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LATEINAMERIKA/1059: Honduras - Putsch im Morgengrauen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 109, 3/09

Putsch im Morgengrauen
Der Umsturz in Honduras und seine Auswirkungen auf Aktivistinnen

Von Nela Perle


Der Ende Juni des Jahres geputschte honduranische Präsident Zelaya brachte mit seiner Sozialpolitik große Teile der Bevölkerung auf seine Seite, darunter auch viele Frauen. Unternehmerschaft und Militärs stellten sich aber gegen seine Reformpolitik und veranstalteten schließlich einen gewaltsamen Putsch, gefolgt von Repressionen. Im Folgenden ein Bericht über die Auswirkungen dieses Putsches auf Frauenorganisationen.


Am frühen Morgen des 28. Juni 2009 wurde der honduranische Präsident Manuel Zelaya von Militärangehörigen mit Waffengewalt gezwungen, die Präsidentenmaschine zu besteigen und nach Costa Rica ins Zwangsexil zu gehen.(1)


Widerstand

Die Situation in dem mittelamerikanischen Land, das v.a. von Exporten aus der Textil- und Bananenindustrie lebt und in dem mehr als 60% Bevölkerung extrem arm sind, ist dramatisch. In den ersten Tagen nach dem Putsch kam es zu Massenverhaftungen im ganzen Land, zu Verfolgung, Misshandlung und Todesdrohungen gegen AnhängerInnen Zelayas, Ausgangssperre und Einschränkung der Pressefreiheit. Bisher ist von acht Todesopfern während der Demonstrationen die Rede, die Zahl der als "Alltagsmorde" vertuschten politischen Morde der letzen Wochen ist nicht bekannt.

Eine Zeugin schildert VertreterInnen des Lateinamerikanischen Kirchenrats CLAI, die nach Honduras gereist waren, um sich vor Ort ein Bild zu machen: "Viele Frauen, die in der Region Comayagua in den Widerstand gingen, wurden verhaftet und misshandelt, einige konnten über die Flüsse und Berge fliehen. Mehr als 100 Frauen wurden in eine winzige Zelle gesteckt. Sie wurden geschlagen, ihnen wurden Arme, Kiefer gebrochen, ihnen wurden die Kleider genommen, sie blieben nackt zwischen Männern."

V.a. VertreterInnen von Sozialorganisationen und Gewerkschaften sind Zielscheiben der Militärs und Polizei. Iris Mungía, führende Gewerkschafterin von Cosibah, der Föderation der BananenarbeiterInnengewerkschaften Honduras', wurde mit dutzenden weiteren Personen verhaftet, als sie in San Pedro Sula, der zweitgrößten Stadt des Landes und Zentrum der umliegenden Maquilaindustrie, an einer Demonstration teilnahm, um die Rückkehr des verfassungsmäßigen Präsidenten zu fordern, In der Zwischenzeit wieder in Freiheit, ist Mungía eine der vielen Frauen, die maßgeblich den Widerstand gegen die neuen Machthaber organisieren.


Warum Frauen an vorderster Front?

Es gibt seit Jahren eine relativ starke feministische Bewegung in Honduras. Und obwohl viele der Aktivistinnen der Politik Zelayas gegenüber eine kritische Position einnehmen, steht fest: Ohne Demokratie kein Feminismus. Zelaya ist der gewählte Präsident und der Militärputsch ist ein dramatischer Angriff auf demokratische Strukturen. Ein anderer Grund liegt darin, dass unter Zelaya viele Frauen in die Gemeinde- und Stadtverwaltungen eingebunden wurden. Eine der ersten Maßnahmen der Putschisten war das Auswechseln des Zelaya positiv gesinnten Personals auf allen Ebenen der Staatsverwaltung. Dadurch verloren hunderte von Frauen ihren Job. Diese Frauen gehen natürlich mit doppelt geballter Kraft auf die Straße: Es geht um den Verlust der Demokratie und der Menschenrechte, aber auch konkret um den Verlust ihrer Lebensgrundlagen.

Die Frauenorganisationen der Zona Norte, wo ein großer Teil der Maquilabetriebe des Landes angesiedelt ist, rufen geschlossen und lautstark zu zivilem Ungehorsam gegen die unrechtmäßige Regierung des neuen Präsidenten Micheletti und zum friedlichen Widerstand gegen die brutale Unterdrückung auf. Das Zentrum für Frauenrechte CDM, deren Direktorin Yadira Minero erst im Februar dieses Jahres die Frauensolidarität in Wien besuchte, positioniert sich radikal zusammen mit COSIBAH, APOMUH, CODIMCA y CODEMUH, EMIH und anderen Fraueninitiativen gegen die neue Regierung: "Wir kämpfen nicht für eine Person und deren politische Projekte, sondern für das Recht der honduranischen Bevölkerung, frei über ihr Schicksal und das des Landes zu entscheiden." In ihrer gemeinsamen Erklärung verurteilen sie u.a. die Gewaltakte des Militärs, die Unterdrückung der Pressefreiheit und die Manipulation der Bevölkerung durch Regierung und Massenmedien. So organisieren die neuen Machthaber z.B. "Demonstrationen für Frieden und Demokratie", mit denen der Weltöffentlichkeit gezeigt werden soll, wie viele AnhängerInnen die neue Regierung hat, und in denen Zelaya und die im Widerstand organisierten HonduranerInnen als die Bösen verunglimpft werden. Maquilaarbeiterinnen berichten, dass sie unter Androhung der Entlassung gezwungen werden, weiß gekleidet an den Demonstrationen der Putsch-Regierung teilzunehmen.


In den Reihen von Chávez & Co

Manuel Zelaya, der vor dreieinhalb Jahren als Kandidat der Liberalen Partei zum Präsidenten gewählt wurde, hatte in der Sozialbewegung anfänglich viele KritikerInnen. Erst im Laufe der Amtszeit entwickelte er großes soziales Engagement und politische Nähe zu den führenden lateinamerikanischen linken Präsidenten wie Hugo Chávez und Evo Morales. Als er Maßnahmen wie die Anhebung vom Mindestlohn von monatlich 40 auf 289 Dollar, die Formalisierung der Arbeitsverhältnisse von Hausangestellten und kostenlose SchülerInnenausspeisung und Gratiseinschreibung an Schulen durchbrachte, gewann er viele Sympathien in der Bevölkerung. V.a. auch der Frauen, die von einigen Neuerungen besonders profitierten. Die konservativen Unternehmer des Landes und Teile seiner eigenen Parteikollegen brachte er damit aber gegen sich auf. Der Beitritt Honduras zu ALBA, dem Lateinamerikanischen Alternativen Pakt, unter der Federführung von Kuba und Venezuela tat sein übriges. Viele, die sich den Putschisten angeschlossen haben, argumentieren: "Zelaya war kein schlechter Präsident, aber er hält sich zu eng an Kuba und Venezuela. Wir wollen ein freies demokratisches Land und keine kommunistische Diktatur".

Tatsächlich stehen AmtskollegInnen und die internationale Öffentlichkeit mehr oder weniger geschlossen hinter dem gestürzten Präsidenten. Seine Rückkehr nach Honduras wird von vielen unterstützt. Zelaya versuchte mehrmals - zu seinem Schutz in Begleitung von lateinamerikanischen AmtskollegInnen - die Einreise nach Honduras. Die neuen Machthaber, die sich gegenüber internationalen Vermittlungsversuchen zumindest rhetorisch kompromissbereit zeigten, bleiben aber in diesem Punkt unnachgiebig.


Wer steckt dahinter

Micheletti, der einen Tag nach dem Putsch vom honduranischen Kongress gewählte Präsident, hat nicht nur das Militär und die mächtigsten Unternehmer des Landes auf seiner Seite. Auch Teile der Liberalen Partei selbst, deren Mitglied sowohl er als auch der geputschte Zelaya sind, haben den Putsch unterstützt, denn vielen Liberalen waren Zelayas soziale Maßnahmen und die Freundschaft mit Kuba, Venezuela und Bolivien ein Dorn im Auge. Die von Zelaya angestrebte Modernisierung und Demokratisierung der Verfassung ging ihnen zu weit, die Unternehmer des Landes fürchteten um ihre Macht. Wie groß die finanzielle und politische Macht der Handvoll Unternehmerfamilien des Landes ist, lässt sich ermessen, wenn sie dem neuen Machthaber öffentlich sagen: "Beugt euch nicht dem angedrohten wirtschaftlichen Boykott Europas und der Nachbarstaaten. Wir Unternehmer des Landes können das Land erhalten."


Anmerkung: (1) Eine besondere Rolle spielte in den Ereignissen um den Putsch das kleine mittelamerikanische Land Costa Rica: Zelaya wurde am Morgen des Putsches nach Costa Rica hinauskomplimentiert, ein paar Tage später nützte der costaricanische Präsident Arias sein längst verblasstes Friedensnobelpreisträgerimage, indem er - wie in den 1980er Jahren in der bügerkriegsgeschüttelten Region Mittelamerika - den Friedensvermittler zwischen Zelaya und Micheletti spielte. Dass das Friedensengagement von Oskar Arias, der in Costa Rica ohne Rücksicht auf soziale Spannungen neoliberale Wirtschaftspolitik propagiert und umsetzt, wenig mit der Verteidigung von Menschenrechten und viel mit Wirtschaftsinteressen zu tun hat, ist augenscheinlich, während Guatemala und Nicaragua in den Tagen nach dem Putsch die Grenzen zu Honduras dichtmachten und zum Wirtschaftsboykott gegen die neuen Machthaber aufriefen, waren in Costa Rica Menschenrechte und Demokratie zweitrangig: Arias lehnte den Boykott ab, da er der Wirtschaft schade und gegen den vor zwei Jahren ratifizierten Freihandelsvertrag CAFTA verstoße.


Webtipps:
www.colsibah.org
www.cawn.org
http://movimientos.org/


Zur Autorin:
Nela Perle lebt seit fünf Jahren in Costa Rica und arbeitet momentan bei CONGES, dem Konsortium zur Förderung der Sozialen Ökonomie


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 109, 3/2009, S. 32-33
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2009