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LATEINAMERIKA/1167: Peru - Zwangssterilisierte indigene Frauen wollen neuen Prozess (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Oktober 2010

Peru: Zwangssterilisierte indigene Frauen wollen neuen Prozess

Von Ángel Páez


Lima, 20. Oktober (IPS) - "Als ich wieder zu mir kam, war ich an Armen und Beinen ans Bett gefesselt, unfähig mich zu bewegen. Ich sah nur, dass ich genäht wurde. 'Was habt ihr mit mir getan?', schrie ich." Nach offiziellen Angaben sind wie Sabina Huilca 300.000 Frauen, vor allem Bäuerinnen, indigene und arme Frauen, während der Regierungszeit von Alberto Fujimori (1990-2000) sterilisiert worden, mindestens 2.074 gegen ihren Willen, wie Unterlagen des staatlichen Menschenrechtsbüros belegen.

Dennoch lehnte am 26. Mai 2009 der für Menschenrechtsvergehen zuständige Staatsanwalt Jaime Schwartz eine Klage gegen vier ehemalige Minister des Fujimori-Regimes ab. Die Begründung: Die Fälle seien als Vergehen gegen Leib, Leben und Gesundheit und als fahrlässige Tötung zu bewerten und somit verjährt. Obwohl die Klage auf Völkermord und Folter lautete und Menschenrechtsorganisationen gegen die richterliche Entscheidung Beschwerde einreichten, wurde das Urteil von der Staatsanwaltschaft bestätigt.


Vereinigung aus Anta will neuen Prozess

Die Vereinigung zwangssterilisierter Frauen von Anta, einer Andenprovinz im südperuanischen Departments Cusco, will nun mit einer neuerlichen Klage gegen die Straflosigkeit vorgehen, indem sie sich auf die Verantwortlichen der Familienplanungspolitik der letzten vier Jahre des Fujimori-Regimes konzentriert. Rückendeckung erhalten die Frauen von der Quechua-sprachigen Abgeordneten Hilaria Supa, die selbst aus Anta stammt und eine Tochter hat, die ebenfalls zwangssterilisiert wurde.

Die Vereinigung betroffener Frauen hat Zeugenaussagen von 100 Bäuerinnen zusammengetragen, in denen die Frauen schildern, was sich hinter dem trügerischen Namen 'Nationales Programm für reproduktive Gesundheit und Familienplanung' verbarg, das der Ex-Präsident durchsetzte und als Maßnahme zur Armutsbekämpfung präsentierte. Fujimori verbüßt wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen gegenwärtig eine Haftstrafe von 25 Jahren.


Operation wider Willen

"Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag, dem 24. August 1996, an dem sie mich gegen meinen Willen sterilisierten. Noch heute leide ich unter der Behandlung von damals", erzählt Sabina Huilca. Sie gehört zu den Frauen, die als Zeuginnen aussagen werden, damit die Drahtzieher und Ausführenden des Programms rechtlich belangt werden können.

Nachdem Huilca ihre vierte Tochter geboren hatte, machte sie sich auf dem Weg zum Gesundheitszentrum in Izcuchaca. Im Anschluss an medizinische Untersuchungen riet man ihr, sich einer "freiwilligen chirurgischen Verhütungsmaßnahme zu unterziehen". Noch während sich Huilca auf einer Liege ausruhte, gab ihr eine Krankenschwester eine Injektion.

"Man sagte mir nicht, dass es sich um eine Narkosespritze handelte", berichtet die 41-Jährige aus Huayllaccocha, einem Dorf, das mehrere Fälle von Zwangssterilisationen zu beklagen hat. Als sie aufwachte, war sie an Armen und Beinen fixiert und erlebte nur noch das Ende eines Alptraums, der sie bis heute belastet. Der Arzt habe damals nur "Wir sind gleich fertig" gesagt, erinnert sie sich. "Ich begann zu weinen und schrie 'Ich will das nicht, ich will das nicht!', aber da war ja schon alles zu spät." Damals war Huilca 28 Jahre alt.


Exilierte Anwältin unterstützt neues Verfahren

'Nichts Persönliches' lautet der Titel eines bereits 1998 veröffentlichten Forschungsberichts, den die Anwältin Giulia Tamayo im Auftrag der peruanischen Abteilung des Komitees für die Verteidigung von Frauenrechten in Lateinamerika und der Karibik (Cladem) verfasst hatte. Der Bericht zeigte erstmals auf, dass die Sterilisationen systematisch und vor allem an armen Frauen, Bäuerinnen und indigenen Frauen durchgeführt worden waren.

Die Anwältin sah sich aufgrund ihrer Enthüllungen aus Sicherheitsgründen gezwungen, das Land zu verlassen. Jetzt unterstützt sie von Spanien aus die Frauen aus Anta bei ihrer neuerlichen Klage. Die Verantwortlichen der Zwangssterilisation sollen einzeln wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Folter angeklagt werden, so Tamayo.

"In Anta sind die Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden von Haus zu Haus gegangen. Sie hatten 'Quoten' zu erfüllen", erläutert Tamayo. "Diejenigen, die sich dieses Programm ausgedacht haben, legten ihre Ziele mit einer abscheulichen Präzision fest."


Staat ignoriert Auflagen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission

Die Machtstrukturen, die Drahtzieher und Ausführende dieser Verbrechen bisher vor der Strafverfolgung bewahrt hätten, bestünden bis heute fort, erklärt Tamayo. "Das bedeutet eine kontinuierliche Verletzung der Menschenrechte jener Frauen, die von den massenhaften Zwangssterilisierungen betroffen sind", so die Anwältin.

Im Fall der Bäuerin Mamérita Mestanza, die 1998 an den Folgen einer Zwangssterilisierung starb, kam es 2003 zu einer gütlichen Einigung zwischen der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte CIDH und dem peruanischen Staat. Der Staat akzeptierte seine Verantwortung, räumte Missbrauchsfälle bei der Durchführung des Programms für Familienplanung ein und verpflichtete sich dazu, die Vorfälle zu untersuchen, die Täter vor Gericht zu stellen und Entschädigungszahlungen für die Familie Mestanza zu zahlen.

Doch das Innenministerium verschleppte die Untersuchungen, die dann durch das Urteil von Richter Schwartz hinfällig wurden. Einer der Beschuldigten, der ehemalige Gesundheitsminister und Hausarzt von Ex-Präsident Fujimori, zog im Jahr 2006 als Abgeordneter ins Parlament ein, dem er seit Juli dieses Jahres als Präsident vorsteht.

Die vermeintlichen Täter und Hintermänner der Zwangssterilisationen sollen nun auch wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden, da die Eingriffe zur Abschreckungsstrategie des Militärs während des peruanischen Bürgerkriegs von 1980 bis 2000 gehörten, wie die Anwältin Tamayo erläutert. Die Einstufung als internationales Verbrechen erlaube zudem, "dass auch andere Staaten den Fall vor Gericht bringen können, wenn die Täter im eigenen Land weiterhin protegiert werden".


Frausein und Würde zerstört

"Sie haben in mir die Frau zerstört. Ich konnte seitdem meine kleinen Kinder nicht mehr tragen, keine Feldarbeit verrichten, von der wir schließlich leben. Und selbst beim Kochen verspüre ich schlimme Schmerzen", schildert sie die Auswirkungen dieser Behandlung auf ihren Alltag.

"Das Laufen fällt mir schwer, mein Leben ist ein Trauerspiel. In meiner Gemeinde werde ich wie eine Behinderte behandelt. Eine Frau, die nicht arbeitet, ist sehr schlecht angesehen", erklärt Huilca. Doch am Schlimmsten findet sie, dass einer der verantwortlichen Ärzte noch immer in der Ambulanz von Izcuchaca arbeitet. "Wenn ich ihn sehe, werde ich sehr wütend, denn ihm ist nichts geschehen". (Ende/IPS/beh/2010)


Links:
http://www.cladem.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96657

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010