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BASKENLAND/005: ETA gibt den bewaffneten Kampf auf (Ralf Streck)


ETA gibt den bewaffneten Kampf auf

von Ralf Streck, 21. Oktober 2011


Auf der internationalen Friedenskonferenz war dieser Schritt von der baskischen Untergrundorganisation gefordert worden. Nun geht es darum, dass auch Spanien und Frankreich ihren Beitrag zur Lösung des Konflikts leisten.

"ETA hat beschlossen, die bewaffneten Aktivitäten ein für alle Mal zu beenden." Das erklärten drei maskierte Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation in einer Videobotschaft, die am späten Donnerstag von den Tageszeitungen Gara und Berria veröffentlicht wurde. Die Erklärung wurde allseits erwartet, nachdem dieser Schritt am Montag auf der "Internationalen Friedenskonferenz" von ETA gefordert worden war. Auch der ehemalige Uno-Generalsekretär Kofi Annan hatte an der Konferenz im baskischen Donostia (span. San Sebastian) teilgenommen.

Als sich am Dienstag auch die linke Unabhängigkeitsbewegung uneingeschränkt hinter die "Erklärung von Aiete" stellte, war klar, dass ETA schnell handeln muss. Die baskische Linke hatte damit bekräftigt, dass die Unabhängigkeit eines vereinten und sozialistischen Baskenlands allein mit politischen und demokratischen Mitteln erreicht werden muss.

Nachdem ETA die Vorleistung erfüllt hat, geht es um die übrigen Punkte der Erklärung, die vom irischen Ex-Ministerpräsident Bertie Ahern verlesen wurde. Er sprach dabei auch für Kofi Annan, für den Vorsitzenden der irischen Sinn Féin-Partei Gerry Adams, für die norwegische Ex-Regierungschefin Gro Harlem Bruntland, den französischen Ex-Innen- und Verteidigungsminister Pierre Joxe und den britischen Ex-Chefunterhändler für den Nordirland-Konflikt Jonathan Powell. Sie hatten an Spanien und Frankreich appelliert, einen "Dialog" mit der ETA zu starten. Den fordert die nun auch ein, um eine "Lösung für die Konsequenzen des Konflikts und damit ein Ende des bewaffneten Konflikts" zu finden. Sie ruft die Basken auf, sich für "Frieden und Freiheit" einzusetzen, also für die "Anerkennung des Baskenlands und den Respekt vor dem Willen seiner Bevölkerung".

Auch die von den Vermittlern geforderte Versöhnung steht nun an. Denn "alle Opfer" und der "angerichtete Schmerz" auf beiden Seiten müsse anerkannt werden. Davon ist zum Beispiel der sozialdemokratische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero weit entfernt. "Wir werden eine Demokratie ohne Terrorismus haben", sagte er und sprach vom "Sieg von Demokratie, Gesetz und Vernunft". Man werde aber das Leid der Opfer des Terrors nicht vergessen. Er meint damit jedoch ausschliesslich die mehr als 800 Opfernder ETA in den letzten 50 Jahren.

Die Opfer der staatlichen Todesschwadrone (GAL), die sein Parteifreund Felipe González in den 1980er Jahren auf die Basken losließ, vergisst er. Und es gibt Tote durch "Sicherheitskräfte" auf Demonstrationen, Folteropfer, die illegal geschlossen Zeitungen, die Partei- und Organisationsverbote, die Flüchtlinge oder die Angehörigen der Gefangenen. Weil die 800 Gefangenen entgegen den geltenden Gesetzen weit entfernt vom Baskenland in spanischen und französischen Gefängnissen sitzen, müssen Freunde und Eltern erheblichen Aufwand und Kosten für die kurzen Besuche auf sich nehmen. Über zwanzig Angehörige sind auf den langen Reisen bei Autounfällen ums Leben gekommen.

Dass Spanien zur Anerkennung aller Opfer und zum Dialog wohl gezwungen werden muss, hat sich in den letzten Monaten deutlich gezeigt. So hatten Zapateros Sozialisten (PSOE) die Friedensbemühungen der baskischen Linken boykottiert und an der Konferenz nicht teilgenommen. Kürzlich wurden mit dem Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi und dem Ex-Chef der Gewerkschaft LAB zwei Initiatoren des Friedensprozesses als angebliche ETA-Chefs sogar zu zehn Jahren Haft verurteilt. Gerry Adams forderte nach der Erklärung der ETA denn auch die Relegalisierung der 2003 verbotenen Partei Batasuna (Einheit) und die Freilassung von Otegi und anderen Anführern der baskischen Linken.

Wie groß die Enttäuschung über die PSOE ist, machte niemand anders als der Präsident ihrer baskischen Sektion deutlich. Jesús Egiguren hatte gegen alle Widerstände stets auf einen Dialog gesetzt. Im Interview erklärte er, dass sich der Parteichef der baskischen PSE Patxi Lopez vollständig in dem Prozess "verbrennen müssen, um den Frieden zu erreichen". Doch statt wie Egiguren auf der Friedenskonferenz zu sein, wurde Lopez in den USA von der Nachricht überrascht und musste eilig den Heimweg antreten. "Ich bin total verärgert, denn in diesem Prozess bin ich auf wenig Verständnis in meiner Partei gestoßen", sagt Egiguren und resümiert. "Als Sozialisten haben wir eine Möglichkeit verpasst, dem Frieden eine Fahne zu geben."

Die postfaschistische Volkspartei (PP), deren Chef Mariano Rajoy nun von einer "guten Nachricht" spricht, hatte noch die Friedenskonferenz als "Propaganda für die ETA-Unterstützer" abgekanzelt. Rajoy, der alle Friedensbemühungen in acht Jahren als Oppositionsführer bekämpft hat, will das Thema aber nicht vollständig für die vorgezogenen Neuwahlen am 20. November aufgeben, bei denen er den dritten Anlauf nimmt. Er streicht deshalb heraus, dass Spanien erst dann beruhigt sein könne, wenn sich die ETA vollständig aufgelöst habe.

Der internationale Druck auf Madrid muss also noch deutlich zunehmen, damit diese historische Chance auf eine Friedenslösung genutzt werden kann. Noch vor der ETA-Erklärung haben sich allerdings auch der Ex-US-Präsident Jimmy Carter, der britische Ex-Premierminister Tony Blair und der US-Senator George Mitchell der Erklärung von Aiete angeschlossen. Eine Frage wird sein, ob Deutschland sich einbringt. Die Zeit dafür wäre reif, wenn Deutschland 2012 an die Zerstörung des baskischen Wahrzeichens Gernika erinnert wird, welche die Legion Condor vor 75 Jahren für Francos-Putschtruppen durchgeführt hat. Nun hätte Berlin die Möglichkeit, der historischen Verantwortung gerecht zu werden und könnte sich für einen gerechten Frieden einsetzen.


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Quelle:
© 2001 by Ralf Streck
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2011