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KANADA/002: Teuer aufrüsten und beim Umweltschutz sparen - Ottawas Prioritäten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. November 2011

Kanada: Teuer aufrüsten und beim Umweltschutz sparen - Ottawas Prioritäten

von Stephen Leahy


Uxbridge, Kanada, 11. November (IPS) - In Kanada ist Sparpolitik angesagt. Den Rotstift setzt die konservative Regierung von Ministerpräsident Stephen Harper vor allem bei bewährten, international angesehenen Forschungs- und Kontrolleinrichtungen zum Schutz der Umwelt sowie Programmen des kanadischen Umwelt- und des Fischereiministeriums an. In diesen Bereichen hat Ottawa die Fördermittel um mehr als 200 Millionen Dollar gekappt.

Verschont von dem rigiden Sparkurs wird hingegen der Rüstungssektor. Erst kürzlich hat die Regierung neue Schiffe für die Kriegsmarine und die Küstenwache im Gesamtwert von 32 Milliarden Dollar bestellt und der Luftwaffe 65 neue Kampfjets im Wert von 29 Milliarden Dollar zugesagt.

Besonders hart trifft der von Ottawa diktierte Sparkurs das renommierte 'Ozone Monitoring Network', das dem kanadischen Umweltministerium unterstellt ist und dessen Arbeit und Beobachtungsstationen vom britischen Wissenschaftsmagazin 'Nature' als Herzstück der Überwachung der Ozonschicht in der Arktis gelobt wurden. Es hatte im vergangenen Frühjahr das erste Ozonloch über Kanada entdeckt.

"Die angekündigten Sparmaßnahmen machen die weitere seriöse wissenschaftliche Arbeit des Netzwerkes praktisch unmöglich", warnte Thomas Duck, wissenschaftlicher Experte für Vorgänge in der Atmosphäre an der Dalhousie-Universität in Halifax in der Atlantikprovinz Nova Scotia.


Guter Ruf gefährdet

Auch Markus Rex vom Alfred Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Potsdam stellte fest: "Bei der Ozonforschung in der Arktis sind alle Nationen dringend auf die Beteiligung Kanadas angewiesen." Er sagte der Tageszeitung 'Ottawa Citizen': "Ein Rückzug Kanadas schadet nicht nur der internationalen Arbeit in diesem Forschungsbereich. Auch Kanadas Ansehen als verlässlicher Partner an internationalen Programmen wird durch diesen Schritt beschädigt."

So verliert das Netzwerk, auf dessen Arbeit Ozonforscher weltweit angewiesen sind, den einzigen Mitarbeiter, der das gesamte Archiv verwaltet. "Man hat ihm gekündigt", berichtete Duck. Er war einer der wenigen kanadischen Wissenschaftler, die bereit waren, gegenüber IPS Ottawas Sparmaßnahmen zu kommentieren. Wissenschaftliche Regierungsangestellte riskieren ihre Jobs, wenn sie ohne ausdrückliche Erlaubnis der Regierungskanzlei mit den Medien sprechen. Universitätsmitarbeiter befürchten den Verlust von Fördergeldern oder andere Repressalien.

Kanadas Umweltministerium, dessen Aufgaben in etwa denen der US-Umweltschutzbehörde (EOA) und der 'National Oceanic and Atmospheric Administration' (NOAA) in Washington entsprechen, hatte noch 2010 ein Budget von 1,07 Milliarden Dollar zur Verfügung. Nach einer Budgetkürzung für 2011/2012 um 20 Prozent muss es mit 854 Millionen Dollar auskommen. Der Personalbestand des Ministeriums soll um elf Prozent verringert werden. 776 Angestellte verlieren durch die Sparmaßnahmen ihre Jobs.

Nach den Budget- und Personaleinsparungen der vergangenen zehn Jahre sei Kanadas Umweltministerium an den Rand seiner Funktionsfähigkeit gelangt, kritisierte Duck.

Eine ähnlich negative Entwicklung zeichnet sich in dem für Fischerei und Wasserwirtschaft zuständigen Ministerium ab. Ihm untersteht der Schutz der Meere, der Großen Seen und der übrigen kanadischen Binnengewässer.

Auch Ottawas Förderprogramm für Universitäten, die Umweltwissenschaft betreiben, ist nahezu ausgeschöpft. Man rechnet damit, dass ihm Anfang nächsten Jahres das Geld ausgeht. Schon jetzt kehren kanadische Wissenschaftler scharenweise ihrem Land den Rücken. "Meine ausländischen Kollegen sind schockiert über das, was in Kanada geschieht", berichtete Duck. "Schließlich waren wir lange Vorreiter in der Umweltforschung."

Das so genannte Protokoll von Montréal zum Schutz der Ozonschicht von 1987 und die von Kanada organisierte erste hochrangig besetzte internationale Klimakonferenz in Toronto (1988) waren bedeutende Stationen des kanadischen Umwelt-Engagements. Auch die 1992 auf dem so genannten Erdgipfel in Rio de Janeiro verabschiedeten Resolutionen und die Umweltprogramme der Vereinten Nationen wurden von der politischen Führung Kanadas und den Kanadiern unterstützt.

Doch das ist lange her. Jetzt nimmt die um Defizitsenkung bemühte Regierung Harper genau die Programme ins Visier, die die Bevölkerung über den Zustand ihrer Umwelt und deren unmittelbaren Einfluss auf Gesundheit und Wohlergehen der Kanadier informieren sollen.


Totgespart

Kanadas zivilgesellschaftliche Organisationen machen schon seit Jahren ihre Erfahrungen mit Repressalien von Seiten der Regierung. Das 'Canadian Environmental Network' (RCEN) etwa hatte sich mit seiner Arbeit 34 Jahre lang erfolgreich zwischen den Anforderungen der Regierung und den Bedürfnissen seiner ihm angeschlossenen über 650 Gruppen bewegt und diente beiden Seiten als interaktives Kommunikationsforum in Sachen Umwelt. Jetzt ist damit Schluss. Die seit sechs Monaten erwarteten jährlichen Fördermittel von 536.000 Dollar blieben aus und werden für immer eingespart. Die Regierung begründete ihre Entscheidung mit dem Hinweis, online koste die bisherige Arbeit weniger.

Schon mit Ministerpräsident Harpers erstem Amtsantritt 2006 habe das zivile 'Climate Action Network Canada' (CAN Canada) die bescheidene Förderung durch die Regierung verloren, berichtete die Umweltaktivistin Hannah McKinnon. Die Umweltorganisation, die von über 80 Nichtregierungsorganisationen unterstützt wird, versteht sich als Koordinator bei Umweltthemen und arbeitete früher zur Verbesserung einschlägiger Programme mit der Regierung zusammen.

"Die Kanadier machen sich wegen des Klimawandels große Sorgen und erwarten, dass ihre Regierung etwas unternimmt", erklärte McKinnon. Doch Ottawa werde nicht müde zu verkünden, die Wirtschaft habe Vorrang, Umweltschutz sei ohnehin zu kostspielig, klagte die Aktivistin. "Wenn die Regierung unbedingt das Defizit abbauen will, wie lassen sich dann ihre jährlichen Subventionen für die Öl- und Gasindustrie von umgerechnet 1,3 Milliarden US-Dollar rechtfertigen?"


Subventionen für profitable Öl- und Gasindustrie

Harper hatte schon 2009 das Ende dieser Subventionen versprochen. Seit Jahren fordern der Internationale Währungsfonds (IWF), die Internationale Energiebehörde (IEA), die Vereinten Nationen und zahlreiche andere Organisationen, die Öl- und Gaswirtschaft, den profitabelsten Industriesektor, nicht länger zu subventionieren.

"Kanada kann sich die Bezahlung von Wissenschaftlern angeblich nicht leisten, doch den Ölmultis füllt es die Taschen", stellte McKinnon fest. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://cen-rce.org/
http://climateactionnetwork.ca/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105773

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2011