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EUROPA/801: Spanien für Ausländer kein Traumziel mehr - Krise vernichtet viele Jobs (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2010

Migration: Spanien für Ausländer kein Traumziel mehr - Krise vernichtet viele Jobs

Von Clarinha Glock


Barcelona, 28. Juli (IPS) - Nach Barcelona kam Flávio José Carvalho der Liebe wegen. Seit fünf Jahren lebt der Brasilianer mit seiner Frau und zwei Kindern in der geschäftigen Hauptstadt Kataloniens. Ob die Familie auf Dauer in Spanien bleiben kann, ist allerdings unklar. Denn Carvalho sucht seit Monaten vergeblich nach Arbeit.

Der 39-Jährige, der in Brasilien Studienabschlüsse in Soziologie, Völkerkunde und Politologie erworben hat, musste sich nach seiner Ankunft in Spanien zunächst als Erntehelfer durchschlagen. Nachdem er im Hinterland fleißig Weintrauben gepflückt hatte, fand er anspruchsvollere Jobs, die allerdings immer befristet waren. Im April lief sein letzter Vertrag aus, und die weiteren Aussichten sind düster.

Die zweite Welle der globalen Finanzkrise hat in Spanien Tausende Arbeitsplätze vernichtet. In dem Land mit rund 47 Millionen Einwohnern tauchten Ende Juni fast vier Millionen in der Erwerbslosenstatistik auf. Das entspricht etwa 20 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung.

Nach Angaben der Regierung in Madrid liegt die Arbeitslosenrate damit um 11,7 Prozent höher als vor einem Jahr. Ausländer werden von dem Stellenabbau besonders hart getroffen. Die Zahl der nicht-spanischen Jobsuchenden ist im Vergleich zum Juni 2009 um mehr als 20 Prozent gestiegen.

Da Carvalho bald kein Arbeitslosengeld mehr erhalten wird, denkt die Familie über eine Rückkehr in die Heimat nach. Dass ihm viele seiner Landsleute folgen werden, erwartet er nicht. "Ganz im Gegenteil", berichtete er. "Zahlreiche Brasilianer packen jetzt ihre Koffer, um nach Spanien zu kommen." Die heimische Währung Real sei so stabil, dass viele Menschen etwas sparen konnten, um anderswo ihr Glück zu versuchen.


Brasilianer fordern mehr Unterstützung von eigener Regierung

In Barcelona hat Carvalho Landsleute aus allen gesellschaftlichen Schichten getroffen. Der Soziologe ist Mitglied eines Netzwerks, das brasilianischen Einwanderern in Spanien unter anderem bei Behördengängen hilft. Er hofft, dass ihm seine Erfahrungen letztlich doch helfen werden, eine neue Stelle zu finden. Als Brasilianer ist schließlich seit langem daran gewöhnt, mit allerhand Krisen umzugehen.

Carvalho kritisiert allerdings, dass Brasilien seine im Ausland lebenden Bürger weitgehend im Stich lässt. "Die Regierung hat keine Ahnung davon, wie es uns hier geht." In Not geratene Brasilianer seien unter anderem auf Essensspenden des katholischen Hilfswerks Caritas angewiesen.

Laut dem Wissenschaftler Miguel Pajares von der Universität Barcelona belegt eine neue Studie, dass der Zustrom von Einwanderern nach Spanien nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 zwar nicht wesentlich abgenommen habe. Anders als in früheren Jahren kehrten aber mehr Menschen wieder in die Heimat zurück.

Zwischen 2000 und 2007 sei ein regelrechter Einwanderungsboom verzeichnet worden, heißt es in der vom Arbeitsministerium durchgeführten Untersuchung, die im August veröffentlicht werden soll. In dem Zeitraum ließen sich jährlich 600.000 bis 700.000 Ausländer in Spanien nieder.

2009 hätten allerdings etwa 400.000 Einwanderer das Land wieder verlassen, erklärte Pajares, der an der Studie mitgearbeitet hat. Sobald die Finanzkrise abgeflaut sei, könne man damit rechnen, dass wieder mehr Menschen von außerhalb Europas ihren Wohnsitz in der EU nehmen wollten. In Spanien werde sich dieser Trend aber wohl erst mit einer gewissen Verzögerung zeigen, meinte er. Denn die Arbeitslosenrate sei derzeit doppelt so hoch als der EU-Durchschnitt. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2010