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NAHOST/1035: Israel durch Bildung neuer Palästinenserregierung isoliert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juni 2014

Nahost: Israel durch Bildung neuer Palästinenserregierung isoliert - Neues Bündnis vor gravierenden Herausforderungen

von Thalif Deen


Bild: © Zack Baddorf/ZUMA Press/IPS

Israel ist das einzige Land, das die Allianz zwischen den ehemaligen innerpalästinensischen Rivalen Hamas und Fata ablehnt
Bild: © Zack Baddorf/ZUMA Press/IPS

New York, 5. Juni (IPS) - Die Entscheidung der USA, mit der neuen palästinensischen Regierung "zusammenzuarbeiten", hat Israel quasi isoliert. Es ist das bislang einzige Land der Welt, das die politische Allianz zwischen Fatah und Hamas öffentlich ablehnt.

"Nicht ein einziger Staat hat den sinnlosen Aufruf Israels, die neue Einheitsregierung zu boykottieren, beherzigt", meinte Rijad Mansur, ständiger Beobachter Palästinas bei den Vereinten Nationen.

Die neue Regierung aus den ehemaligen Rivalen Fatah, die das Westjordanland regiert, und Hamas, die im Westjordanland das Sagen hat, genieße - mit Ausnahme Israels - die Unterstützung der ganzen Welt. "Das ist eine immens wichtige Entwicklung im nationalen Interesse des palästinensischen Volkes."

Israel, einer der engsten Verbündeten der USA, hat die Regierung von US-Präsident Barack Obama heftig für deren Unterstützung der Palästinenser kritisiert. Es geißelte die US-Anerkennung als "amerikanische Naivität".


UN-Chef sagt Hilfe zu

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte der neu gebildeten palästinensischen Regierung die "volle Unterstützung" der Vereinten Nationen in dem Bemühen zu, das Westjordanland und den Gazastreifen im Sinne des innerpalästinensischen Einheitsabkommens vom 23. April unter einer palästinensischen Behörde wiederzuvereinigen. Dies beinhalte Maßnahmen zur Lösung der ernsten politischen, sicherheitspolitischen, humanitären und wirtschaftlichen Probleme im Gazastreifen und die Durchführung der seit langem überfälligen Wahlen.

Auf die Frage, ob Bans Worte als Anerkennung der neuen pälästinensischen Einheitspartei durch die Vereinten Nationen zu interpretieren seien, antwortete UN-Sprecher Stephane Dujarric gegenüber Journalisten: "Für die Frage der Anerkennung von Regierungen sind die Mitgliedstaaten zuständig."

James E. Jennings, Vorsitzender der Menschenrechts- und Entwicklungsorganisation 'Conscience International' und Geschäftsführer der Vereinigung der US-Akademiker für Frieden, erklärte gegenüber IPS: "Die neue palästinensische Regierung gesteht Israel zu, was der zionistische Staat seit langem fordert: die Anerkennung Israels durch die palästinensische Führung und somit die Anerkennung des israelischen Existenzrechts."

Weiter meinte er, dass die Dominanz der Fatah in der Koalition und deren Anerkennung israelischer Sicherheitsinteressen bedeute, dass die neue Palästinenserführung dazu bereit ist, hinter der Mauer der Apartheid als demilitarisiertes Gebilde zu operieren, das durch die verstreuten jüdischen Siedlungen zerstückelt sei, die von Israel und den israelischen Sicherheitskräften geschützt werden.

"Gesetzt den Fall, die neue Regierung hält, so werden die Lebensumstände der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen weiterhin von Realitäten beherrscht sein, die ihnen Israel mit Hilfe seines nachgiebigen Onkels USA aufzwingt", erläuterte Jennings.

Während Mahmud Abbas weiterhin Präsident der Fatah-dominierten Palästinenserbehörde bleibt, wird der Sprachwissenschaftler und ehemalige Universitätspräsident Rami Hamdallah Premierminister des neuen 17 Mitglieder zählenden Kabinetts. Den Nahostexperten des 'Institute for Middle East Understanding' (IMEU) zufolge besteht die neue Regierung aus einem Konsenskabinett aus Fatah- und Hamas-unabhängigen Technokraten, die die Rückendeckung der großen palästinensischen Parteien genießen und die in sechs Monaten geplanten Wahlen der neuen Autonomiebehörde vorbereiten sollen. Israel, die USA und andere westliche Länder führen die Hamas weiterhin als "Terrororganisation".

Vijay Prashad, Inhaber des Edward-Said-Lehrstuhls an der Amerikanischen Universität von Beirut (AUB), bezeichnete die Entwicklung als "sehr interessant, auch wenn sie aus den falschen Gründen stattfindet". Die Hamas sei, verursacht durch die normale israelische Würgeeisenstrategie und die Schließung der Tunnel und Grenzposten durch Ägypten, wirtschaftlich am Ende. "Mit dem schwierigen Zugang zu den regionalen und internationalen Märkten ist die wirtschaftliche Lage, die ohnehin schon unter der normalen Abwärtsentwicklung und einem massiven Finanzdruck leidet, hoffnungslos."

Prashad zufolge blieb der Hamas gar keine andere Wahl, weil die finanziellen Zuwendungen aus den Golfstaaten weder kurz- noch langfristig eine Zukunft hätten. Die Reformforderungen der internationalen Finanzorganisationen wie Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank seien allesamt keine Option für eine kleine Region, die im Grunde ständig subventioniert werden müsse.


"Regierung der Verzweiflung"

"Die Hamas musste sich dem Neoliberalismus ergeben, der die Hauptstrategie der von Abbas geführten Regierung des Westjordanlandes ist", erläuterte Prashad, Ko-Redakteur der 'Dispatches from the Arab Spring', einer Hintergrundanalyse der Ereignisse des sogenannten Arabischen Frühlings. Die palästinensische Konsensregierung bezeichnete er als "Regierung der Verzweiflung". Schon die Tatsache, dass die Hamas ihre Forderung nach Leitung der Behörden für religiöse und Häftlingsangelegenheiten aufgeben musste, zeigt seiner Meinung nach, dass die Regierung nicht auf Konsens beruht.

Dem Experten zufolge wird Israel alles tun, um sogar diese minimale Konsenssituation zu unterlaufen. "Dazu werden auch Maßnahmen zur Sabotage der in sechs Monaten vorgesehenen Wahlen gehören. Denn es liegt im Interesse Israels, dass Palästina weiterhin im Sinne der Handlungsunfähigkeit zweigeteilt bleibt und an der Nichtexistenz eines Weges in Richtung Befreiung und Frieden erstickt", betonte er.

Jennings erklärte gegenüber IPS, dass von Anfang an klar gewesen sei, dass der Bruch zwischen Palästinensischer Befreiungsorganisation (PLO) und der Hamas die politischen Ambitionen der Palästinenser dramatisch unterlaufen und den Interessen Israels dienen würde. Für das palästinensische Volk sei die Spaltung eine Katastrophe gewesen.

Sieben Jahre später stelle sich die Frage, ob das im April erzielte Nahost-Versöhnungsabkommen halte und ob es noch nicht zu spät sei, den Schaden zu beheben, fügte er hinzu. Und noch entscheidender sei die künftige Haltung Obama-Regierung. Werde sie mit der neuen palästinensischen Einheitsführung Geschäfte machen oder der Zermürbungstaktik der israelischen Regierungskoalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nachgeben?


Auf dem richtigen, aber hoffnungslosen Weg

Es existiert Jennings zufolge kein Abkommen mit Israel über politische Rechte, die zur Bildung eines palästinensischen Staates führen könnten, keine Menschenrechtsgarantien für Palästinenser, keine palästinensische Kontrolle ihrer eigenen Grenzen und keine realistische Chance für ein solides Wirtschaftsprogramm, das notwendig wäre, um den Palästinensern Wachstum und Entwicklung zu bringen.

Die von Präsident Abbas mit dem Einverständnis des Hamas-Führers Ismail Hanijeh installierte Technokratenregierung sei immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings bleibe der neuen Regierung nur wenig Zeit, die Wahlen zu organisieren. Gefangen zwischen Israels destruktiven Maßnahmen und einer abweisenden Hamas-Fraktion im Gazastreifen sei es allerdings unwahrscheinlich, dass die neue Führung in der Lage sein werde, den Torpedierungsversuchen Israels standzuhalten und sich die Unterstützung der Weltgemeinschaft zu sichern, auf die sie so dringend angewiesen sei. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/06/israel-in-political-isolation-over-new-palestinian-government/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2014