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NAHOST/481: Nach den Wahlen in Israel - Interview mit Fatah-Führer Hussam Khader (Hakam Abdel-Hadi)


Nach den jüngsten Wahlen in Israel

Al Fatah-Führer Hussam Khader:
Die palästinensisch-israelischen Friedensverhandlungen müssen fortgeführt werden, aber in einem anderen Rahmen.

Interview von Hakam Abdel-Hadi, Februar 2009


Hussam Khader (46), Mitglied des Palästinensischen Nationalrats (Exilparlament), Vorsitzender des Komitees zur Verteidigung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge und ehemaliges Parlamentsmitglied, wurde nach fünfeinhalb Jahren Haft in israelischen Gefängnissen im August 2008 vorzeitig entlassen. Seine Freilassung erfolgte im Zuge von Verhandlungen zwischen dem palästinensischen Präsidenten, Mahmoud Abbas (Abu Mazin) und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert. Khader lebt im Flüchtlingslager Balata bei Nablus und gilt als ein wichtiger Al Fatah-Führer, der dafür bekannt ist, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Obwohl er entschieden für einen historischen Kompromiss zwischen Palästinensern und Israelis und für die Zwei-Staaten-Lösung eintritt, wird er sowohl von den Mächtigen in der Autonomiebehörde als auch von Israel gefürchtet. Das Interview mit ihm führte Hakam Abdel-Hadi kurz nach den jüngsten Wahlen in Israel:


Frage: Wird die Fortsetzung der Verhandlungen zwischen der PLO unter Führung von Fatah und Israel nach dem jüngsten Wahlsieg der israelischen radikal-nationalistischen Parteien erfolgreich sein oder eher die Position von Hamas stärken?

Antwort: Ich meine, dass die Verhandlungen unbedingt fortgesetzt werden müssen, aber über welche Verhandlungen reden wir? Wird es dabei um die Anerkennung der nationalen Rechte des palästinensischen Volkes oder um die bisherigen Gespräche gehen, die sich im wesentlichen auf Fragen der Sicherheit und nicht der Politik konzentriert haben? Historisch hat der rechte Block bewiesen, dass er mehr als die linken Parteien, oder die sich so nennen, die Fähigkeit besitzt, Frieden zu schaffen. Dennoch glaube ich, dass die israelische Gesellschaft sich in einer tiefen Krise befindet. Nun haben wir es nach dem Gaza-Krieg und dem Scheitern von Kadima und der Arbeitspartei, eine Regelung mit den Palästinensern zu erzielen, mit zwei Richtungen zu tun: Die Anhänger der einen Richtung reden über Frieden und machen Krieg, und die anderen reden über Krieg und machen Krieg. Wir Palästinenser haben auch zwei Richtungen: Fatah hat sich strategisch für die Verhandlungen entschieden, und Hamas spricht über den Widerstand, bemüht sich aber um die Hudnah (Waffenstillstand). In den vergangenen vier Jahren hat Hamas - sieht man von den Raketen gegen israelische Siedlungen ab - in der Westbank überhaupt keinen Widerstand gegen die Besatzung geleistet.
Es ist an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen: Entweder werden die nationalen Rechte des palästinensischen Volkes von Israel durch Verhandlungen anerkannt und umgesetzt, oder die internationale Gemeinschaft übernimmt direkt die Durchsetzung der allgemein anerkannten Zwei-Staaten-Lösung.

Frage: Der Krieg im Gazastreifen und die ergebnislosen palästinensisch-israelischen Verhandlungen scheinen, wie eine Umfrage (Februar 2009) des von Ghassan Khatib geleiteten "Jerusalemer Zentrums für Informationen und Kommunikation" zeigt, dass Hamas stärker als Fatah in der Westbank sei. Können Sie durch ihre täglichen Begegnungen in der Westbank dieses Ergebnis bestätigen?

Antwort: Ja, ich halte dieses Ergebnis für richtig und führe es darauf zurück, dass die Autonomiebehörde weiterhin die Mitglieder von Hamas verfolgt und inhaftiert; dazu kommt, dass die Fatah-Führung nichts gegen die Korruption in ihren eigenen Reihen unternimmt. Ich meine, dass die Sympathie der Bevölkerung in der Westbank für Hamas, insbesondere nach der israelischen Aggression gegen den Gazastreifen, stark zugenommen hat; das Gegenteil ist in Gaza eingetreten, weil Hamas schreckliche Maßnahmen gegen Fatah-Mitglieder ergreift: Attentate, Verhaftungen etc. Auf der anderen Seite übernimmt Fatah die Verantwortung für den Fortgang der bisher erfolglosen Verhandlungen, was natürlich ihre Popularität negativ beeinflusst. Hamas, die neben Fatah den Widerstand gegen die israelische Invasion in Gaza führte, bemüht sich ihrerseits um den Waffenstillstand und letztlich ebenfalls um internationale Anerkennung sowie um Aufnahme in die Verhandlungen mit Israel.

Frage: Schließen Sie aus, dass Fatah oder zumindest einige ihrer Mitglieder - hier ist die Rede von Muhammad Dahlan, dem einstigen Fatah-Führer in Gaza - versuchen werden , Hamas in Gaza militärisch zu vernichten?

Antwort: Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Hamas ist militärisch stärker geworden und die Möglichkeit, Hamas mit Waffengewalt zu besiegen, ist kläglich gescheitert. Selbst die gewaltige israelische Kriegsmaschinerie konnte Hamas nicht bezwingen. Dahlan wird niemals nach Gaza zurückkehren, selbst wenn die nationale Führung durch den Dialog zwischen Fatah und Hamas ihre Herrschaft über den Gazastreifen wiederherstellen würde, schließe ich es aus, dass Dahlan wagen würde, nach Gaza zurückzukeren. Fatah lehnt es entschieden ab, mit israelischen Panzern nach Gaza einzumarschieren. Sie setzt sich für die Abhaltung von fairen und geheimen Wahlen ein; nur dadurch sollte ein Machwechsel stattfinden. Ich bin für einen echten Dialog zwischen beiden Bewegungen. Die Autonomiebehörde muss damit aufhören, Hamas-Mitglieder zu inhaftieren, und Hamas muss ihre kriminellen Maßnahmen gegen Fatah-Mitglieder in Gaza einstellen.

Frage: Lassen Sie mich abschließend eine Frage stellen, die mit der Geschichte der Spaltung der Palästinenser zusammenhängt und in den westlichen Medien nach wie vor aktuell ist: Stimmt die These, dass Muhammad Dahlan - kurz vor der Spaltung im Juni 2007 - mit Rückendeckung und Waffen der USA und Israels Hamas militärisch liquidieren wollte, was ihren damaligen "Putsch" gegen die Fatah-Führung herbeigeführt hatte?

Antwort: Es gibt viele Erklärungsversuche für die Spaltung. Ich neige zu folgender Auffassung: Nach dem Wahlsieg von Hamas und der Bildung ihrer ersten Regierung geriet sie in Konflikt mit den Interessen der Fatahfraktion, die wirtschaftlich und sicherheitspolitisch mit Israel verbunden ist. Die Anhänger dieser privilegierten Schicht versuchten die Regierung von Hamas zu stürzen, obwohl die offizielle Fatah durch den von ihr eingeführten demokratischen Prozesses Hamas ermöglicht hatte, die Regierung zu bilden. Fatah akzeptierte die Führung von Hamas im Rahmen der gemeinsamen Regierung, und dennoch erklärte sich diese privilegierte Fatah-Wirtschaftsfraktion nicht bereit, ihre unverantwortlichen Maßnahmen gegen Hamas einzustellen. Dann kam die überzogene, nicht gerechtfertigte und besonders gewalttätige Reaktion von Hamas. Sie ist in die Falle der erwähnten Fatahfraktion getappt und übernimmt damit die Verantwortung für die äußerst schwierige Situation, in der sich das palästinensische Volk befindet.
Hamas muss ihre Vorstellungen durch Dialog durchsetzen: Reform der PLO, Rücktritt des illegitimen Exekutivkomitees der PLO, Reform der Sicherheitsinstitutionen. Dies muss im Rahmen der PLO und nicht gegen sie erfolgen. Hamas und Fatah müssen gemeinsam die Verantwortung für die Verwirklichung der Einheit des palästinensischen Volkes und seiner nationalen Ziele übernehmen.


Hakam Abdel-Hadi wurde 1939 in Jenin, im Norden Palästinas, geboren. Zum Studium kam er 1958 nach Deutschland. Der Publizist Hakam Abdel-Hadi steht für über vierzig Jahre deutsche Nahostberichterstattung.

Copyright 2009 Hakam Abdel-Hadi


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Quelle:
Hakam Abel-Hadi, Februar 2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2009