iranisches Außenministerium zum Londoner Schlusskommunique zu Afghanistan

IRNA - Islamic Republic News Agency, 31.01.2010
Übersetzung aus dem Französischen von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit einem Kommentar von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck


Iranisches Außenministerium zum Londoner Schlusskommunique zu Afghanistan

Der Sprecher des Außenministeriums der Islamischen Republik Iran, Ramin Mehmanparast, unterstrich in einer Stellungnahme, dass das Abschlusskommunique von London über Afghanistan Artikel und Passagen beinhaltet, die in einem bevormundenden Tonfall gehalten sind und im Widerspruch zum Geist der Unabhängigkeit und nationalen Souveränität der Staaten stehen.
Das Abschlusskommunique von London über Afghanistan hat die schweren Bedingungen bei dem Versuch, die Probleme des Landes zu lösen, deutlich gemacht, erklärte der Sprecher des iranischen Außenministeriums und sprach schon sein Bedauern über die wahrscheinlichen Konsequenzen der Londoner Konferenz aus. Ramin Mehmanparast verurteilte die selektive Haltung gegenüber den Phänomen des Terrorismus, die sich im Londoner Kommunique widerspiegelt. Diese Haltung zeugt von dem Unvermögen der ausländischen Kräfte bezüglich der Afghanistankrise.
Das Kommunique des britischen Außenministeriums nimmt absolut keinen Bezug auf die Rolle, die die Islamische Republik Iran bei der Regelung des Afghanistanproblems spielen wird und spielen muss, fügte Ramin Mehmanparast hinzu. Er präzisierte, dass der Iran die Frage seiner Teilnahme an der internationalen Londoner Konferenz über Afghanistan in Erwägung gezogen hat. Die Verhandlungen hinter den Kulissen zwischen Großbritannien und bestimmten Ländern mit dem Ziel der Annahme einer unkonstruktiven Erklärung über das Afghanistandossier jedoch stehen im Gegensatz zu der Haltung der Islamischen Republik Iran.
Der Sprecher des iranischen Außenministeriums wünscht seinerseits die Betonung darauf zu legen, dass es in Afghanistan notwendig ist, den Frieden wiederherzustellen, den Kampf gegen den Mohnanbau und Drogenhandel zu führen und jede selektive Haltung gegenüber dem Terrorismus zurückzuweisen sowie den wirtschaftlichen Aufschwung in Gang zu bringen.
Allein eine regionale Lösung kann den richtigen Ansatz bringen, um die Probleme Afghanistans zu lösen, schlussfolgerte Ramin Mehmanparast.
70 Regierungsdelegationen und internationale Organisationen waren auf Einladung von Gordon Brown in London zusammengekommen, um über die Afghanistanstrategie zu diskutieren. Die Konferenz hat Prinzipien fixiert, aber keinen verbindlichen Kalenderplan betreffend der zunehmenden Rolle der afghanischen Streitkräfte auf dem Territorium Afghanistans aufgestellt. Die Übertragung der Verantwortung von Provinz zu Provinz auf afghanische Truppen kann Ende 2010/ab Anfang 2011 beginnen, aber nur wenn die Bedingungen dazu gegeben sind, heißt es. Und wenn dieser Fälligkeitszeitraum respektiert wird, der in dem Plan des Schlusskommuniques der Afghanistankonferenz enthalten ist, die am Donnerstag in London abgehalten wurde, würde das den westlichen politischen Verantwortlichen erlauben, nun endlich konkrete Fortschritte nach mehr als acht Jahren Krieg vorzuweisen, da der Krieg in Afghanistan von der Bevölkerung der westlichen Staaten wie ein "im Treibsand Steckenbleiben" erlebt wurde.
Die Großmächte sind gemäß Abschlusskommunique übereingekommen, einen Plan zu verwirklichen, der die Talibankämpfer mittels "finanzieller Anreize" dazu bringen soll , auf Widerstand und Gewalt zu verzichten, ohne dass indessen konkrete Zahlen angegeben wurden.

Quelle: www2.irna.ir/fr/news/view/line-98/1001318811142721.htm
Übersetzer Hans-Jürgen Falkenhagen



Kommentar von Hans-J. Falkenhagen und B. Queck

Der Iran beanstandet an der Londoner Afghanistankonferenz den Fakt, dass insbesondere die Anrainerstaaten Afghanistans wie die Islamische Republik Iran gehindert wurden, ihr gewichtiges Wort einbringen zu können. Der Iran kritisiert auch, die Doppelmoral, das doppelte Maß, das an den Begriff Terrorismus angelegt wird. Die Westmächte zählen unter den Begriff Terrorismus nicht etwa die terroristischen Akte, die sie selbst begehen, oder die von ihnen gedeckt und finanziert werden.

Die Lösung des Afghanistanproblems und die Herstellung einer friedlichen Atmosphäre ist nicht zuletzt eine Angelegenheit solcher Nachbarstaaten Afghanistans wie des Irans, Turkmenistans, Usbekistans Tadschikistans, Kirgisiens, Kasachstans, und natürlich auch von Russland, der VR China und Pakistans, auch Indiens. Es betrifft die islamischen Länder der Welt, die Konferenz Islamischer Staaten und die Arabische Liga. Die klassischen Kolonialländer wie Großbritannien sollten sich da generell raushalten. Sie haben auf Grund ihrer Vergangenheit in Afghanistan eigentlich gar nichts zu suchen Neokoloniale Großmächte wie die USA haben keinerlei legitimes Recht, sich in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen, schon gar nicht durch völkererrechtwidrige Kriege und Kriegsführung. Der 11. September war ein Vorgang, der bis heute nicht Kräften wie der Al-Qaida unterstellt werden kann, die in Afghanistan tätig gewesen sein sollen. Dafür fehlen jegliche Beweise. Die Indizien und Fakten deuten eher auf einen seitens der US-Regierung, sowie US-Geheimdiensten selbstinszenierten Terroranschlag auf das WTC und Pentagon hin.

In Afghanistan sind durch die barbarische Kriegsführung der USA und Großbritanniens und der weiteren beteiligten Staaten unter der afghanischen Bevölkerung schon über eine Million Kriegstote zu verzeichnen. Die Zahl von einer Million ist dabei eine Mindestschätzung von Experten. Hinzu kommen noch Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Kriegsfolgetoten und -kranken. Die Bevölkerungszahl Afghanistans wird in Jahrbüchern und Almanachen usw. derzeit noch mit 27 Millionen angegeben. Diese Zahl basiert noch auf älteren Statistiken. Es fehlen seit 2002 Volkszählungen. aus den Kriegsjahren. Eine neuere Volkszählung wird eine erschreckende Bilanz ergeben. Sie würde sicherlich zeigen, dass auch hohe Geburtenraten die Massenmordzahlen des Aggressionskrieges nicht aufwiegen können.

In Afghanistan stehen nach Stand vom Januar 2010 im Rahmen der ISAF 84 150 Soldaten und Soldatinnen aus 44 Staaten und im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) unter USA-Kommando 34 000 Soldaten und Soldatinnen. Die USA haben dort allein als größter Truppensteller der ISAF 45 750 Soldaten. 30 000 US-Truppen sollen demnächst dazu kommen. Auch die anderen Staaten sollen ihre Truppenkontingente um ca. 10 000 aufstocken. Die Kriegskosten des Afghanistankrieges betragen mittlerweile über eine Billionen US-Dollar.

1522 Soldaten und Soldatinnen der ISAF und OEF sind nach offiziellen Angaben mit Stand vom Januar 2010 gefallen, etwa 6000 mittelschwer und schwer verwundet worden. Das entspräche, bezogen auf den derzeitigen Truppenbestand, einer Verlustrate von rund 6,5 %.

Aber, wenn man weiß, dass allein 3000-4000 US-Soldaten in Afghanistan gefallen sein sollen, merkt man, wie hier Zahlen zurecht gelogen werden. Was private Söldnerfirmen wie Blackwater an bewaffnetem Personal dort haben, darüber werden Zahlen verschwiegen. Folglich erfährt man auch kaum etwas über deren Verlustraten.

Die Zahl der Kontaminierten durch uranangereicherte Bomben und Granaten (DU-Munition), die jetzt auch schon seit Oktober 2001 über 8 Jahre massiv in Afghanistan eingesetzt wurden, wo sich die schweren gesundheitlichen Langzeitwirkungen der radioaktiven Strahlung erst allmählich zeigen, geht bei den ausländischen Einsatzkräften auch schon in die Zehntausende. Diese Kontaminierung durch radioaktive Strahlung betrifft natürlich in erster Linien die afghanische Bevölkerung, aber eben auch Soldaten und sonstiges ausländisches Personal.

Dem interessierten Leser sei empfohlen den Artikel in der Zeitschrift "Der Spiegel", Nr.4/2010 unter Friedhof der Supermächte "Pakt mit dem Teufel" zu lesen. Er zeigt auch für welche Großmächte und Kolonialmächte Afghanistan schon zum Kampffeld, aber auch zum Friedhof geworden ist.

Es wird auch jetzt dem Westen, geführt von den USA, nichts bringen, wenn er auf Biegen und Brechen und mit Durchhalten bis zum Äußersten das geostrategische Ziel durchsetzen will, sich im Herzen Asiens zwischen souveränen Staaten wie Iran, China, Russland usw. auf Dauer festzusetzen. Hier könnte Afghanistan nur zu einer Art neuer "Kessel von Stalingrad" werden. Der Westen wird es auch auf Dauer nicht verhindern können, dass die gegnerischen Kräfte in Afghanistan, die aus ganz Asien und auch noch aus weiteren Kontinenten unterstützt werden und Nachschub erhalten, bei Kämpfern und Waffen bald ein mehrfaches Übergewicht erlangen werden. Das Beste ist es jetzt, die Souveränität und Unabhängigkeit Afghanistans schnell wiederherzustellen, den schnellen Abzug der ausländischen Truppen einzuleiten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu achten. Das meint offensichtlich auch der Sprecher des iranischen Außenministeriums Ramin Mehmanparast.

Wirtschaftliche Interessen lassen sich schließlich am besten durch freien Handel und freie Kooperation unter gleichberechtigten Staaten verfechten.

Ein weiteres Verbleiben ausländischer Truppen in Afghanistan gegen den Willen der dortigen Bevölkerung aber kommt einem weiteren Mordfeldzug der westlichen Staaten gegen dieses Land gleich. Sie wird von den Friedensbewegten der Länder der westlichen Hemisphäre, die sich nach dem 11. September noch mit der angeblichen "Verteidigung der USA", die seitens Afghanistans angegriffen worden wären, irre führen ließen, mittlerweile scharf verurteilt.

Wollen die westlichen Staaten, einschließlich Deutschlands, ihr Gesicht noch einigermaßen wahren, so müssen sie schnell handeln und endlich aus Afghanistan abziehen, dem afghanischem Volk Abbitte leisten und für den Schaden gerade stehen, soweit man das überhaupt kann. Denn Tote stehen bekanntlich nicht wieder auf und eine verseuchte Erde über viele Generationen hinweg mit Krebserkrankungen und Krebstoten kann niemand mit Geld "wieder gut machen"!


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2010