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NAHOST/520: Bilanz des Schreckens - Weltgesundheitsbehörde zur Lage im Gazastreifen (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 27. Mai 2009

Bilanz des Schreckens

Weltgesundheitsbehörde zur Lage im Gazastreifen.
Israels Blockade angeklagt

Von Karin Leukefeld


Die Weltgesundheitsbehörde (WHO) hat Israel aufgefordert, sofort medizinische Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu lassen. Früher seien pro Tag 4000 medizinische Artikel in den Gazastreifen geliefert worden, heute seien es nur 40, erläuterte Guido Sabatinelli, der Leiter der Gesundheitsabteilung von UNRWA, der UN-Hilfsorganisation für die palästinensischen Flüchtlinge, am Montag. Weil Israel auch kein Baumaterial in den Gazastreifen läßt, können im Krieg zerstörte Gesundheitszentren und Hospitäler nicht repariert werden, berichtete Sabatinelli bei der Jahreskonferenz der WHO in Genf.

Schulen, Wohnungen und Häuser warten ebenfalls noch auf den Wiederaufbau. Auch Papier unterliege einem israelischen Lieferungsverbot für den Gazastreifen, wodurch die Dokumentation medizinischer Behandlung gefährdet sei. Besorgniserregend sei vor allem der Zustand von Kleinkindern unter drei Jahren, von denen 30 Prozent aufgrund der mangelhaften Ernährung unter Blutarmut (Anämie) litten. Das betreffe zudem 50 Prozent der schwangeren Frauen.

Die israelische Blockade des Gazastreifens trat bereits 2007 in Kraft, nachdem die Hamas die Parlamentswahlen gewonnen hatte. In dem 356 Quadratkilometer großen Küstenstreifen leben etwa 1,5 Millionen Menschen, 1075000 von ihnen sind bei der UNRWA registrierte Flüchtlinge. Die Blockade beeinträchtigt nach Angaben von Sabatinelli massiv die Gesundheit der Bevölkerung von Gaza, die noch immer unter den Folgen des dreiwöchigen Krieges Anfang 2009 zu leiden hat. Mehr als 1400 Menschen kamen damals ums Leben, über 5000 wurden zum Teil schwer verletzt und können bis heute nicht ausreichend medizinisch versorgt werden.

Die hohe Arbeitslosigkeit bedingt, daß den Menschen Geld fehlt, um zusätzlich zu den Grundnahrungsmitteln, die von Hilfsorganisationen und der UNRWA verteilt werden, kalorien- und vitaminreiche Lebensmittel kaufen zu können. Die Blockade verhindert außerdem die Lieferung von ausreichend Treibstoff und Kochgas, die Preise sind in die Höhe geschossen. Derzeit stirbt bei 1000 Geburten jedes 25. Kind, in der besetzten Westbank liegt das Verhältnis bei 15 zu 1000, in Israel bei 5 Toten auf 1000 Geburten.

Sabatinelli wies erneut auf die chronische Unterversorgung der UNRWA hin, die inzwischen mehr als vier Millionen palästinensische Flüchtlinge in Palästina und in Flüchtlingslagern in Jordanien, Syrien, Libanon und Ägypten versorgen muß. Der aktuelle Jahresetat der UNRWA beträgt 80 Millionen US-Dollar (etwa 57 Millionen Euro), das sind pro Flüchtling 20 US-Dollar pro Jahr (ca. 14 Euro). Der Weltgesundheitsbehörde zufolge liegt aber das Minimum für notwendige Unterstützung bei 60 US-Dollar (ca.43 Euro).

Israel verschärfte unterdessen erneut die Blockade des Gazastreifens. Auf abgeworfenen Flugblättern forderte die Armee die Einwohner des Küstenstreifens am Wochenende auf, sich zur »eigenen Sicherheit« nicht mehr als 300, an manchen Stellen 500 Meter dem Absperrungszaun zu nähern, anderenfalls könnten sie erschossen werden. Ein Junge war durch einen der herunterfallenden Kanister verletzt worden, der die Flugblätter enthielt. Der Gazastreifen, den Palästinenser auch als »Freiluftgefängnis« bezeichnen, ist komplett von einem Sicherheitszaun umgeben. Seeseitig blockiert die israelische Marine.

Die Tunnelanlagen an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, durch die lebensnotwendige Güter in den belagerten Küstenstreifen geschafft werden, wurden in den vergangenen Tagen erneut von israelischen Kampfjets angegriffen. Deswegen, aber auch wegen unzureichender Sicherheitsmaßnahmen sind die Anlagen ständig einsturzgefährdet. Am vergangenen Wochenende waren drei Männer lebend aus einem Tunnel geborgen worden, der fünf Tage zuvor eingestürzt war. Zwei Männer starben, vier blieben vermißt.


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Quelle:
junge Welt vom 27.05.2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2009