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LATEINAMERIKA/1371: Venezuela - Chávez' Wahlsieg fordert "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" heraus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2012

Venezuela: Chávez' Wahlsieg fordert 'Sozialismus des 21. Jahrhunderts' heraus

von Humberto Márquez


Hugo Chávez auf einer seiner Wahlveranstaltungen - Bild: © Comando Carabobo

Hugo Chávez auf einer seiner Wahlveranstaltungen
Bild: © Comando Carabobo

Caracas, 9. Oktober (IPS) - Nach dem triumphalen Wahlsieg am 7. Oktober könnte der wiedergewählte Präsident Hugo Chávez zwei Wege einschlagen: Entweder er beschleunigt sein Projekt des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts, oder er macht das genaue Gegenteil - entschleunigt das Projekt und schafft stattdessen neue Räume, um mit den gesellschaftlichen Gruppen des südamerikanischen Landes ins Gespräch zu kommen, die ihm seit Beginn seiner ersten Amtszeit im Jahr 1999 feindlich gegenüberstehen.

Nach 97,65 Prozent ausgezählter Wahlscheine (Stand: 9. Oktober) kommt Chávez laut Nationalem Wahlrat auf 55,14 Prozent der Stimmen (absolut: 8.062.056). Sein politischer Gegner Henrique Capriles erhielt demnach 44,24 Prozent (absolut: 6.468.450). Die vier übrigen Präsidentschaftskandidaten konnten zusammen 88.369 Stimmen für sich verbuchen. Die Wahlbeteiligung war mit 80,72 Prozent der Wahlberechtigten so hoch wie in den vergangenen 30 Jahren nicht.

Nachdem sein Sieg feststand, sagte Chávez: "Venezuela wird niemals zum Neoliberalismus zurückkehren. Wir werden den demokratischen und bolivarischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts vorantreiben." Er lobte die Opposition für ihr demokratisches Verhalten, seinen Wahlsieg anerkannt zu haben, und erklärte, seine beiden Hände nach ihr auszustrecken, "damit wir uns gemeinsam dem Wohlergehen unseres Heimatlandes widmen können".

"Das Volk hat gesprochen - und die Entscheidung des Volkes ist für uns heilig", erklärte seinerseits Capriles. Er forderte von Chávez allerdings "Respekt und Rücksicht auf nahezu die Hälfte der Bevölkerung, die nicht mit ihm einer Meinung sind".


Außergewöhnliches Dialogangebot

Das Dialogangebot Chávez' hält der Politikwissenschaftler Carlos Raúl Hernández im Fall Venezuelas für außergewöhnlich. "In den meisten Demokratien ist es üblich, nach einer Wahl in den Dialog einzutreten." In Venezuela sei es das nicht, erklärte der wissenschaftliche Mitarbeiter der Zentraluniversität.

"Die Produktionsstrukturen sind in Venezuela fast gänzlich zusammengebrochen, die Wirtschaft weist keinerlei Diversifikation auf, und es ist das einzige Land Lateinamerikas, das in den vergangenen 15 Jahren seine Exporte nicht gesteigert hat", so Hernández. Die Wirtschaft Venezuelas beruht fast alleine auf der Ölförderung. "Und obwohl der Preis von einer Tonne Öl bei 100 Dollar liegt, muss sich Venezuela verschulden und kann die sozialen Bedürfnisse nicht erfüllen."

Chávez habe nun die Chance, seinen Kurs neu zu bestimmen und zu berichtigen. Er müsse nun alle gesellschaftlichen Sektoren an einen Tisch bringen, um diese Herausforderungen anzugehen. "Sollte er sich dazu entschließen, den Weg des Sozialismus weiter zu gehen, dann laufen wir innerhalb kürzester Zeit schnurstracks in eine Katastrophe hinein", sagte Hernández.

In den vergangenen Jahren hat der Präsident strikte Kontrollen für die Wirtschaft eingeführt und mehr als 1.000 Unternehmen jeglicher Größe verstaatlicht. Für seine kommende Amtszeit von 2013 bis 2019 kündigte er an, mehr Produktionsmittel und damit Unternehmen in die Hände des Volkes zu übergeben, um letztlich einen "sozialistischen Stoff" zu weben.

"Venezuela ist in zwei Teile geteilt", schrieb Teodoro Petkoff, der ehemalige Chef der Sozialistischen Partei, in seiner Zeitung 'Tal Cual'. "Ein solch geteiltes Land kann nicht blühen. Wenn Chávez diese einfache Wahrheit verstehen lernt, dann wird er auch begreifen, dass er sein Verhalten gegenüber seinen Gegnern ändern muss."

Im Gegensatz dazu schrieb Petkoffs alter Rivale innerhalb der Linken, José Vicente Rangel: "Die Minderheit, die die Opposition bildet, muss sich demokratisch verhalten." Die Probleme, unter denen Venezuela litt und noch immer leidet, sind seiner Ansicht nach auf die antidemokratische Haltung der Opposition zurückzuführen. "Diese schreckt nicht davor zurück, gegen die Verfassung zu verstoßen." Rangel bezog sich mit der Aussage auf den Putschversuch vom April 2002.


Nach der Wahl ist vor der Wahl

Doch Chávez kann sich auf seinem Sieg nicht ausruhen. Sowohl seine Partei als auch die Oppositionskräfte richten ihren Blick nun auf den 16. Dezember. Dann werden die Gouverneure der 23 Bundesstaaten gewählt sowie der Oberbürgermeister der venezolanischen Hauptstadt Caracas.

Der Politikwissenschaftler Hernández ist sich sicher, dass auch für die Gouverneurswahlen die Opposition ihre Allianz 'Tisch für die die demokratische Einheit' aufrecht erhält. 20 neue und traditionelle Parteien hatten sich vor den Präsidentschaftswahlen zu dem Bündnis zusammengeschlossen und Capriles als ihren gemeinsamen Kandidaten aufgestellt. "Nichts eint besser als die Notwendigkeit", sagte Hernández. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.cne.gob.ve/resultado_presidencial_2012/r/1/reg_000000.html
http://www.unidadvenezuela.org
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101686
http://www.ipsnews.net/2012/10/chavez-victory-brings-challenges-for-21st-century-socialism/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2012