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ASIEN/988: Chinas Führung - frauenfreie Zone (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 145, 3/18

Chinas Führung: frauenfreie Zone
Trotz Gleichberechtigung in der Verfassung bleibt der Staat ein Männerverein

von Astrid Lipinsky


Die Volksrepublik China hat sich seit ihrer Gründung als Ort erreichter Gleichberechtigung präsentiert. Was die politische Beteiligung von Frauen betrifft, hat sie dieses Versprechen nicht erfüllt.


In vielen asiatischen Staaten ist es selbstverständlich, eine Frau an der Spitze der Politik zu haben. Es gab sie in Indien (Indira Ghandi, Sonia Gandhi) oder in Korea (Park Geun-hye), und es gibt sie in Taiwan (Tsai Ying-wen). Tsai wurde 2016 direkt gewählt, wobei laut Umfragen bei ihrer Kandidatur und der Wahl für 56% der Wähler_innen ihr Geschlecht keine Rolle spielte.

Die Reaktion aus der Volksrepublik China zeigt, dass der dortigen Gesellschaft und politischen Führung diese Selbstverständlichkeit fehlt: Major General Wang Weixing kommentierte in einer offiziellen chinesischen Zeitung die Wahl von Tsai als Fehler, weil Frauen biologisch (aufgrund ihrer Menstruation) "instabil" seien, extremistisch und emotional, und nicht führen könnten. Außerdem, so Wang, sei Tsai ja noch nicht einmal verheiratet und "ohne Familie und Kinder" zwangsläufig radikal. Der Artikel führte sogar in China zu Protesten und wurde nach kurzer Zeit gelöscht. Dabei dürfte er die Meinung der allermeisten Chines_innen wiedergegeben haben.


Die Hälfte des Himmels?

Mao Zedong versprach den Chinesinnen "die Hälfte des Himmels", aber im neu gewählten 12. Nationalen Volkskongress (Februar 2018) liegt der Frauenanteil bei 24,9% - gegenüber dem 11. Volkskongress eine Steigerung von 1,5% und weltweit gesehen Rang 70 von 188 Ländern. Taiwan hat im Januar 2018 ebenfalls gewählt und nun einen Frauenanteil von 38%. Im weltweiten Vergleich würde das Belgien und Rang 20 entsprechen - besser als Deutschland (30,7%, Rang 46) oder Österreich (35,52%, Rang 30), und es ist der höchste Anteil von Parlamentarierinnen in Asien. Im asiatischen Vergleich ist China sogar "gut" oder jedenfalls besser als Japan (10,1%, Rang 158, derselbe wie Ungarn) und Südkorea (17%, Platz 117) positioniert.

China hat eine Reihe von Frauengesetzen und - schließlich ist China ein sozialistischer Staat - einen Nationalen Plan Frauen und Entwicklung (2011-2020). Der aktuelle Plan befindet, dass die Ziele des vergangenen Zehnjahresplans im Großen und Ganzen erreicht wurden - auch die Förderung von Frauen in Führungspositionen. Diese ist somit auch nicht mehr Teil des neuen Plans, obwohl es auch heuer keine Frauen in Führungsämtern gibt, weder national noch lokal.


Quote?

Was tun? Die erste Verfassung Chinas, jene der Republik China von 1947, die heute noch in Taiwan gilt, hatte eine Frauenquote. Vor der Staatsgründung hatten die kommunistischen Basisgebiete noch Frauenquoten mit dem dezidierten Ziel, Frauen zum Mitregieren zu ermuntern.

In der 1949 gegründeten Volksrepublik China wäre, sagen Staatsvertreter, eine Quote "undemokratisch", weil es ja keine Auswahl zwischen verschiedenen Parteien gibt (die Blockparteien vertreten, was die Kommunistische Partei vorgibt).


Gleichberechtigung als Staatspolitik

Die Vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen 1995 in Beijing, China, forderte Frauenquoten von mindestens 30%. China nahm dies zum Anlass und legte 1995 die Gleichberechtigung als Staatspolitik fest. 2001 wurde vorgeschrieben, dass der Frauenanteil unter neuen Parteimitgliedern um ein bis zwei Prozent pro Jahr steigen soll, was, wie die neuesten Zahlen zeigen, nicht gelang. Von 204 Mitgliedern im Zentralkomitee der Partei sind gerade einmal zehn weiblich. Diese Zahl hat sich seit 2012 nicht verändert. Der Frauenanteil beim Parteitag 2017 lag noch niedriger als der Anteil weiblicher Abgeordneter im Nationalen Volkskongress, nämlich bei 24,1%. Der Frauenanteil beim Parteitag steigt zwar kontinuierlich, aber langsam: 2002 auf 20%, 2012 auf 23%.

2001 wurde vorgegeben, dass mindestens eine Frau in jedes Führungsgremium von Parteikomitees, Volkskongressen und der Politischen Konsultativkonferenz entsandt werden und je eine Frau in der Regierung auf Kreis-, Stadt- und Provinzebene vertreten sein muss.

In der Zentralregierung muss nur die Hälfte der Führungsgremien diese Vorgabe erfüllen. Chinas Staatsspitze, das ständige 7-Personen-Komitee des Politbüros, ist frauenfreie Zone, und zwar seit der Staatsgründung 1949. Der Frauenanteil im 25-köpfigen Politbüro hat sich gerade von zwei Frauen auf eine Frau halbiert. Die beiden weiblichen Mitglieder des Politbüros waren eine seit der Mitgliedschaft der Ehefrauen von Mao Zedong und Lin Biao, Jiang Qing und Ye Qun, 1969 einmalige Ausnahme.

Jiang Qing (1914-91), Ehefrau Maos und wesentliche Akteurin der Kulturrevolution (1966-76) versuchte Mao kurz nach dessen Tod 1976 zu beerben, wurde aber mit ihren Anhängern verhaftet und starb im Gefängnis. Sie gilt als Beispiel für die Katastrophe weiblicher Führung und wird für die Gräuel der Kulturrevolution verantwortlich gemacht - sie habe den eigentlichen Befehlsgeber Mao manipuliert.

Ye Qun (1935-1971) plante angeblich über ihren Sohn ein Attentat auf Mao. Sie dachte, der Plan sei verraten, und floh mit Mann und Sohn mit dem Flugzeug aus Peking. Bei dem Absturz starben alle Insassen. Der bis dahin als Nachfolger gehandelte Lin Biao wurde zum Volksfeind erklärt und seiner Frau Schuld an seinem Gesinnungswandel gegeben. Auf Frauen zu verzichten erscheint deshalb gerechtfertigt und politisch klug.


Viele Vizes auf lokaler Ebene

Auf Provinzebene in China (22 Provinzen plus fünf autonome Gebiete im Provinzrang plus vier Städte im Provinzrang) gibt es keine weibliche Parteisekretärin und nur drei Provinzgouverneurinnen, und zwar ausgerechnet von den ärmsten und wenig entwickelten westlichen Provinzen Innere Mongolei, Guizhou und Autonomes Gebiet der Ningxia-Hui. Frauenkarrieren spielen sich in den als für Frauen typisch angesehenen Sparten Kultur, Bildung und Gesundheit ab. Frau kann auch dort maximal in Vizepositionen aufsteigen - es gibt zwar kaum Bürgermeisterinnen, aber viele Vizes.

Am bis zu zehn Jahre früheren gesetzlichen Pensionsalter von weiblichen Staatsangestellten (Frauen 55 Jahre, Männer 60 bis 65 Jahre) ändert der Staat seit Jahrzehnten nichts. Und wieso soll eine 54 Jahre alte Frau noch befördert werden, wenn sie doch sowieso gleich in Rente geht?


Quote gegen politische Macho-Kultur

Mehr als ein halbes Jahrhundert ausschließlich männliche Politik haben in China zu einer politischen Kultur der nächtlichen Trinkgelage mit Freundinnen, den sogenannten ernai, geführt. Frauen, die mittrinken, gelten gleich als unweiblich. Für das männliche Äquivalent der ernai gibt es kein Wort - allein die Möglichkeit ist schon undenkbar.

Die konfuzianische Tradition und der Chinesische Frauenverband - die einzige erlaubte Frauengruppe und gleichzeitig Massenorganisation der Kommunistischen Partei - schreiben vor, wie eine Frau zu sein hat und was alles unweiblich und damit unmoralisch ist, vom lauten Lachen bis zum öffentlichen Schnapstrinken, von außerehelichen Liebschaften bis zu auffälliger Schminke (dezente Schminke dagegen empfiehlt der Frauenverband zur Vermeidung von Untreue des Ehemannes). Mit der zwingenden Quote wären Frauen nicht mehr verdächtige Ausnahme, sondern selbstverständliche Regel.


WEBTIPP:
www.bpb.de/internationales/asien/china/44315/frauenrechte

Zur Autorin:
Astrid Lipinsky lehrt am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien und leitet seit 2009 das dortige Wiener Zentrum für Taiwanstudien. Ihre Texte finden sich auf ihrer Homepage:
www.sinojus-feminae.eu

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 145, 3/2018, S. 14-15
Text: © 2018 by Frauensolidarität / Astrid Lipinsky
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2019

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