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LATEINAMERIKA/1097: Mexiko - Friedenskarawane unter Beschuß (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 62
JUNI-JULI-AUGUST 2010

Friedenskarawane unter Beschuss

Von Katya Buchleitner


Tödlicher Kugelhagel stoppte am 27. April in der mexikanischen Provinz Oaxaca 25 FriedensaktivistInnen auf ihrem Weg in das Zentrum der indigenen Gruppe der Triqui, San Juan Copala. Der Vorfall fand in den internationalen Medien keine Beachtung. Vor Ort recherchierte Katya Buchleitner für planet.


Seit Ende 2009 wird das Dorf San Juan Copala - in der Region Mixteca, im Bundesstaat Oaxaca - von bewaffneten Truppen belagert und vom Zugang zu Nahrungsmitteln und Medizin abgeschnitten. Elektrische Leitungen sind seit Monaten lahmgelegt und die Zulieferung von Nutzwasser wird verhindert. Zudem werden zu jeder Tages- und Nachtzeit Schüsse von den umliegenden Bergen auf Gebäude sowie auf Menschen, die sich zu Alltagsverrichtungen aus ihren Häusern wagen, abgefeuert.


Jahrzehntelange Gewaltspirale

Die Triqui, eine ethnische Minderheit in einer Region mit mehrheitlich Mixteken und Nachkommen Europäischer Kolonisatoren, kämpft seit langem um ihr kulturelles Erbe. Seit ihnen Mitte des 20. Jahrhunderts der Status eines eigenen Bezirks entzogen wurde, leben sie auf drei mixtekische Bezirke aufgeteilt. Das Fehlen einer eigenen politischen Institution zur Vertretung ihrer Rechte und Interessen verschärft den aktuellen Konflikt.

Die Triqui selbst sind in drei bewaffnete Konfliktparteien gespalten, welche die Region kontrollieren: MULT, UBISORT und MULT-I. Die Regierung von Oaxaca trägt mittels Korruption und Gewaltandrohungen wesentlich zur Spaltung bei.

MULT, die Bewegung der Vereinigung des Kampfes Triqui, wurde in den 1970er Jahren gegründet. Mit linkem Diskurs und indigenen Landforderungen schlossen sie sich in den 1990ern der Zapatistischen Bewegung an. Heute wird ihnen Korruption und Komplizenschaft mit der seit über 80 Jahren in Oaxaca regierenden Partei PRI (Partido Revolucionario Institucional/Institutionelle Partei der Revolution) vorgeworfen.

UBISORT wurde in den 1990ern in Oaxaca gegründet, als die mexikanische Regierung den Einfluss der zapatistischen Bewegung aus Chiapas auf die angrenzenden Bundesstaaten befürchtete. UBISORT, die Einheit für das soziale Wohl der Region Triqui, ist eine schwer bewaffnete Gruppe von Paramilitärs, die von der Partei PRI mitfinanziert wird. Die Regierung allerdings leugnet jegliche Existenz paramilitärischer Truppen in Mexiko.

MULT-I entstand 2006 mit dem Ziel, die Anliegen der Triqui selbst zu verwalten, dem Mächtespiel der politischen Parteien ein Ende zu setzen und sich stattdessen als Autonome Gemeinde zu organisieren.

Sowohl Mitglieder der MULT als auch UBISORT traten zu MULT-I über, die sich seither als Unabhängige Bewegung der Vereinigung des Kampfes Triqui versteht.

UBISORT und MULT umzingeln San Juan Copala seit sechs Monaten, um die etwa 100 Familien des Dorfes, das sich schließlich 2007 zur Autonomen Gemeinde erklärte, zu zermürben.

Die Friedenskarawane hatte den Belagerungsring durchbrechen, Lebensmittel in die Gemeinde bringen und sich ein Bild von der Situation im Ort machen wollen. Vor dem Start der Karawane hatte der Leiter der UBISORT, Refino Juárez, offen gedroht, dass niemand lebend nach Copala hinein oder heraus kommen werde. Tatsächlich geriet die Friedenskarawane, noch bevor sie San Juan Copala erreichen konnte, unter Beschuss. Beatriz Alberta Cariño, Aktivistin der NGO CACTUS, und der finnische Menschenrechtsbeobachter Jyuri Jaakkola wurden bei diesem Angriff getötet. Viele weitere der internationalen BeobachterInnen, AktivistInnen und ReporterInnen erlitten Schusswunden, Streifschüsse oder schwere Traumata.


30 Tote seit November 2009

Die PRI und andere Parteien, fürchten um ihre politische Macht in dieser Region, daher will die Regierung weitere autonom regierte Gemeinden verhindern, vor allem, wenn jene in rohstoffreichen Gegenden liegen wie dies in Chiapas und Oaxaca der Fall ist. Zudem geht es in diesem Konflikt um staatliche Förderungen, die der Region zustehen würden, allerdings in den Taschen korrupter Politiker verschwinden.

Über die Konsequenzen jener als friedliche Solidaritätsaktion auf Seiten der Autonomen Gemeinde geplanten Karawane wird seither in Oaxaca heftig debattiert. Einseitige, von außen kommende Unterstützung für eine der drei Konfliktparteien, wird argumentiert, treibe weitere Keile in die Bevölkerung.

Die Position der Regierung von Oaxaca, es handle sich um einen innerethnischen Konflikt, ignoriert die Verantwortung für die vom Staat begangenen Gewalttaten in den letzten Jahrzehnten. Ebenso ignoriert eine Romantisierung der unterdrückten Triquis diverse interne Fehden.


Wut über Ohnmacht

San Juan Copala ist nur eines von vielen Beispielen für die vom Staat Mexiko legitimierte Repression gegen den Kampf um Selbstbestimmung. In diesen Tagen gehen Gewerkschaften von ArbeiterInnen im Bergbau- und Elektrizitätssektor, Personal im Bereich Medizin und Gesundheit sowie LehrerInnen zu Tausenden auf die Straße.

In diesem Kontext wird am 4. Juli in Oaxaca und acht weiteren Bundesstaaten gewählt. Die Bevölkerung wirkt desillusioniert: zu viele gebrochene Versprechen, zu offensichtliche Korruption und zu häufige Beispiele von staatlicher Gewalt. Bereits 2006 versuchte eine soziale Bewegung den ungeliebten Gouverneur Ulises Ruiz abzusetzen und scheiterte. Dieser befindet sich trotz eines Gerichtsurteils des Obersten Verfassungsgerichts, das ihn für schuldig erklärt, seinen Gouverneurspflichten nicht nachgekommen zu sein und eine Mitschuld am Tod von zwölf Lehrern zu tragen, die während des Aufstandes im Jahr 2006 umgekommen waren, noch an der Macht. Der Zorn von damals könnte für diese Wahl ausschlaggebend sein.

Die Atmosphäre in Oaxaca ist angespannt. Das wird so bleiben, solange die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen denjenigen mit (Menschen)Rechten und jenen, für die es keine zu geben scheint, weiter zunimmt.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 62,
Juni-Juli-August 2010, S. 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2010