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LATEINAMERIKA/1377: Argentinen - Wahlrecht ab 16, Abgeordnetenhaus stimmt neuem Gesetz zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. November 2012

Argentinen: Wahlrecht ab 16 - Abgeordnetenhaus stimmt neuem Gesetz zu

von Marcela Valente



Buenos Aires, 1. November (IPS) - In Argentinien dürfen Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren künftig an den nationalen Wahlen teilnehmen. Die zuvor vom Senat gebilligte Vorlage hat nun auch das Abgeordnetenhaus passiert.

131 Parlamentarier stimmten in der Nacht auf den 1. November für das Gesetz, zwei votierten dagegen, während sich ein Abgeordneter der Stimme enthielt. Mitte Oktober hatte der Entwurf den Senat passiert - mit 52 Ja- gegenüber drei Neinstimmen und zwei Stimmenthaltungen.

Doch das Abstimmungsergebnis reflektiert nicht die Heftigkeit der zuvor geführten Debatten. So wurde die Gesetzesinitiative von ihren Gegnern als "opportunistisch", "demagogisch", "widersprüchlich" und "unvollständig" geziehen. Im Augenblick der Stimmabgabe, eine Minute vor Mitternacht, verließen die Politiker sämtlicher Oppositionsparteien geschlossen den Sitzungssaal.


Freiwilliges Wahlrecht

Dem Gesetz zufolge dürfen die 16- bis 17-jährigen Argentinier an den kommenden Wahlen teilnehmen - müssen aber nicht. In Argentinien ist die Teilnahme an den nationalen Wahlen für die Altergruppe der 18- bis 70-Jährigen Pflicht, die Nicht-Teilnahme wird bestraft. Ausgenommen sind Senioren über 70 und Bürger, die durch Krankheit oder Abwesenheit verhindert sind.

Dass die neue Gruppe der Jungwähler keiner Wahlpflicht unterliegt, bezeichneten einige Abgeordnete als inkonsequent. Oppositionsführer geißelten das Gesetz als gezielten Versuch der Regierung, Stimmen für die regierende 'Front für den Sieg' zu fangen.

Die Jugendlichen aller Parteien stehen im Großen und Ganzen hinter der Neuregelung. Lucio Lapeña, Vorsitzender der Jugendorganisation der Oppositionspartei 'Bürgerlich-Radikale Union' (UCR), begrüßte das Gesetz, forderte aber gleichzeitig eine Ausweitung der Rechte junger Menschen auf Bildung, Beschäftigung und Wohnraum.

Auch die Jugendorganisation 'Freie des Südens' befürwortete - anders als ihre Mutterpartei 'Breite Fortschrittsfront' (FAP) - das Wahlrecht ab 16, "weil es jungen Menschen zu mehr Rechten und einer größeren politischen Beteiligung verhilft", wie die Vorsitzende der Jugendgruppe, Julieta Smulevich, erklärte. Sie betonte aber gleichzeitig, dass vor allem Themen wie der Zugang zu Arbeitsplätzen, Armut, Drogensucht und politischer Machtmissbrauch die jungen Menschen im Lande umtreibe.

Die 2011 zum zweiten Mal im Amt bestätigte Präsidentin Fernández hat wiederholt und ausdrücklich betont, dass für sie eine dritte Amtszeit nicht in Frage komme. Dennoch beharren etliche Anhänger darauf, dass eine Verfassungsreform, die einer besonderen Stimmenmehrheit bedarf, ihr eine weitere Regierungszeit ermöglichen könnte.


Opposition wittert politisches Manöver

Die Diskrepanz der Äußerungen dürfte mit dazu beigetragen haben, dass die Oppositionsparteien dem neuen Gesetz ihre Unterstützung versagten. So warf Elisa Carrió von der 'Bürgerlichen Koalition' der Regierung "Demagogie" vor, um junge Leute für sich einzunehmen.

Nach Ansicht anderer Politiker wie Soledad Martínez von der Mitte-Rechtspartei 'Republikanischer Vorschlag' (PRO) birgt das neue Gesetz die Gefahr einer "fragilen Bürgerschaft". Parteivorsitzender Mauricio Macri sprach gar von einer "Falle", die die Regierung im Eigeninteresse gestellt habe.

Doch Jorge Rivas, Abgeordneter der mit der Regierungspartei verbündeten sozialistischen Gruppierung, wies die Kritik an dem neuen Gesetz mit dem Hinweis zurück, dass die Gruppe der 16- bis 18-Jährigen die Zahl der Wahlberechtigten um maximal drei Prozent erhöhen wird.

Das neue Gesetz geht auf die beiden Senatoren Aníbal Fernández und Elena Corregido von der Front für den Sieg zurück. Ein solches Gesetz entspringe dem Wunsch, die politische Beteiligung zu erhöhen, wie dies gerade von jungen Menschen gefordert werde, erklärten sie und fügten hinzu, dass man damit dem Vorbild anderer lateinamerikanischer Länder wie Brasilien, Ecuador, Kuba und Nicaragua folge. Auch in Bolivien, Chile und Uruguay seien ähnliche Bestrebungen im Gang.

Bevor der Entwurf dem Senat zur Abstimmung vorgelegt worden war, wurde er auf öffentlichen Expertenveranstaltungen vorgestellt und diskutiert. Darüber hinaus wurden Schüler und Studenten nach ihrer Meinung gefragt. Die meisten waren für das Wahlrecht der 16- und 17-Jährigen.

Die Diskussion fand etwa zeitgleich zu Schülerprotesten in Buenos Aires gegen Änderungen des Lehrplans statt, die den Schülern zufolge eine angemessene Vorbereitung auf eine Integration in den Arbeitsmarkt verhindern. Nachdem 50 Bildungseinrichtungen besetzt und der Unterricht einen Monat lang ausgefallen war, ordnete die Justiz ein Zusammentreffen der Jugendführer mit Vertretern der lokalen Bildungsbehörden an, das die Rücknahme der verfügten Änderungen zur Folge hatte. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2012