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NAHOST/1050: Wir werden nicht müde ...   Aida Touma-Sliman im Gespräch (Martin Lejeune)


Die Botschaft der Hoffnung

Interview mit der israelisch-arabischen Frauenaktivistin und Politikerin Aida Touma-Sliman am 14. Februar 2015

von Martin Lejeune


Aida Touma-Sliman ist Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Israels (CPI), die sich mit anderen Parteien zur Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit, Hadasch, zusammengeschlossen hat. Sie ist darüber hinaus eine bekannte feministische Aktivistin und war Geschäftsführerin der NGO Women Against Violence (WAV). 2011 wurde sie Chefredakteurin der Tageszeitung Al Ittihad. Sie steht als palästinensische Spitzenkandidatin auf Platz fünf der ersten gemeinsamen arabischen Liste in Israel, die sich heute zur Wahl stellt.

Martin Lejeune: Hier in Nazareth findet heute also die erste von drei Veranstaltungen statt, eine weitere dann in Umm al-Fahm und die dritte im Negev.

Aida Touma-Sliman: Genau.

ML: Was ist die wichtigste Botschaft der Gemeinsamen Liste heute?

ATS: Unsere erste Botschaft, die uns sehr wichtig ist, besteht in der Tatsache, daß wir trotz aller Versuche, uns aus der politischen Arena Israels herauszudrängen, hier sind. Wir kehren zurück, stärker als zuvor. Wir stehen vereint und wir haben ein Ziel: Wir werden der extremen Rechten in Israel eine Niederlage bereiten. Das ist die erste Botschaft. Die zweite ist die Botschaft der Hoffnung. Hoffnung für alle, die das Gefühl haben, daß sie keinen Wandel bewirken können, daß sie nicht in der Lage sind, die Okkupation zu beenden und Frieden und Gleichberechtigung zu erreichen. Diesen Menschen sagen wir: Wir sind die Adresse dafür. Es gibt das zionistische Lager und das nationale Lager, die ein sehr rechtsgerichtetes Programm verfolgen. Wir bringen euch die Hoffnung, daß ihr einen Wandel herbeiführen könnt.

Ich denke, daß sind unsere zwei wichtigsten Botschaften. Aber es gibt noch einen Nebeneffekt: Wir zeigen hiermit allen, daß wir in der Lage sind, unsere Differenzen zu überwinden und ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Mission zu verfolgen.


Porträtfoto - Foto: © Martin Lejeune, 2015

Aida Touma-Sliman
Foto: © Martin Lejeune, 2015

ML: Fast die Hälfte der israelischen Palästinenser, ungefähr 600.000 Menschen, die wählen dürfen, gehen nicht zur Wahl. Wie wollen Sie diese große Anzahl von Menschen erreichen?

ATS: Nun, erst einmal gibt es da Unterschiede. Die einen boykottieren die Wahlen aus ideologischen Gründen, repräsentieren jedoch eine Minderheit unter den Nichtwählern. Die Mehrheit, die bis heute nicht zur Wahl geht, fühlt sich entweder hilflos und unfähig, etwas zu ändern, solange sich die Lage politisch weiter verschlechtert. Sie haben das Gefühl, nichts ausrichten zu können, und fragen sich: Warum sollen wir dann wählen? Oder sie sind vielleicht nicht politisiert genug. Was wir hier versuchen und ihnen hier vermitteln wollen, ist die Tatsache, daß wir dieses Mal mehr Einfluß haben werden, weil wir zahlreicher sein werden und die dritte Kraft im Parlament stellen können. Niemand kommt mehr an uns vorbei, niemand kann uns mehr vernachlässigen.

Zum zweiten, denke ich, erreichen wir die Menschen durch die Tatsache, daß wir diese Kampagne politisieren, was bedeutet, daß wir eine sehr klare politische Botschaft vermitteln: Es gibt keine Möglichkeit mehr, über die palästinensische Frage zu sprechen, ohne daß es Auswirkungen auf unser alltägliches Leben hat. Und es gibt keine Möglichkeit, über unser alltägliches Leben zu sprechen, getrennt vom Krieg und von der Okkupation.

ML: Wie wollen Sie konkret die Mehrheit der palästinensischen Wähler, die nicht aus ideologischen Gründen die Wahl boykottieren, davon überzeugen, am 17. März ihre Stimme abzugeben? Es handelt sich immerhin um eine halbe Million Menschen.

ATS: Wir wissen, daß das schwierig ist, glauben Sie mir, das ist uns sehr wohl bewußt. Wir arbeiten hart daran. Wir sprechen mit den Menschen, treffen uns mit ihnen und erklären unseren Standpunkt. Aber unsere Hauptstärke, denke ich, liegt in dem zusätzlichen Wert, den diese Gemeinsame Liste repräsentiert, und der ist ein Selbstgänger. Er besteht darin, daß wir die ganzen unterschiedlichen politischen Strömungen aus den palästinensischen Gemeinschaften und die wirkliche Linke unter den Juden zusammengebracht haben. Das ist ein zusätzlicher Faktor, der viele Menschen überzeugen wird. Das heißt natürlich keinesfalls, daß wir uns entspannt zurücklehnen können und einfach darauf warten, daß die Menschen zur Wahl gehen. Wir müssen hart arbeiten, um das zu erreichen.

ML: Wenn Sie genügend Stimmen erhalten und erstmalig an der Regierung beteiligt sein sollten, was würden Sie tun, um die soziale und die wirtschaftliche Lage der Menschen in diesem Land zu verbessern?

ATS: Zunächst einmal denke ich, daß wir Verbesserungen erreichen können, ohne an der Regierung zu sein. Ich würde mich sehr über eine Situation freuen, in der wir uns nicht nur an der Regierung beteiligen, sondern die Regierung tatsächlich übernehmen. Aber zu unserem Bedauern verspricht die politische Lage in Israel heute nicht, daß wir in der Lage sein könnten, Teil welcher nach der Wahl gebildeten Regierung auch immer zu sein.

ML: Weil Jitzak Herzog und Tzipi Livni das nicht wollen oder wollen Sie das nicht?

ATS: Um Teil von etwas zu werden, muß man zuerst darum gebeten werden. Sie haben bis heute bewiesen, daß sie nicht den Mut aufbringen wollen, sich an die palästinensische Gemeinschaft in Israel zu richten, an die arabischen Bürger, und sie zu bitten, Teil einer Regierung zu werden. Ein Teil der Delegitimierung der palästinensischen Gemeinschaft, der arabischen Bürger Israels, in den letzten Jahren bestand darin zu vermeiden, sich in Abhängigkeit von den Stimmen der Araber zu bringen. Wir sind gut genug, für die zionistischen Parteien zu stimmen, aber daß wir Teil der politischen Macht werden und das Geschehen beeinflussen können, wird von der zionistischen Partei nicht akzeptiert, und ich bedauere das. Sie müssen also an uns herantreten. Das bedeutet, daß sie maßgebliche Veränderungen an ihrer Politik vornehmen müssen. Darüber hinaus müssen sie eine Regierung bilden, die bereit ist, die Okkupation zu beenden, sich an wirklichen Friedensverhandlungen zu beteiligen und zu akzeptieren, daß ein palästinensischer Staat auf dem Land gegründet wird, das 1967 besetzt wurde, einschließlich Ostjerusalem. Und dann können wir sprechen. Wir können immer noch, wenn wir zu 15 in der Knesset sind, Einfluß ausüben. Wir werden 15 sein und haben Teil an der Gesetzgebung, an den Parlamentsdebatten. Wir sind in der Lage, Einfluß zu nehmen. Wir werden vielleicht nicht das Land regieren, aber wir werden Einfluß ausüben.

ML: Was halten Sie von einer blockierenden Mehrheit in der Knesset wie in den Tagen von Jitzak Rabin?

ATS: Natürlich ist das eine der möglichen Optionen. Das war meiner Meinung nach zu jener Zeit ein sehr erfolgreicher und mutiger Schritt der arabischen Führung. Ich denke, wir könnten das wieder aufleben lassen. Aber, um es noch einmal zu wiederholen, wir werden in der Lage sein zu sagen: Wann auch immer ihr einen Schritt in die Richtung geht, für die wir stehen, werden wir euch unterstützen. Wir werden immer auf sehr verantwortungsbewußte Weise für das stimmen, was im besten Interesse der Juden und der Araber in diesem Land ist.

ML: Warum meinen Sie war das unter Rabin erfolgreich?

ATS: Es war insofern erfolgreich, als wir deutlich gemacht haben, daß wir eine Kraft sind, die für Frieden und Gleichberechtigung steht. Das haben alle verstanden. Zweitens konnten wir zeigen, daß wir uns im Interesse beider Völker verantwortungsvoll verhalten. Drittens haben wir das Tabu gebrochen, daß niemand bereit ist, auf uns zu achten, mit uns gemeinsame Sache zu machen, gemeinsam zu Entscheidungen zu kommen. Viertens ist es uns gelungen, zumindest einige der Konfiszierungen zu unterbinden, die zu der Zeit stattfanden. Rabin wollte zustimmen, aber wir haben das verhindert. Ich halte das für eine sehr effiziente Möglichkeit, Einfluß auf die Politik zu nehmen, auch wenn wir nicht an der Regierung beteiligt sind.

ML: Haben Mitglieder der Arbeitspartei in irgendeiner Weise Kontakt mit Ihnen aufgenommen?

ATS: Es hat möglicherweise Kontakte gegeben, aber ich halte ihre Entscheidung vor zwei Tagen, die Wahlkommission zu unterstützen, für eine sehr deutliche Botschaft an uns. [1] Das zeigt, wohin sie den Kopf wenden und in welche Richtung sie gehen. Von Beginn an haben wir uns keine Illusionen darüber gemacht. Sie haben sich wieder entschieden, Teil des zionistischen Lagers zu sein, und es hat den Anschein, daß sie noch viel weiter in dieselbe Richtung gehen werden.

ML: Was wollen Sie unternehmen, um die Wähler zu motivieren und die nötigen Stimmen zu bekommen?

ATS: Unser Hauptziel ist, die Wähler zur Stimmabgabe zu bewegen, die bislang nicht gewählt haben. Wir arbeiten sehr hart daran. Tatsache ist, daß bei der Wahlbeteiligung zwischen Männern und Frauen ein großer Unterschied besteht. Frauen wählen weniger in unserer Gesellschaft. Ich gehe davon aus, daß die Tatsache, daß zwei Frauen sie im Parlament vertreten werden, unter anderem eine Frau, die bekannt dafür ist, daß sie die Rechte von Frauen verteidigt, sie ermutigen wird. Wir können das spüren und wir können das sehen. Das ist das eine. Zum anderen müssen wir sehr hart daran arbeiten, jene zu überzeugen, die sich hilflos fühlen und das Gefühl haben, daß sie nichts bewirken können, und ihnen zeigen, auf welche Weise wir die Politik beeinflussen werden.

Ich halte die Tatsache, daß wir diese Gemeinsame Liste haben, für eine sehr vielversprechende politische Strategie für unsere Gesellschaft. Ich erkenne das, wenn ich von einem Ort zum nächsten fahre. Ich kann es spüren, wenn Menschen denken: Endlich haben wir die Macht, wir verschwenden nicht unsere Energie damit, einander zu bekämpfen, im Gegenteil wir bringen unsere Kräfte zusammen, um größer und größer zu werden.

ML: Und auf welche Weise können Sie die Politik beeinflussen, wenn Sie die 15 Sitze bekommen?

ATS: Nun, Sie werden zusehen können, wie wir das machen. Zunächst einmal sind wir in der Lage, unsere Anwesenheit in den unterschiedlichen parlamentarischen Gremien zu verstärken. Wir werden uns an einer größeren Zahl von Diskussionen beteiligen und darauf Einfluß nehmen können.

ML: Werden Sie auch Einfluß auf die Finanzplanung haben?

ATS: Ich verstehe nicht ganz, warum wir immer gefragt werden, welche Entscheidungen wir treffen werden, obwohl wir gar nicht in der Position sind. Wir sind in der Lage, besser Druck auf die Regierung ausüben zu können. Das ist das eine. Wir entscheiden nicht über die Finanzen, sondern wir üben mehr Druck für eine bessere Finanzierung aus. Wir machen es uns zudem zur Aufgabe, jegliche Korruption und jede Entscheidung, die nicht im Interesse der Menschen ist, aufzudecken. Unser Standpunkt ist, alle Gelder öffentlich zu machen, die für die Sicherheit bestimmt sind, die meiner Meinung nach jedoch Menschen in Gefahr bringen, statt ihnen Sicherheit zu verschaffen. Gelder die in die Siedlungen gesteckt werden, statt dieser Frau zu helfen, die im Flur des Krankenhauses liegen muß, weil das Gebäude vollkommen überfüllt ist. Das haben wir vor, und zwar nicht in Vertretung unserer, der palästinensischen Minderheit, sondern als Bürger dieses Landes. Wenn wir wirklich unsere vollen Bürgerrechte beanspruchen wollen, müssen wir uns auch wie Bürger verhalten. Ich betrachte mich nicht als geringere Bürgerin im Vergleich zu anderen. Andere mögen denken, was sie wollen. Was mich jedoch anbelangt, so sehe ich mich als gleichberechtigt mit jedem anderen in diesem Land und ich werde versuchen, auf alles, was in den nächsten vier Jahren geschieht, Einfluß zu nehmen. Das ist ein Versprechen, und bei mir sind 14 weitere, die genau dasselbe tun werden.

ML: Denken Sie, daß die Gemeinsame Liste Herzog und Livni empfehlen wird?

ATS: Darüber haben wir noch nicht gesprochen, wir werden sehen, wie die Wahlen laufen. Wir wollen diese - meiner Meinung nach - kriminelle Regierung, die wir hatten, loswerden, aber Herzog muß sich in den nächsten 25 Tagen noch sehr viel Mühe machen. Er muß hart arbeiten, damit wir überhaupt darüber nachdenken, ihn zu empfehlen. Unser Wunsch, Netanjahu loszuwerden, wird nicht ausreichen, um Herzog zu empfehlen. Er muß beweisen, daß er wirklich anders ist oder daß wenigstens ein kleiner Unterschied zwischen ihm und den Rechten besteht.

ML: Sie beschreiben die Regierung als kriminell, können Sie einmal genauer erklären, warum Sie das so sehen?

ATS: Erstens ist für mich der Krieg gegen Gaza, bei dem 2.200 Menschen getötet wurden, auf internationaler Ebene kriminell und nicht nur nach den israelischen Gesetzen. Zweitens: Von 2000 bis heute wurden 50 arabische Bürger Israels von Polizeikräften getötet. Bis jetzt wurde lediglich ein Polizist angeklagt. Für mich ist das kriminell. Korruption ist kriminell, es gibt Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder der Lieberman-Partei. Für mich ist es auch kriminell, Geld in Siedlungen zu stecken, das für Gesundheit und Bildung gedacht war, für die Zukunft unserer Kinder. Die Siedlungen sind, nebenbei bemerkt, nach internationalem Recht auch kriminell. Man sieht es, wo man hinschaut.

ML: Würden Sie sagen, daß die Diskriminierung in den letzten sechs Jahren der Netanjahu-Regierung noch schlimmer geworden ist?

ATS: Wenn es nur Diskriminierung wäre, wäre das schon gut. Was geschieht, ist viel schlimmer als Diskriminierung. Netanjahu hat einen Prozeß der Delegitimierung der palästinensischen Gemeinschaften in Israel und den Rassismus angestoßen. Was wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben, einschließlich des Gaza-Kriegs, war ein Ausbruch von Faschismus. Menschen werden auf der Straße angegriffen, nur weil sie arabisch sprechen. Das ist gerade vor zwei Tagen wieder geschehen. Ein Araber wurde brutal überfallen, weil man ihn arabisch sprechen hörte. Es half ihm überhaupt nicht, daß er immer wieder sagte: Ich diene in der Armee. Ich bin Druse, ich diene in der Armee. Das half gar nichts. In den letzten zwei Jahren gab es eine wachsende Zahl solcher Angriffe. Haben Sie je davon gehört, daß jemand deswegen verhaftet und wirklich angeklagt wurde? Was ist also los? Entweder ist diese Regierung absolut hilflos und kann in diesem Land nichts zuwegebringen. Dann muß sie nach Hause gehen. Oder sie tut das mit Absicht. Und dann ist es unsere Pflicht, sie nach Hause zu schicken.

ML: Was halten Sie von muslimischen Zionisten, palästinensischen Zionisten wie Anett Haskia aus Acre, die für die rechte Partei Jüdisches Heim kandidiert?

ATS: Ich könnte unhöflich sein und fragen wer bitte? Sie ist bereit, diese Rolle zu spielen und sie tut mir wirklich leid. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Meine Meinung ist meine Meinung. Ich habe gerade jemandem aus dem zionistischen Lager, von dem man sagt, daß es ein wenig der Linken zuneigen soll, aufgefordert, zu seinen Leuten zurückkehren, damit er am richtigen Platz ist. Daraus können Sie schließen, was ich über Anett denke.

ML: Was kann die Gemeinsame Liste tun, um Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Bildung zu mindern?

ATS: Ich denke, wir werden Pläne vorlegen und wir werden Druck auf die Ministerien ausüben. Mein Hintergrund ist die Zivilgesellschaft, ich habe eine Organisation geleitet und das ist eines der Themen, mit denen ich in den letzten zehn Jahren zu tun hatte, Arbeitsstellen für arabische Akademikerinnen beispielsweise. Wir haben angefangen, darüber zu reden, und das israelische Establishment hat es nicht zur Kenntnis genommen und verfügte über keinerlei Informationen darüber, bis die OECD sie aufgefordert hat, sich damit auseinanderzusetzen. Wir wissen genau, wie man die Dinge voranbringt. Unser einziges Hindernis war bis jetzt die Politik der israelischen Regierung. Glauben Sie mir, wir wissen, wie man diesen Job erledigt. Wir werden ihnen das Leben schwer machen, weil wir jede Diskriminierung aufdecken werden, jede Art von Rassismus. Alles Schlechte an der Politik werden wir deutlich machen, und wir werden ihnen Alternativpläne vorlegen.

ML: Ist die Situation in der Bildung und am Arbeitsplatz schlechter geworden in den letzten Jahren?

ATS: Bezogen auf die Beschäftigung kann ich sehr deutlich sagen, daß es fast keinen Fortschritt gibt. Die Regierung versucht zu zeigen, daß es Fortschritte gibt, daß es mehr Beschäftigte gibt. Ich weiß, wie sie mit den Statistiken umgehen und weiß, wie sich die Lage vor Ort darstellt. Ich weiß, daß unser Volk ärmer und ärmer wird. Sie finden vielleicht mehr Arbeit, aber sie bekommen weniger Geld und sie haben eine sehr schlechte soziale Versorgung. Es gibt eine Menge komplizierter Fragen.

ML: Gehen Sie davon aus, daß Netanjahus Reise nach Washington ihm in Israel Stimmen einbringen wird?

ATS: Bedauerlicherweise muß man davon ausgehen, daß es ihm helfen wird. Er führt seine Kampagne von Washington aus. Er zeigt dort die Muskeln und daß er Obama an seinem eigenen Platz eine Niederlage zufügen kann. Ich hoffe, er tut hier dasselbe mit dem Rassismus. Zu meinem Bedauern gewinnt er Stimmen aus dem rechten Lager, indem er zeigt, daß er Washington unter Druck setzt.

ML: Wenn Sie nun 15 Sitze bekommen, kann der Mitte-Links-Block, wie man ihn in Israel nennt, Netanjahu schlagen. Ist es nicht eine Ironie, daß alles damit anfing, daß Lieberman versucht hat, die Araber auszuschließen [2] und daß die Araber nun ihrerseits möglicherweise Netanjahu schlagen werden?

ATS: Nicht nur das. Es könnte sein, daß Lieberman gar nicht mehr da ist, um zuzusehen. Das macht es zu einem großen Vergnügen: Lieberman dachte, er macht dieses Gesetz, um uns aus der Knesset zu befördern und mittlerweile kämpft er selbst darum, die Hürde zu schaffen. Wir könnten also das Vergnügen haben, Netanjahu in die Opposition zu schicken. Aber wir werden uns noch mehr über einen Lieberman freuen, der nicht mehr in der Knesset ist.


Anmerkungen:

[1] Das zentrale Wahlkommitee stimmte für den Ausschluß der israelisch-palästinensischen Kandidatin Hanin Zuabi von den Knesset-Wahlen. Diese Entscheidung wurde mittlerweile vom Obersten Gerichtshof Israels revidiert.

[2] Gemeint ist die Erhöhung der Sperrklausel von 2 auf 3,25%.

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Quelle:
Martin Lejeune, 12.03.2015
Freier Journalist, Berlin
E-Mail: info@martinlejeune.com
Homepage: www.martinlejeune.com
Facebook: www.facebook.com/lejeune.berlin
Blog: martin-lejeune.tumblr.com

Transkription und Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2015

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