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LATEINAMERIKA/1364: El Salvador - Gangs und Regierung bereit zu Gesprächen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2012

El Salvador: Gangs und Regierung legen Karten für Gespräche auf den Tisch - Gewalt soll ein Ende haben

von Edgardo Ayala


Carlos Mojica im Gefängnis von Cojutepeque, umringt von seinen Leuten - Bild: © Edgardo Ayala/IPS

Carlos Mojica im Gefängnis von Cojutepeque, umringt von seinen Leuten
Bild: © Edgardo Ayala/IPS

San Salvador, 27. August (IPS) - In El Salvador sind die Weichen für Gespräche zwischen der Regierung und den beiden größten kriminellen Gangs gestellt. Doch die geplanten Verhandlungen, die der verbreiteten Gewalt im Lande ein Ende setzen sollen, stoßen bei einflussreichen Sektoren auf Widerstand.

In der Öffentlichkeit gibt die Mitte-Links-Regierung vor, an einem Zustandekommen der Gespräche nicht interessiert zu sein. Beobachter begründen die widersprüchliche Haltung von Staatspräsident Mauricio Funes mit der Sorge über die möglichen politischen Konsequenzen, die eine solche, nicht von allen mitgetragene Entscheidung mit sich bringen könnte.

Tatsächlich hat Staatspräsident Mauricio Funes den Anführern von 'Mara Salvatrucha' (MS-13) und 'Barrio 18' die Punkte zugestellt, die bei einem Zustandekommen des Treffens - der sogenannten zweiten Phase zur Befriedung des zentralamerikanischen Landes - diskutiert werden sollen.

Beide Mara, wie die Verbrecherbanden in Zentralamerika genannt werden, waren im März übereingekommen, ihre Kämpfe gegeneinander einzustellen und Anschläge auf Polizei, Heer und Zivilbevölkerung zu unterlassen. Seither ist die Mordrate in einem der gewalttätigsten Länder der Welt von zwölf bis 14 pro Tag auf fünf bis sechs zurückgegangen.


Sondierungsgespräche vom Gefängnis aus

"Wir glauben, dass der Prozess trotz aller Hindernisse vorankommen wird", meint der Barrio-18-Chef Carlos Mojica im IPS-Gespräch. Mojica sitzt derzeit in der Haftanstalt von Cojutepeque nahe der Hauptstadt Tegucigalpa ein, von wo aus er die Sondierungsgespräche mit der Regierung führt.

Die Mara wurden in den 1980er Jahren von bürgerkriegsvertriebenen Zentralamerikanern in den USA gegründet. Viele Mitglieder wurden in ihre Heimatländer zurückgeschickt, wo sie vor allem junge Leute aus Armenvierteln für ihre kriminellen Aktivitäten wie Erpressungen, Entführungen und Drogenhandel rekrutierten.

Die mehrheitlich konservativen Medien El Salvadors agieren in dem 6,2 Millionen Einwohner zählenden Land als Sprachrohr der Gegner von Gesprächen mit den Gangs. Mehr als die Hälfte der Abgeordneten des Einkammerparlaments ist gegen den Dialog. Ohne deren Unterstützung dürfte es schwierig für die beiden Banden werden, mit ihren Forderungen durchzukommen.

Die Rolle der Regierung beim Zustandekommen des Waffenstillstands zwischen MS 13 und Barrio 18 liegt weitgehend im Dunkeln. Angenommen wird, dass Tegucigalpa zwischen den beiden verfeindeten Gangs vermittelt hat. Auch verweisen Analysten darauf, dass einige der in Hochsicherheitsgefängnisse weggesperrten Bandenchefs in weniger abgeriegelte Anstalten verlegt wurden. Das wird allgemein als Zeichen der Bereitschaft gedeutet, den Mara entgegen zu kommen.

Einige Vorschläge der Bandenmitglieder beinhalten die Reform von Gesetzen zugunsten von Hafterleichterungen und Privilegien wie Straferlässe und Begnadigungen in Fällen, in denen die Gefangenen unheilbar krank oder über 65 Jahre alt sind.

"Gesetzesänderungen wollen sie! Da zeigt sich wieder einmal die Macht dieser Gruppen", empört sich der Analyst Dagoberto Gutiérrez. Nach offiziellen Angaben gibt es rund 60.000 Mara im Land. Hinzu kommen weitere 10.000, die im Gefängnis sitzen - entweder weil sie verurteilt wurden oder noch auf ihren Prozess warten.


Weitgehende Forderungen

Auch wollen die Mara die Abschaffung eines Gesetzes, das bereits die Mitgliedschaft in ihren Vereinigungen zu einem Straftatbestand macht. Das Gesetz wurde von Staatschef Funes selbst eingeführt, um die Zunahme der Bandenkriminalität zu bekämpfen. Doch die Experten sind sich einig, dass diese repressiven Mittel nicht den erwünschten Erfolg gebracht haben.

"In Artikel drei der Verfassung heißt es, dass niemand wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit, seines Geschlechts oder anderer natürlicher Merkmale diskriminiert werden darf. Doch wir werden diskriminiert", meinte Mojica in Cojutepeque im IPS-Gespräch. "Das Gesetz zur Mitgliedschaft in Banden ist verfassungswidrig."

Ebenso wollen sich die Mara für die Abschaffung von Gesetzesartikeln einsetzen, die für besonders gefährlich eingestufte Bandenmitglieder Einzelhaft in Hochsicherheitsgefängnissen vorsehen. Die meisten verbüßen ihre Strafe in der Haftanstalt der Stadt Zacatecoluca, in Anlehnung an das berüchtigte US-Gefängnis Alcatraz auch 'Zacatraz' genannt. Hier war Mojica bis März festgehalten worden.

Ebenso wünschen sich die Mara die Abschaffung der Regelung, die Bandenmitgliedern Haftminderung in Fällen einräumt, in denen sie gegen ihre ehemaligen Kameraden vor Gericht aussagen. Die salvadorianische Staatsanwaltschaft macht von diesem juristischen Mittel häufig Gebrauch. Doch den Betroffenen zufolge wird das Rechtsmittel häufig in Fällen missbraucht, in denen die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichen.

Auf Unverständnis in der Bevölkerung stößt vor allem die Forderung der Bandenchefs, die Polizeieinsätze in den Gebieten mit hoher Mara-Präsenz einzustellen. "Die Polizei hat einen Verfassungsauftrag, Verbrechen zu bekämpfen. Das verbietet ihr, bestimmten Arealen Polizeieinsätze vorzuenthalten", meinte Mauricio Figueroa von der Stiftung Ideen und Aktivitäten für den Frieden Quetzalcoatl. "Eine solche Forderung könnte die Verhandlungen an die Wand fahren."

Der ehemalige Guerillakommandant und frühere Abgeordnete Raúl Mijango, der als Vermittler in diesen indirekten Vorgesprächen auftritt, meint gegenüber IPS, dass die Forderungen der Mara durchaus verhandelbar seien.


OAS involviert

Im Juli hatten die Anführer von MS-13 und Barrio 18 einen Forderungskatalog erstellt und dem Generalsekretär der Amerikanischen Staaten (OAS), José Miguel Insulza, vorgelegt. Dieser war mit dem erklärten Ziel nach El Salvador gereist, um sich über den Stand der Verhandlungen zwischen Staat und Gangs ein Bild zu machen.

Die Tageszeitung 'El Diario de Hoy' hat bereits am 31. Juli die Vorschläge veröffentlicht, die die Regierung den Mara unterbreitet hat. Dazu gehört das definitive Ende jeder Form der Gewalt und jeder kriminellen Handlung.

Wie verschiedene Studien belegen, haben Drogenhandel und Lösegelderpressungen die Banden so stark gemacht. Dass es auch nach der im März vereinbarten Feuerpause weiterhin zu Lösegelderpressungen kommt, erklärt, warum die Bevölkerung den Mara misstraut.

Die Regierung verlangt ferner, dass sich alle steckbrieflich gesuchten Bandenmitglieder ergeben und ihre Waffen strecken. Außerdem sollen sie all diejenigen Orte nennen, an denen sie ihre Gewaltopfer vergraben haben. Den Behörden zufolge konnten von 680 Verschwundenen erst 317 gefunden werden. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.fundaungo.org.sv/dir_jovenes/39.html
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101437

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IPS-Tagesdienst vom 27. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2012