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LATEINAMERIKA/1381: Kolumbien - Bevölkerung reagiert verhalten auf Friedensgespräche (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. November 2012

Kolumbien: Mehr Skepsis als Hoffnung - Bevölkerung reagiert verhalten auf Friedensgespräche

von Helda Martínez



Bogotá, 20. November (IPS) - Nach fast 50 Jahren Bürgerkrieg ist die Hoffnung der Kolumbianer auf ein baldiges Ende des Bürgerkriegs groß, doch überwiegt die Skepsis. Viele rechnen nicht damit, dass sich Regierung und FARC-Rebellen so bald aufeinander zu bewegen werden.

"Ich hoffe wirklich, dass es Frieden geben wird", sagt die Bilanzbuchhalterin María Jaramillo in der Hauptstadt Bogotá. "Ich fürchte aber, dass es schwierig werden wird. Denn nichts ist leicht, wenn die Guerilla involviert ist. Ein Frieden wäre eine wirklich große Leistung. Die Bauern könnten in ihre Dörfer zurück, die Bombenanschläge würden aufhören und das Land könnte prosperieren."

Auch Elizabeth Núñez, Studentin der Politikwissenschaften, hat Bedenken. "Doch nichts ist unmöglich", sagt sie. Immerhin haben die Rebellen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) als Zeichen ihres guten Willens zum Auftakt der seit 19. November laufenden Gespräche eine einseitige Waffenruhe ausgerufen.

Die derzeit auf Kuba stattfindenden Verhandlungen sind der bisherige Höhepunkt der sechsmonatigen Vorverhandlungen zwischen der Regierung des konservativen kolumbianischen Staatspräsidenten Juan Manuel Santos und den Anführern der linksgerichteten FARC. Die Rebellenorganisation war 1964 in der zentralkolumbianischen Provinz Caldas von Bauern als Antwort auf politische und rechtliche Ungerechtigkeiten gegründet worden.

Im August hatte Santos erstmals Gespräche mit der FARC angekündigt. Vorangegangen waren geheime Sondierungsgespräche zwischen den Konfliktparteien, die Kuba und Norwegen vermittelt hatten. Beide Staaten sind Garanten des Prozesses, Venezuela und Chile fungieren als Unterstützer.


Klare Positionen

Aus den Sondierungsgesprächen ist das 'Allgemeine Abkommen zur Beendigung des Konflikts und der Bildung eines stabilen und dauerhaften Friedens' hervorgegangen, das die jeweiligen Forderungen der Verhandlungspartner beinhaltet. Während die Regierung von der FARC verlangt, den bewaffneten Kampf aufzugeben, fordern die Rebellen die Einstellung aller größeren Bergbau- und Infrastrukturprojekte in den ländlichen Gebieten und die Umsetzung eines ehrgeizigen Agrarentwicklungsplans.

Offiziell sind die Friedensverhandlungen im Oktober in Oslo gestartet. Auf der Agenda standen das Agrarprogramm, Beihilfen für die Kokabauern, um auf alternative Agrarerzeugnisse umzusteigen, die Umwandlung der Rebellenorganisation in eine reguläre politische Partei und die Betreuung der Bürgerkriegsopfer nach einem Ende des Krieges.

Doch noch sind Regierung und FARC von einer Annäherung weit entfernt. Wie schwierig sich der Prozess gestaltet, lässt sich gut am Beispiel des staatlichen Landrückgabeprogramms aufzeigen: Das Flaggschiff der Regierung wird von der Guerilla abgelehnt, weil es angeblich Unternehmen und transnationale Firmen begünstigt.

"Der Frieden ist ein Prozess, den man uns seit 20 Jahren schuldet. Dann hätten nicht so viele Soldaten, Rebellen und Zivilisten sterben müssen", kommentiert ein Lehrer, der sich Anonymität ausbittet. "Doch natürlich wissen wir, dass Wirtschaftsinteressen hinter dem Krieg stecken. Ein Frieden würden Armee und Guerilla gleichermaßen um wichtige Einkünfte bringen", meint der 50-Jährige.

Ein weiterer Grund für die verbreitete Skepsis in der Bevölkerung ist die von Santos-Amtsvorgänger Álvaro Uribe (2002-2010) betriebene Polarisierung des Landes, wie der Universitätsprofessor und Meinungsforscher Armando Ramírez erklärt. "Hinzu kommt die allgemeine Unkenntnis, was Demokratie, Meinungsfreiheit und Zivilgesellschaft wirklich bedeuten."


Vorwurf der Volksverdummung durch die Medien

Den kolumbianischen Medien wirft der Experte vor, dem Establishment nach dem Mund zu reden und die Menschen in Unwissenheit zu halten. "Im Radio und Fernsehen ist der Großteil der Sendezeit für Unterhaltungsprogramme bestimmt. Zeitungsberichte und -kommentare sind wiederum nur für Experten, Akademiker und Wissenschaftler, nicht für die breite Masse gedacht", sagt er.

Ins gleiche Horn stößt Andrés Felipe Ortiz von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation 'Observatorio de Medios en Derechos Humanos, Medios al Derecho'. "Um sich eine Meinung bilden zu können, bedarf es einer Vielfalt an Informationen, die von den Medien nicht geliefert wird. Stattdessen wird polarisiert, bis die Menschen zu dem Schluss kommen, dass der Prozess ins Leere laufen wird. Es ist offensichtlich, dass die Medien nicht zu einem breiteren Verständnis der Bevölkerung beitragen."

Es gibt Kolumbianer, die der Meinung sind, dass die demobilisierten paramilitärischen Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC) zu den laufenden Verhandlungen hinzugezogen werden müssten. Die paramilitärische AUC war in den 1980er Jahren zur Bekämpfung der Guerilla gegründet worden und wird für das Gros schlimmster Menschenrechtsverbrechen verantwortlich gemacht.

"Es wird erst Frieden geben, wenn Opfer und Täter sich gegenübertreten und gegenseitig verzeihen", meint dazu Ismail Rodríguez, Mitarbeiter einer Fluggesellschaft. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://mediosalderecho.blogspot.de/2012/11/equidad-pluralidad-y-medios-de.html
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101918

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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2012