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LATEINAMERIKA/1203: Venezuela - Mediengesetzreform soll Pornografie und Pädophilie eindämmen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Dezember 2010

Venezuela:
Umstrittene Mediengesetzreform soll Pornografie und Pädophilie eindämmen

Von Humberto Márquez


Caracas, 16. Dezember (IPS) - Das Parlament in Venezuela hat schärfere Auflagen für elektronische Medien beschlossen. Unterstützer der Reform argumentieren damit, dass die Bürger stärker vor der Verbreitung von Pornografie und Pädophilie im Internet geschützt werden müssten. Die Organisation Reporter ohne Grenzen befürchtet jedoch gravierende Einschränkungen der Pressefreiheit. Auch die Oppositionsparteien, Journalistenverbände und die katholische Kirche übten Kritik.

Rund 90 Prozent der Parlamentarier stimmten kürzlich der Reform des seit 2005 geltenden 'Gesetzes über soziale Verantwortung in Radio und Fernsehen' zu. Inhaltliche Einschränkungen, denen bereits Rundfunksender unterliegen, sollen künftig auch für Informationsangebote im Internet gelten.

Website-Betreiber, die die Regelungen missachten, müssen mit Bußgeldern und der Schließung der Seiten rechnen. Die Regierung will demnach Inhalte verhindern, "die Unruhe unter den Bürgern stiften und die öffentliche Ordnung stören, die Autorität der Behörden untergraben, zu Mord und zur Missachtung von Gesetzen aufrufen". Diese Verstöße werden auf eine Stufe mit der Anstachelung zu Krieg, Hass und Intoleranz gestellt.


Gesetz im Eilverfahren verabschiedet

Die im Eilverfahren beschlossene Reform soll in wenigen Tagen in Kraft treten. Das Parlament in Caracas legte Sondersitzungen ein, um in diesem Monat noch mehrere Gesetze zu verabschieden. Staatschef Hugo Chávez drückt auf das Tempo, weil sich am 5. Januar ein neu gewähltes Parlament mit einer erstarkten Opposition konstituieren wird.

Der Vorsitzende des parlamentarischen Medienausschusses versucht Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. "Niemand hat durch das neue Gesetz etwas zu befürchten", erklärte Manuel Villalba. Die Reform solle die Bürger vor Pornografie und Pädophilie schützen, betonte er. Das Internet sei dazu genutzt worden, niederen Instinkten freien Lauf zu lassen.

Wenn etwa ein Blog einen Mordaufruf verbreite, müssten sowohl der Autor als auch der Betreiber der Website zur Verantwortung gezogen werden, sagte Villalba, der Chávez' Partei PSUV angehört.

Reporter ohne Grenzen sieht dagegen die Presse- und Meinungsfreiheit in Gefahr. In seiner bisherigen Form habe das Gesetz die Medien ohnehin schon zur Selbstzensur gezwungen, erklärte die Organisation mit Sitz in Paris. Die Verbote seien so allgemein formuliert, dass alles Mögliche hineininterpretiert werden könne. Durch die Reform werde die Situation noch grotesker.

Carlos Correa von der unabhängigen Organisation 'Espacio Público' (Öffentlicher Raum) sagte IPS, dass eine Ausweitung der Einschränkungen vom Rundfunk auf das Internet nicht mit internationalen Standards zu vereinbaren sei. Die überstürzt verabschiedete Reform drohe grundlegende Rechte zu verletzen und müsse in der Öffentlichkeit umfassend diskutiert werden.

Geplant ist auch eine Reform des Telekommunikationsgesetzes, das 2000 während der ersten Amtsperiode von Chávez in Kraft trat. Alle Eigentümer von Radiosendern und Fernsehkanälen würden dazu verpflichtet, ihre Lizenzen neu zu beantragen. Bei Nichtbeachtung der inhaltlichen Auflagen kann den Sendern der weitere Betrieb verweigert werden.

Die drohende Ausweitung des staatlichen Einflusses stieß auch bei Oppositionsparteien, privaten Medien, Journalistenvereinigungen und der katholische Kirche auf heftigen Widerstand. Die Regierungsanhänger gehen daher in die Defensive. "Wer sollte etwas dagegen haben, wenn Kinder und Jugendliche vor schädlichen Informationen geschützt werden?" meinte die Journalistin und PSUV-Abgeordnete Desirée Santos. Man wolle dem Internet keine Schranken auferlegen, sondern eine sinnvolle Nutzung garantieren.


Bestehende Gesetze reichen

Kritiker wie Correa überzeugt dies allerdings nicht. Die strafbaren Handlungen, die in dem neuen Gesetz beschrieben seien, würden bereits nach dem geltenden Strafrecht geahndet, sagte er. Andererseits gebe es nach wie vor keinerlei Schutz für Bürger, die in den Medien von Vertretern der Regierung attackiert würden.

Auch der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, Frank La Rue, warnte vor einer Einflussnahme des Staates auf das Internet, das als Freiraum erhalten bleiben müsse. Ähnliche Probleme seien in China zu beobachten, sagte der Guatemalteke. Dort würden beispielsweise Websites gesperrt, die über die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Regierungskritiker Liu Xiabao berichteten. (Ende/IPS/ck/2010)


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http://www.espaciopublico.org/
http://www2.ohchr.org/english/issues/opinion/index.htm
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97135

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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2010