Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → AUSLAND


LATEINAMERIKA/1498: Migration nimmt zu, Vorurteile bleiben ein Problem (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Februar 2015

Lateinamerika: Migration nimmt zu - Vorurteile bleiben ein Problem

von Fabiana Frayssinet



Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Emiliana Mamani zeigt die Titelseite einer Zeitung, in der im Jahr 2000 vor einer "leisen Invasion" von Bolivianern in Argentinien gewarnt wurde
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Buenos Aires, 16. Februar (IPS) - Nach neuen Erkenntnissen der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) erlebt die Region einen regionalen Anstieg der Zuwanderung um jährlich 3,5 Prozent. Demgegenüber hat sich die Migration weltweit verlangsamt.

Derzeit leben 28,5 Millionen Lateinamerikaner außerhalb ihrer Heimatländer, davon 20,8 Millionen in den USA. Von den 7,6 Millionen, die die Suche nach besseren Lebens- und Verdienstmöglichkeiten in ein anderes lateinamerikanisches Land verschlagen hat, zog es 63 Prozent in einen der unmittelbaren Nachbarstaaten.

Eine strikte Einwanderungspolitik, wie sie von den USA und Europa praktiziert wird, ist in den lateinamerikanischen Ländern undenkbar. Diese Staaten regeln die Migration mit Hilfe von Integrationsabkommen, weil sie die unilateralen Maßnahmen und Einschränkungen von Seiten einiger Industriestaaten strikt ablehnen.


Fremdenfeindlichkeit

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zuwanderer in einem lateinamerikanischen Land ein besseres Leben erwartet. Trotz aller rechtlichen Fortschritte, was die Gleichbehandlung von Migranten, die Anerkennung ihrer Rechte und die Beseitigung aller Einschränkungen angehe, sei Fremdenfeindlichkeit in der gesamten Region nach wie vor ein Problem, bestätigt das 'UN-Komitee zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen'.

"In unserer Region werden die gleichen Ammenmärchen über Einwanderer erzählt wie anderswo auf der Welt", meint der argentinische Migrationsexperte Pablo Ceriani. So halte sich weiterhin die Mär, dass Zuwanderer für einen Anstieg der Kriminalität verantwortlich seien und Einheimischen die Arbeitsplätze wegschnappten.

Und im Umgang mit Menschen ohne Papiere seien die lateinamerikanischen Einwanderungsbehörden oftmals ebenso kompromisslos wie einige westliche Staaten. Als Beispiel führt er die Deportation von 21.500 salvadorianischen, guatemaltekischen, honduranischen und nicaraguanischen Kindern aus Mexiko an.

Die Bolivianerin Emiliana Mamani lebt inzwischen seit 30 Jahren in Argentinien. Wie sie berichtet, zeigt sich die Fremdenfeindlichkeit in Sprüchen wie 'Macht, dass ihr heimkommt' oder 'Hier bei uns brauchst du dich gar nicht erst aufzuspielen'.

Mamani hat drei Kinder. Für sie sei die Schulzeit aufgrund von Anfeindungen nicht immer leicht gewesen, berichtet die Vorsitzende der Vereinigung 'Mütterzentrum 27. Mai'. Ihre Kooperative hat von einem Wohnungsinstitut einen Sozialkredit für den Bau eines Zwölf-Parteien-Hauses erhalten, unter dessen Dach inzwischen zwölf bolivianische Familien leben.

Auch im Gesundheitsbereich ist die Diskriminierung von Zuwanderern verbreitet. "Wir müssen länger warten als andere, bis wir dran kommen", sagt Mamani. "Und wir werden längst nicht so zuvorkommend behandelt wie etwa ein blonder US-Amerikaner oder Europäer."

Dabei verfügt Argentinien seit zehn Jahren über ein recht fortschrittliches Migrationsgesetz, das explizit auf den Schutz von Zuwanderern abzielt. Außerdem wurde 2006 der Status von 736.000 Menschen ohne Papiere aus Brasilien, Paraguay, Uruguay, Bolivien, Kolumbien, Chile, Ecuador, Peru und Venezuela reguliert.

In Argentinien handelt es sich bei der Mehrheit der Zuwanderer um Paraguayer gefolgt von Bolivianern, Chilenen und Peruanern. In dem südamerikanischen Land leben insgesamt 1,8 Millionen Ausländer. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 4,8 Prozent.

Laut CEPAL sind die lateinamerikanischen Länder, die die meisten Migranten aus der Region verbuchen, Argentinien, Venezuela, Costa Rica und die Dominikanische Republik, während Brasilien und Mexiko die einzigen Länder der Region sind, die außerregionale Migranten aus Europa beziehungsweise den USA anziehen.


Idealisierung der europäischen Migration

Dass europäische und US-amerikanische Migranten in Lateinamerika in aller Regel besser behandelt werden als lateinamerikanische Einwanderer, führt Ceriani auf eine Idealisierung der europäischen Migration im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Tatsächlich seien Spanier, Italiener und Portugiesen damals sehr wohl diskriminiert worden.

Lateinamerikaner verlassen ihre Heimatländer, um Geld zu verdienen. Davon profitieren nicht nur die Herkunftsländer in Form von Auslandsüberweisungen, sondern auch die Zielländer. Dies geschieht etwa in Form von Obstanbautechniken, die die Migranten aus ihren Heimatländern mitbringen, wie Ceriani erläutert.

Viele Bolivianerinnen und Bolivianer arbeiten oftmals unter schlechten Bedingungen in der argentinischen Textilindustrie. Migranten aus Paraguay sind häufig auf Baustellen und als Haushaltshilfen im Einsatz. Peruaner wiederum arbeiten als Babysitter und betreuen Senioren und Kranke.

Im Norden Brasiliens haben Haitianer Arbeit bei großen Infrastrukturprojekten und im Bergbau gefunden. In Costa Rica sind die nicaraguanischen Zuwanderer in der Regel auf dem Bau, in der Landwirtschaft und als Haushaltshilfen anzutreffen. Das Gleiche lässt sich über Kolumbianer sagen, die zum Arbeiten nach Venezuela gegangen sind.

Die zunehmende Integration der lateinamerikanischen Arbeitsmärkte spielt eine wichtige Rolle bei der Überwindung von Vorurteilen. Doch solange einige Länder wirtschaftlich besonders erfolgreich sind, andere hingegen auf der Stelle treten, werden diskriminierende Stereotypen Ceriani zufolge bestehen bleiben. Deshalb ist er der Meinung, dass sich die Vorurteile nur durch eine Verringerung der sozialen und wirtschaftlichen Kluft zwischen den einzelnen lateinamerikanischen Ländern verringern lassen. (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/02/migrantes-latinoamericanos-sufren-prejuicios-en-su-propia-region
http://www.ipsnews.net/2015/02/latin-american-migrants-suffer-prejudice-in-their-own-region

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Februar 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang