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LATEINAMERIKA/1168: Haiti - Zweifel an der Rolle der UN-Sicherheitskräfte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Oktober 2010

Haiti: Zweifel an der Rolle der UN-Sicherheitskräfte - Mandatsverlängerung umstritten

Von Haider Rizvi


New York, 20. Oktober (IPS) - Nach den jüngsten Zusammenstößen zwischen UN-Soldaten und Demonstranten in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince ist erneut Zweifel an der Rolle der Vereinten Nationen beim Wiederaufbau des karibischen Inselstaats aufgekommen.

Berichten aus Haiti zufolge handelte es sich bei der Mehrheit der rund 60 Demonstranten um Obdachlose, die seit dem Erdbeben im Januar in provisorischen Flüchtlingslagern in der Hauptstadt Port-au-Prince untergebracht sind. Organisiert hatten die Proteste vom 15. Oktober die Mitglieder einer pro-demokratischen Gruppierung, die mit der Mandatsverlängerung der 12.000 Mann starken UN-Stabilisierungsmission MINUSTAH um ein weiteres Jahr nicht einverstanden ist.

Angesprochen auf die Zusammenstöße zwischen UN-Truppen und Zivilisten antwortete der UN-Sprecher Farhan Haq: "Wir stehen hinter dem Recht der Menschen, friedlich zu demonstrieren." Blauhelme wüssten auch schwierige Situationen prinzipiell friedlich zu lösen.

Das gelte offenbar nicht für den 15. Oktober, meinte Dan Beeton vom 'Center for Economic and Policy Research' mit Sitz in Washington. "Die Vereinten Nationen sollten die Menschenrechte schützen statt gegen sie zu verstoßen und in erster Linie dafür sorgen, dass in den Flüchtlingslagern Vergewaltigungen und andere Formen der Gewalt gegen Frauen verhindert werden."


Als Besatzer wahrgenommen

Die MINUSTAH ist seit 2004, der Absetzung des damaligen Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide 2004 mit Unterstützung des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, vor Ort. Die Blauhelme werden von den Haitianern weniger als Schutz- denn als Besatzungstruppen wahrgenommen. Ebenso unbeliebt ist auch die haitianische Polizei.

Augenzeugen der Zusammenstöße am 15. Oktober berichteten, dass die haitianischen Sicherheitskräfte mit Gewehrkolben auf Demonstranten, Journalisten und einige ausländische Korrespondenten eingedroschen hätten. Ein Polizist wurde dabei beobachtet, wie er mit seinem Gewehr einem Demonstranten die Zähne ausschlug.

In einer Mitteilung der Rechtshilfeorganisation 'Bureau des Avocats Internationaux' hieß es, dass für eine ineffektive Mission wie die MINUSTAH viel Geld verschwendet werde. Die Menschen wünschten sich "wirkliche Hilfe und nicht die Neuauflage einer militärischen Besatzungstruppe", für allein in diesem Jahr 380 Millionen US-Dollar bereitgestellt wurden.

Bereits im Juli 2005 hatten die UN-Blauhelme negative Schlagzeilen gemacht, als sie äußerst aggressiv gegen Mitglieder der Pro-Demokratie-Bewegung vorgegangen waren und diese als "Gangster" verunglimpft hatten. Die UN-Soldaten setzten damals Hubschrauber, Panzer, Maschinengewehre und Tränengas gegen friedliche Bürger an.

Der jüngste Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten erfolgte wenige Wochen vor den für den 28. November anberaumten Wahlen. Beobachtern zufolge hegen viele Haitianer Zweifel an der Neutralität der Übergangsregierung, die 28 politische Parteien von der Teilnahme der Wahlen ausgeschlossen hat. Das Verbot gilt auch für die populäre Lavalas-Partei des ehemaligen Präsidenten Aristide, der sich derzeit im südafrikanischen Exil befindet.


Zweifel an fairen Wahlen

Inzwischen hat sich auch eine Gruppe US-amerikanischer Gesetzgeber zu Wort gemeldet und die Haiti-Politik der US-Regierung kritisiert. So stellten 45 Kongressmitglieder in einem Brief an US-Außenministerin die Glaubwürdigkeit der bevorstehenden Wahlen in Frage. Dass zwei Dutzend Parteien nicht zu den kommenden Wahlen zugelassen seien, unterminiere das Wahlrecht der Haitianer.

Alle in Frage kommenden politischen Parteien müssten wählbar sein und alle Haitianer inklusive die Vertriebenen wählen können, hieß es in dem Brief. Haiti benötige gerade nach dem Beben im Januar, das eine halbe Million Menschen obdachlos gemacht und 200.000 Menschen getötet hat, eine starke und repräsentative Regierung.

Dan Beeton hält die derzeitige Haiti-Politik der US-Regierung für genauso bedenklich wie die von 2004, als Aristide als Präsident abgesetzt wurde. "Warum finanzieren die USA diese Wahlen, wenn sie davon ausgehen, dass sie gefälscht sein werden?", fragte er. "Dass vielen Haitianern der Zugang zu den Urnen versperrt sein wird, ist offenbar ein Problem, dass die haitianische Regierung oder die internationale Gemeinschaft offensichtlich nicht angehen wollen."(Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minustah/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53219

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010