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LATEINAMERIKA/1206: Kuba - Afro-kubanische "Märtyrer" nach über 100 Jahren geehrt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Dezember 2010

Kuba: Bescheidenes Gedenken - Afro-kubanische 'Märtyrer' nach über 100 Jahren geehrt

Von Patricia Grogg


Havanna, 22. Dezember (IPS) - Unter einem großen Feigenbaum in der Altstadt von Havanna erinnert seit kurzem eine Gedenktafel an das Schicksal von fünf Afro-Kubanern, die im 19. Jahrhundert während der spanischen Kolonialherrschaft von einem Erschießungskommando getötet wurden.

Die anonymen 'Helden', die laut der Inschrift mehreren 'weißen' Medizinstudenten zur Hilfe kamen, gehörten einer Geheimgesellschaft namens 'Abakuá' an. Angehörige dieser religiösen Bruderschaft kamen vor mehr als einem Jahrhundert als Sklaven aus Westafrika auf die Karibikinsel. Seitdem sind sie stark diskriminiert worden.

Über die Exekution von acht Medizinstudenten im Jahr 1871 ist in kubanischen Geschichtsbüchern viel zu erfahren. Sie wurden bezichtigt, das Grab eines spanischen Offiziers geschändet zu haben. Beweise für ihre Schuld wurden allerdings nie gefunden. Jedes Jahr am 27. November versammeln sich Studenten an einem Denkmal, das für die jungen Männer errichtet wurde.

Der Tod der fünf 'Abakuá', die gegen die Erschießung protestierten, werde jedoch von der offiziellen Geschichtsschreibung ignoriert, kritisierte Toto Quiñones, der seit 2006 eine jährliche Gedenkzeremonie koordiniert. Zu den Organisatoren gehört die 'Cofradía de la Negritud', die Schwarzen zu mehr gesellschaftlicher Anerkennung verhelfen will.

"13 junge Männer, Weiße und Schwarze, sind an dem Tag gestorben", sagte Quiñones IPS. "Wir haben uns daher die Zeit genommen, das Denkmal für die Studenten und die Tafel für die 'Abakuá' aufzusuchen, um alle Opfer zu ehren."


'Che' Guevara erinnerte an Schwarze

Wie Quiñones berichtete, erinnert sich das Land nur selten an die fünf Afro-Kubaner. Die offizielle Zeitung 'Granma' veröffentlichte im vergangenen Jahr einen Artikel über die historische Begebenheit.

Guerillaführer Ernesto 'Che' Guevara (1928-1967) hatte bei einer Gedenkfeier 1961 erklärt, dass "die Studenten nicht als einzige ihr Blut vergossen haben". Es sei aber noch immer nahezu unbekannt, dass am Ort der Exekution auch die Leichen von Schwarzen gefunden worden seien. Die Männer seien mit Bajonetten erstochen und von Kugeln durchlöchert worden, sagte Guevara unter Berufung auf Berichte spanischer Augenzeugen.

Quiñones und andere Menschenrechtler wollen erreichen, dass für die Opfer künftig eine gemeinsame Zeremonie stattfinden wird. Die Tafel für die 'Abakuá' wurde am vergangenen 27. November angebracht. An der Einweihung der Gedenkstätte nahmen zahlreiche Einwohner von Havanna teil. Es wurden Gedichte vorgetragen, Lieder gesungen und Tänze aufgeführt.

Rund 250 Menschen zogen danach zu dem Mahnmal für die Studenten. An der Spitze marschierten so genannte 'iremes', kleine Teufel, die nach der afro-kubanischen Religion die Geister der Vorfahren verkörpern.

Die 'Abakuá' hätten ihr Leben für Studenten geopfert und von vornherein gewusst, dass sie gegen die spanischen Soldaten nicht ankommen würden, sagte die Anthropologin María Ileana Faguada.

Esteban Morales, der sich als Wissenschaftler mit den unterschiedlichen Ethnien in Kuba beschäftigt, erklärt sich das lange Vergessen mit den verbreiteten Vorurteilen gegen afro-kubanische Religionen. Dabei seien viele kubanische Unabhängigkeitskämpfer Schwarze gewesen, die ihren traditionellen Glauben praktiziert hätten.


'Abakuá' suchten Verständigung mit Weißen

Nach Erkenntnissen von Quiñones wurde die 'Abakuá'-Gesellschaft erstmals 1906 in dem Buch 'Los Negros Brujos' (Schwarze Magie) des Ethnologen Fernando Ortiz erwähnt. Ortiz war einer der ersten, die die afrikanischen Wurzeln der kubanischen Kultur erforscht haben.

Wie der Arzt Orlando Gutiérrez erklärte, nahmen die 'Abakuá' ab 1863 auch Weiße in ihre Reihen auf. Damit habe die Bewegung als erste die Schranken zwischen den Ethnien auf der Karibikinsel abgebaut. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2010