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NAHOST/459: "Die Widerständler sind die Kinder der Bevölkerung" (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 10. Januar 2009

»Die Widerständler sind die Kinder der Bevölkerung«

Gespräch mit Mamdouh Habashi. Über den Widerstand der Hamas,
die Friedensunfähigkeit des zionistischen Staates Israel und
deutsche Linke auf Abwegen

Interview von Rüdiger Göbel


Mamdouh Habashi ist Vorstandsmitglied des von Samir Amin mitgegründeten »Arab & African Research Center« (www.aarcegypt.org) in Kairo, das im vergangenen Jahr zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung das Buch »Serious Debate Between Arab and European Left« herausgegeben hat.


Rüdiger Göbel: Seit zwei Wochen bombardiert die israelische Armee die Palästinenser im Gazastreifen. Die Regierung in Tel Aviv spricht vom Kampf gegen den Terrorismus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich wie der scheidende US-Präsident George W. Bush voll hinter den Krieg Israels gestellt, nicht ein einziges Mitglied der deutschen Regierung hat das israelische Vorgehen bisher kritisiert. Wie wird diese Positionierung in der arabischen Welt wahrgenommen?

Mamdouh Habashi: Eine Antwort für eine homogene arabische Welt kann ich leider nicht geben. Dafür sind die Positionen der arabischen Regime und der großen Masse der Bevölkerung zu verschieden. Viele Regierungen halten sich aus politischer Abhängigkeit vom Westen mit Kritik zurück, während das Volk emotional mit Empörung und Verzweiflung protestiert und die Intellektuellen diesen Protest differenziert untermauern. Nicht allein die deutsche Regierung wird kritisch gesehen, sondern als Teil eines politischen Systems in Europa, das Israel unterstützt, ungeachtet aller Vergehen am palästinensischen Volk. Die politischen Erklärungen und Rechtfertigungen israelischer Politiker sind das Schlimmste, was seit Beginn dieses Massakers geäußert wurde. Auf den Flugblättern, die F15 und F16 dieser Tage auf die Bevölkerung in Gaza abwerfen, heißt es wörtlich: »Wir sind nicht gegen die Palästinenser, sondern gegen Hamas. Dies ist kein Krieg gegen das palästinensische Volk, sondern gegen Hamas.« Oder: »Wir sind keine Feinde, sondern haben denselben Feind: Hamas, Hisbollah und alle anderen Terrororganisationen.« Es ist für uns schockierend, daß die deutsche Regierung und die deutschen Mainstreammedien diese menschenverachtenden Äußerungen maßstabsgetreu nachplappern.

Wie können israelische Politiker ernsthaft behaupten, die Kriegshandlungen richteten sich nicht gegen das palästinensische Volk, sondern gegen Hamas? Es sterben täglich Menschen, Männer, Frauen und Kinder als Teil einer anonymen Zivilbevölkerung, die ohne zu klagen Verluste, genannt Kollateralschäden, hinnehmen soll. Zunächst muß hier erwähnt werden, daß Hamas als politische Partei in Gaza in demokratischer Wahl die Regierung gewonnen hat. Mit welchem Recht werden sie also in der westlichen Mediensprache nur als Terrororganisation bezeichnet? Hamas stellt den Widerstand gegen die kolonialen Ansprüche Israels dar, ungeachtet unserer Differenzen mit ihrer ideologischen Linie. Die Widerständler sind die Kinder der Bevölkerung, keine Armee, die in separaten Kasernen lebt. Gaza ist wie ein riesengroßes überfülltes Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gibt; Reiche und Arme, Kämpfer und Nichtkämpfer, Hamas-Angehörige und -Nichtangehörige leben dicht nebeneinander.

Die Kolonialmacht Israel bombardiert die Menschen wahllos und diese sollen es schweigend hinnehmen, da Widerstand als Rechtfertigung für die Fortsetzung der Kampfhandlungen genommen wird. Dabei wird völlig außer acht gelassen, daß es politische Gründe für den Widerstand gibt. Nicht umsonst bezeichne ich Israel als Kolonialmacht. Die politischen Aktionen sprechen für sich: Die Anzahl der Siedlungen hat sich trotz Oslo-Abkommen verdoppelt, Jerusalem wurde vereinnahmt, der Bau der Apartheidmauer auf palästinensischem Territorium im Westjordanland und die hermetische Abriegelung des Gazastreifens sind grausame Realität. Das Volk hat Hamas gewählt, da diese für Protest und Widerstand gegen diese Ungerechtigkeiten steht. Das derzeitige Massaker ist die Kollektivstrafe für das Volk, das Israel und nicht Hamas für sein Leid verantwortlich macht.

Die von Israel und seinen westlichen Unterstützern in den Medien publizierten Erklärungen und »Friedensvorschläge« sind nur eine fabrizierte Kulisse, die die Wahrheit verdecken soll: Israel will die klaglose Akzeptanz der Unterdrückung durchsetzen.

Israel hat kein Problem mit einem ruhigen »Gegner«, der die israelischen Bedingungen akzeptiert, der das Kräfteverhältnis »realistisch« einschätzt, der unter der Besatzung lebt, der die israelischen »Friedenvorschläge« nur theoretisch ablehnt, aber praktisch mit der eigenen Machterhaltung beschäftigt ist.

Die Spaltung der palästinensischen Bevölkerung ist eine natürliche Erscheinung. Es ist eine Spaltung zwischen denjenigen, die die Besatzung akzeptieren und versuchen, das Beste für sich dabei herauszuschlagen, und denjenigen, die über die Frage des Selbstbestimmungsrechtes keine Kompromisse machen wollen und Widerstand leisten.


Rüdiger Göbel: Der Linke-Spitzenpolitiker Gregor Gysi und weite Teile der Linksfraktion im Bundestag haben im vergangenen Jahr ihre »Solidarität mit Israel« bekundet. Was ist daran links?

Mamdouh Habashi: Nichts ist daran links. Ich würde sogar sagen, das ist eine anti-linke Haltung. Hier geht es sicherlich nicht um die Haltung der Linkspartei zu irgendeiner außenpolitischen Frage der Bundesregierung, hier geht es in der Tat um Grundsatzfragen. In dieser Frage bzw. bei dieser Abstimmung im Bundestag gibt die Linksfraktion mit ihren 54 Abgeordneten ein recht trauriges Bild ab. Ich selbst bin ziemlich ratlos, was man dagegen tun kann bzw. muß, außer die Debatte wieder zu entfachen und wirklich zu vertiefen, mit der Hoffnung, daß es eines Tages Früchte tragen wird. Ehrlich gesagt, mir geht es dabei weniger um Palästina, sondern hauptsächlich um die deutsche Linke selbst, die einen gefährlichen Kurs fährt.

Rüdiger Göbel: Gysi und Co. erteilen dem Antizionismus eine Absage, setzen die Kritik am Zionismus gleich mit Antisemitismus.

Mamdouh Habashi: Rufen wir uns die Geschichte in Erinnerung: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich Ägypten unter Führung von Mohamed Ali zu einer wirtschaftlichen, militärischen und damit auch politischen Macht entwickelt. Naturgemäß führte diese Entwicklung zu starken Spannungen und Interessenkonflikten zwischen Ägypten und seinen Konkurrenten. Die Konkurrenten in diesem Zusammenhang waren hauptsächlich die westlichen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, die am Erbe des »kranken Mannes am Bosporus«, dem Ottomanischen Reich, interessiert waren. Diese Konflikte hatten ihren Höhepunkt im Sieg über die ägyptische Flotte 1839. Das Ergebnis war dann das London-Abkommen von 1840. In dieser Zeit hatte der britische Außenminister Palmerstone immer wieder an seinen Botschafter in Istanbul, Lord Ponsonby, geschrieben, er solle dem ottomanischen Sultan den Vorschlag unterbreiten, die Juden nach Palästina immigrieren zu lassen, damit sie sich dort niederlassen. »Die Juden würden eine Menschenmauer gegen Mohamed Ali oder seine Nachfolger bilden, die zukünftig solche bösen Vorhaben zu verhindern wissen.« Palmerstone erklärte in einer Note vom 17.2.1841, daß Großbritannien für die Realisierung des Projekts der Siedlung der Juden in Palästina verantwortlich sei. Dieser kurze historische Exkurs zeigt, daß die Bedürfnisse der seinerzeit größten Kolonialmacht, zirka 50 Jahre bevor sich Theodor Herzls Idee des Zionismus herauskristallisiert hatte, den Nährboden für dieses Projekt geschaffen haben. Der Zionismus ist also von Anfang an ein rein kolonialistisches Projekt gewesen.

Die koloniale Geburt der zionistischen Bewegung und später die koloniale Politik des daraus entstandenen Staates legten die Grundlage für die kolonialen Argumente, die noch heute den modernen Zionismus prägen. So wie die Europäer im 19. Jahrhundert Afrika, aber nicht die Afrikaner gesehen haben, tun es seit dem 19. Jahrhundert die Zionisten, sie sehen Palästina, aber keine Palästinenser - bis heute.

Es ist mittlerweile auch durch die vielen Arbeiten von israelischen Wissenschaftlern bewiesen, daß im Krieg von 1948 ein Plan »ethnischer Säuberung« ausgeführt wurde. Zu diesem Ergebnis sind Historiker der extremen Rechten wie Benni Morris bis hin zu Linken wie Ilan Pappe gekommen.

Rüdiger Göbel: Die stellvertretende Linke-Vorsitzende Katja Kipping oder etwa die Lobbygruppe BAK Shalom der Linksparteijugend sehen im Zionismus eine Art Emanzipationsbewegung.

Mamdouh Habashi: Allein die Geschichte zeigt, daß der Zionismus keine nationale oder gar eine Befreiungsbewegung war, sondern ein Projekt im Dienste der Kolonialmächte seinerzeit und der imperialistischen Mächte unserer Zeit. Das erklärt auch den rassistischen Charakter der zionistischen Ideologie und Bewegung und ihre Praktiken, sowie des Staates Israel. Ein Diskurs, der Vertreibung von Menschen als Voraussetzung für seine Realisierung vorsieht, ist per Definition rassistisch, ganz egal, um welche Menschen es sich handelt, und wie man die Vertreibung umschreibt, denn »Transfer« ist lediglich eine phonetische Erleichterung der blutigen Vertreibung, Enteignung, Inbesitznahme, ... usw.

Daß es innerhalb dieser rassistischen Bewegung Tauben und Falken gegeben hat und noch immer gibt, wie der Linke-Abgeordnete und Völkerrechtler Norman Paech etwa in seinem Aufsatz »Die Vorposten-Ideologie. Zionismus in der arabischen Welt« (jW vom 31.7.2008) ausgeführt hat, ändert nichts an ihrem Grundsatz.

Rüdiger Göbel: Hauptsächlich wird die Staatsgründung Israels doch aber mit dem deutschen Faschismus und dem millionenfachen Massenmord an europäischen Juden begründet.

Mamdouh Habashi: Ich sehe diese Begründung nicht ein. Auch an anderer Stelle der Geschichte finden sich Beispiele für Massenvernichtung, ohne daß sich jemals daraus das Recht auf Kompensation durch einen eigenen Staat abgeleitet hätte. Ich behaupte, daß zum Beispiel die nach Amerika verschleppten Sklaven aus Afrika ebenso unter Unrecht und Unmenschlichkeit ihrer Unterdrücker gelitten haben wie die Jüdinnen und Juden - ohne mir einen direkten Vergleich oder eine Wertung der Leiden anzumaßen. Ich behaupte noch dazu, daß diese schwarzen Sklaven mehr untereinander verbindet als die Jüdinnen und Juden, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus allen Himmelsrichtungen nach Palästina zusammengetrommelt wurden, obwohl sie aus verschiedenen Stämmen kamen und vielen heidnischen Religionen angehörten. Was wäre, wenn die Schwarzen der USA heute einen eigenen Staat beanspruchen würden? Anfang des 20. Jahrhunderts, waren da die Jüdinnen und Juden ein Volk? Eine Nation? Oder eine Religionsgemeinschaft?

Und wenn wir das Argument auch noch auf andere Gruppen ausweiten, frage ich mich, was wir als Linke den heutigen Islamisten sagen sollen, wenn sie argumentieren, daß die Muslime in der ganzen Welt eine »Nation« sind, die sich im Kampf gegen die »christliche Nation« befindet. Ist diese Begründung aus dem Mittelalter nicht ähnlich der Begründung des Rechts der Juden auf Palästina aufgrund biblischer Sagen aus der Antike?

Rüdiger Göbel: Gregor Gysi erklärte im vergangenen Mai in seiner Rede zum 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels auch den Antiimperialismus für obsolet. Halten Sie den Imperialismus auch für erledigt?

Mamdouh Habashi: Lassen Sie mich in die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus ausholen: Nach einer relativ kurzen, relativ stabilen Periode der Nachkriegsgeschichte in den Jahren 1945 bis 1975 ist das kapitalistische System heute nicht mehr in der Lage, seinen »Neoliberalismus« weltweit mit friedlichen Mitteln durchzusetzen. Statt zu Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit hat der Neoliberalismus zu wirtschaftlicher Rezession, sozialer Ungerechtigkeit, mehr Armut, Marginalisierung usw. geführt und damit folglich zu immer mehr Verlust von Glaubwürdigkeit und Legitimität vieler politischer Regime.

Die Militarisierung des globalen kapitalistischen Systems wirkt ausschließlich im Dienste der gemeinsamen Interessen des global herrschenden Kapitals der Triade USA, EU und Japan. Das ist in der Tat ein neues Phänomen, weil die globale Ausbreitung des kapitalistischen Systems bzw. der Einflußsphären seiner verschiedenen Zentren in den früheren Epochen immer zu imperialistischen Kriegen untereinander geführt hatte. Das neue Phänomen ist auf die Nachkriegsentwicklung zurückzuführen. Die Superiorität der USA gegenüber Europa und Japan seinerzeit sowie die chronische Angst der Bourgeoisie vor der »kommunistischen Gefahr« ließ alle die amerikanische Führung gegen diese »Gefahr« akzeptieren.

Man sollte meinen, daß sich der ursprüngliche Zustand wieder hätte herstellen sollen, nachdem sich Europa und Japan vom Krieg erholt und die USA in vielen Aspekten - vor allem wirtschaftlich - nicht nur eingeholt, sondern überholt hatten, doch genau das Gegenteil ist passiert. Die USA wurden immer wieder in ihrer globalen Führungsrolle bestätigt und die drei »Konkurrenten« sind näher zusammengekommen. In dieser neuen Situation wird der Süden, d.h., die Peripherie des globalen kapitalistischen Systems, mit der besonderen Herausforderung konfrontiert, der Triade, einer Art »Kollektivkolonialismus«, begegnen zu müssen.

Ob Welthandelsorganisation, Weltbank oder Internationaler Währungsfonds - in allen Institutionen, die die Weltwirtschaft kontrollieren und lenken sollen, haben die drei Parteien der Triade gemeinsame Positionen gegenüber dem Süden. Das politische »Zusammenrücken« der Triade führt naturgemäß immer mehr zur Vereinheitlichung der globalen militärischen Ziele und Aufgaben, die NATO wird mit dieser Rolle betraut und erfährt eine signifikante Aufgabenerweiterung, nicht nur in Europa, sondern weltweit, was die UNO immer mehr marginalisiert. Diese Militarisierung ist das gemeinsame Mittel zur Realisierung und Reproduzierung der globalen Herrschaft des Kollektivkolonialismus geworden.

Das eigentliche strategische Ziel, das die USA mit ihrem globalen »War on Terror« erreichen wollen, ist sicherlich weder die Vernichtung Osama bin Ladens noch der Taliban, sondern dauerhafte militärische Präsenz in Mittelasien, wegen der Erdölreserven und vor allem der geostrategischen Lage. Dies ist ein erklärtes Ziel seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, also schon etwa einer Dekade vor dem 11. September 2001.

Rüdiger Göbel: Zurück zu Israel und Palästina: Welche Friedensmöglichkeiten sehen Sie?

Mamdouh Habashi: Andere Fragen: Warum ist der Frieden im Nahen Osten seit 60 Jahren nicht realisierbar? Was ist eigentlich der Unterschied zwischen der Haltung der Linken zu diesem Konflikt und derjenigen der Sozialdemokraten, oder gar der CDU/CSU? Alle wollen - wenn auch mit graduellen Nuancen - die Zwei-Staaten-Lösung, Siedlungsbaustopp und daß die ständigen Menschenrechtsverletzungen durch Israel endlich aufhören. Die Diskussion um diese Detailfragen lenkt von der Notwendigkeit klarer politischer Positionen ab. Die Formel »Solidarität mit Israel und Palästina« heißt doch Solidarität mit Tätern und Opfern zugleich. Sicher, um schlichten zu können, muß man die Waage halten und neutral sein. Das heißt aber noch lange nicht, zwischen Recht und Unrecht neutral zu sein.

Im gängigen europäischen Diskurs in Sachen Nahost-Konflikt herrscht eine unglaubliche Verwechslung und Vermischung von Begriffen und Begriffsinhalten, die jede Diskussion erschweren und klare Positionen unmöglich machen. Wenn ich sage, ich bin Antizionist, weil ich den Zionismus für eine rassistische Ideologie halte, bin ich noch lange kein Antisemit! Und wenn ich sage, ich bin »gegen den Staat Israel«, dann bin ich doch nicht gegen die Menschen, die in diesem Land leben.

Auch in der Geschichte finden sich ähnliche Beispiele: die Alliierten im Zweiten Weltkrieg haben gegen den »Staat« des Dritten Reichs gekämpft, und die progressiven Kräfte weltweit waren mit dem Kampf des ANC gegen den Apartheitstaat Südafrika solidarisch. Sie waren nicht gegen die Weißen dort, weil sie weiß sind, sondern gegen deren Regime, das die dringend benötigte Emanzipation verhinderte.

In den beiden Beispielen war der Frieden nicht möglich, ohne den alten »Staat« samt seiner gründenden Ideologie zu zerstören und einen neuen »Staat« aufzubauen. Die Frieden stiftenden Kräfte in der ganzen Welt sollten gegen den »Staat« Israel kämpfen, weil dieser Staat an sich das größte Hindernis zum Frieden in der Region ist.

Wenn Kanzlerin Merkel in der Knesset die Sicherheit des »Staates« Israel zur deutschen Staatsräson erklärt, dann ist das nur zu verstehen, wenn man die deutsche Außenpolitik als ein Teil der globalen imperialistischen Politik unter amerikanischer Führung sieht. Wenn aber Politiker der Partei Die Linke solch eine Haltung unterstützen und das auch noch theoretisch zu untermauern versuchen, dann kann das nur als ein neuer »Historischer Kompromiß« verstanden werden - ein Kompromiß zwischen einer neuen Art Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts und dem altbekannten Imperialismus in neuem Look, ein Kompromiß, der darauf abzielt, die sich langsam aufbauende internationale antiimperialistische Front wieder zu spalten.

Im 19. Jahrhundert führte dieser »Historische Kompromiß« zur Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse im Zentrum (heute auch »Norden« genannt), die mit der Kolonialisierung einsetzte und mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen und kulturellen Lage der meisten Völker des »Südens« einherging, und zur Akzeptanz der kolonialen Ungerechtigkeit seitens der Sozialdemokratie; in den kapitalistischen Zentren hat die Arbeiterbewegung damit gegen den Kapitalismus und Kolonialismus zu kämpfen aufgehört.

Ob die Lösung des Konflikts im Nahen Osten ein demokratischer Staat für alle, ein binationaler Staat oder zwei Staaten heißt, kann ich heute ebensowenig sagen wie, ob Jerusalem Hauptstadt für welchen Teil der Konfliktparteien bleibt, wie viele von den vertriebenen Palästinensern zurückkehren dürfen, wie viele von den israelischen Siedlungen geräumt werden, oder ob und wann dieser Staat seine Grenzen festlegen wird. Diese und viele andere sind zwar wichtige Fragen, aber sie sind nicht die Grundlage für eine Lösung, eine gerechte und dauerhafte Lösung. Wer von den verschiedenen Friedenskräften weltweit eine Lösung für diesen Konflikt ausschließlich durch die Suche nach Kompromissen in diesen vielen strittigen Detailfragen erzielen will, hat den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen: Es kann keine gerechte und nachhaltige Lösung mit dem Zionismus als staatsgründende Ideologie geben. Ob politisch links oder rechts, wer die Rolle des Staates Israel in den geostrategischen Plänen des Westens und der Politik des Imperialismus des 21. Jahrhunderts übersieht oder nicht wahrhaben will, will keinen realistischen Frieden.


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Quelle:
junge Welt vom 10.01.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009