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LATEINAMERIKA/1132: Kolumbien - Haftstrafen für Gefolgsleute von Ex-Präsident Uribe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. September 2010

Kolumbien: Erschlichene Wiederwahl - Haftstrafen für Gefolgsleute von Ex-Präsident Uribe

Von Helda Martínez


Bogotá, 8. September (IPS) - In Kolumbien hat der Skandal um die erkaufte zweite und erfolglos betriebene dritte Amtszeit des ehemaligen Staatschefs Ãlvaro Uribe eine Lawine von Gerichtsverfahren losgetreten. Die Affäre hat bereits etlichen Gefolgsleuten des Ex-Präsidenten Haftstrafen eingebracht und ist noch längst nicht ausgestanden.

"Der Gerechtigkeit wird nun Genüge getan", sagte Germán Navas von der Oppositionspartei Demokratischer Alternativer Pol, im Gespräch mit IPS. Navas gehört zu denjenigen Abgeordneten, die die ehemalige Parlamentarierin Yidis Medina 2004 bei den Rechtsinstitutionen des Landes wegen Bestechung angezeigt hatten. Inzwischen steht außer Frage, dass sich Medina schmieren ließ und damit die zweite Kandidatur Uribes und seine Wiederwahl 20006 möglich machte.

Der dritte Versuch, über ein vom Parlament abgesegnetes Referendum eine weitere Amtszeit zu erwirken, scheiterte jedoch an einer Entscheidung des Verfassungsgerichts. Inzwischen musste Uribe seinem Amtsnachfolger Platz machen: Seit dem 7. August ist Juan Manuel Santos neuer Präsident Kolumbiens.

Medina war im Mai 2004 als dreimonatiger Ersatz für Iván Díaz ins Zwei-Kammer-Parlament eingezogen. Díaz hatte dem Ausschuss des Repräsentantenhauses angehört, der über die Möglichkeit einer Wiederwahl des Präsidenten zu befinden hatte. Eine solche Option war nach kolumbianischem Recht bis dato nicht vorgesehen.

Medina gehörte zunächst zu den Gegnern einer weiteren Kandidatur Uribes, knickte aber in allerletzter Minute ein, wie Navas berichtet, der entscheidend zur Klärung der Bestechungsaffäre beigetragen hatte. Die Abgeordnete begründete ihren Gesinnungswandel mit sozialen Investitionen, die Uribe für den Fall einer fortgesetzten Amtszeit ihrem Heimatort Barrancabermeja in Aussicht gestellt hatte.

Barrancabermeja ist eine Erdölgemeinde im nordkolumbianischen Departement Santander, die besonders vom Bürgerkrieg zwischen linker Guerilla auf der einen und ultrarechten Paramilitärs und Regierungstruppen auf der anderen Seite aufgerieben wird.


Bei Parlamentsentscheidung getrickst

Mit Medinas Stimme unterlagen die Gegner einer erneuten Kandidatur äußerst knapp mit 17 zu 35 Stimmen. Navas und andere Abgeordneter reichten daraufhin beim Staatsrat, dem Obersten Gerichtshof und der Generalstaatsanwaltschaft Beschwerde ein. Die Abgeordnete wies die Anschuldigungen jedoch zurück und konnte sich erfolgreich einer Strafverfolgung entziehen.

Aus Angst, einem Anschlag zum Opfer zu fallen, hinterlegte die Politikerin eine Zeugenaussage zum Fall beim Leiter der Nachrichtensendung 'Uno', Daniel Coronell. Dieser musste sich dazu verpflichten, die Aufzeichnung nur im Ernstfall oder nach der ausdrücklichen Genehmigung Medinas zu veröffentlichten.

Noch die Wahrheit kam schließlich unfreiwillig durch ein Buchprojekt ans Licht. So wollte der Journalist Alfredo Serrano eine Biografie über die Abgeordnete schreiben und über die Zeitung 'El Espectador' bewerben lassen. Das Blatt brachte das Projekt auf der Titelseite, was wiederum Coronell veranlasste, die ihm anvertraute Zeugenaussage zu publizieren.

Bestrebt, das drohende Unheil abzuwehren, veröffentlichte das Präsidialamt daraufhin eine Mitteilung, in der Coronell und Medina als Drahtzieher eines Komplotts gegen Uribe bezichtigt wurden. Medina, dem Druck kaum noch gewachsen, wandte sich daraufhin an den Anwalt Ramón Ballesteros, der ihre Verteidigung allerdings von der Vorlage sämtlicher Belastungsunterlagen abhängig machte.


Kriminelle Handlungen "perfekt archiviert"

"Yidis Medina schleppte zwei Koffer mit Dokumenten an, die sämtliche Beweismittel für ein perfekt archiviertes Delikt enthielten", berichtete der Jurist im IPS-Gespräch. Unter den Dokumenten befanden sich die Lebensläufe von Personen, die sich für die Wiederwahl Uribes engagiert hatten und mit einem öffentlichen Amt belohnt werden sollten. Auch Kopien ihrer Ernennungsunterlagen, Dankesschreiben, Blankoschecks und undatierte Rücktrittserklärungen lagen bei.

Ballesteros händigte die Unterlagen der Generalstaatsanwaltschaft aus. Während ihrer Vernehmung offenbarte Medina weitere, für die Ermittlungen des Obersten Gerichtshofs (CSJ) nützliche Details. 2008 verurteilte der CSJ die ehemalige Abgeordnete wegen Bestechlichkeit zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis.

Auch leiteten Staatsanwaltschaft und CSJ Untersuchungen gegen den ehemaligen Präsidialamtssekretär Alberto Velásquez, dessen Amtsnachfolger Bernardo Moreno, den damaligen Sozialminister Diego Palacios und den ehemaligen Innen- und Justizminister Sabas Pretelt ein. Ebenfalls ins Visier der kolumbianischen Justizbehörden geriet Teodolindo Avendaño, ein Abgeordneter, der der entscheidenden Parlamentsabstimmung ferngeblieben war und inzwischen eine achtjährige Gefängnisstrafe absitzt.

Die Fortschritte bei den Ermittlungen führten am 24. August dazu, dass der ehemalige Minister Pretelt von allen seinen öffentlichen Ämtern enthoben und als Botschafter aus Italien abberufen wurde. Er habe unter Uribe seinen Ministerposten missbraucht, um die unredlichen Angebote zu unterbreiten, die Uribe die Wiederwahl ermöglichen sollten, so der Abgeordnete Navas.


Von langer Hand geplant

Zweieinhalb Jahre hatten Uribes Gefolgsleute versucht, ihrem populären Präsidenten eine dritte Amtszeit zu verschaffen. "Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf, die Staatsanwaltschaft ermittelt", kommentierte der Anwalt Ballesteros. So werde es auch für Guillermo Giraldo immer enger, der sich für das Referendum für Uribes Wiederwahl eingesetzt hatte. Die 'Vereinigung Kolumbien Zuerst', die das Projekt vorangetrieben und die dafür verwendeten Finanzmittel verwaltet hatte, befindet sich bereits seit 2008 im Fadenkreuz der Ermittler.

Giraldo hatte die Vorwürfe gegen sich und weitere sieben Mitglieder von Kolumbien Zuerst bestritten. Zu Beginn des Prozesses zeigte er sich dann jedoch geständig, nachdem ihm eine Reduzierung der Strafe auf 54 Monate unter Hausarrest in Aussicht gestellt wurde. Der Deal wurde jedoch später vom Obersten Gerichtshof Bogotás als unzulässig abgelehnt. (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2010