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ASIEN/885: Nordkorea - Der große Hunger ist vorbei, Reformen stärken neue Mittelschicht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2014

Nordkorea: Der große Hunger ist vorbei - Reformen stärken neue Mittelschicht

von Ahn Mi Young


Bild: © 'Koryo Tours', Beijing

Wintersportgebiet in Nordkorea
Bild: © 'Koryo Tours', Beijing

Seoul, 28. Februar (IPS) - In den 1990er Jahren galt Nordkorea als Hungerland, aus dem die Menschen in Scharen flohen. Als Südkorea vor sechs Jahren seine großzügigen Hilfszahlungen einstellte, hätte sich die Lage eigentlich verschlechtern müssen. Doch das ist nicht geschehen. Der Staat mit etwa 24 Millionen Einwohnern scheint die Jahre gut überstanden zu haben.

Berichten zufolge geht es inzwischen mehr Menschen dort besser als früher. Viele von ihnen fanden als Händler ein Auskommen. Das kommunistische Regime, an dessen Spitze der Oberste Führer Kim Jong-Un, ein Mann in den Dreißigern, steht, umwirbt seit dem Tod seines Vaters im Jahr 2011 Investoren und Touristen, die den Berg Kumgang besuchen und Pjöngjang damit Millionen US-Dollar an Deviseneinkünften verschaffen. Das Land führt zudem Reformen ein und hat sogar seine harte Haltung gegenüber dem Süden abgemildert, um wieder in einen Dialog zu treten.

Nordkorea hat sich nach und nach von südkoreanischen Nahrungsmitteln und anderen Gütern unabhängig gemacht. Zwischen 1998 und 2007 hatte die Regierung in Seoul jedes Jahr etwa 400.000 Tonnen Reis, große Mengen an Milchpulver und Medikamenten für Kinder, Zement und Baumaterialien sowie Düngemittel an den Norden geliefert. Vollbeladene LKWs überquerten regelmäßig die stark gesicherte Grenze der seit dem Korea-Krieg von 1950 bis 1953 getrennten Länder.

Seit dem Amtsantritt einer konservativen Regierung in Seoul 2008 näherte sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten jedoch dem Gefrierpunkt. Südkorea stellte den gesamten Handel ein, nachdem es Pjöngjang beschuldigt hatte, eines seiner Kriegsschiffe versenkt zu haben.

Nachdem Seoul als größter Geber ausgefallen war, wandte sich Nordkorea verstärkt seinem einzigen Verbündeten China zu. Laut der Internationalen Handelsvereinigung Koreas (KITA) wuchs der chinesisch-nordkoreanische Handel zwischen 2012 und 2013 um zehn Prozent auf 6,54 Milliarden Dollar.


Neue Mittelschicht

Es gibt inzwischen immer mehr nordkoreanische Geschäftsleute, die in die neue Mittelschicht aufrücken. Dazu zählen etwa 240.000 Bürger mit einem Vermögen von jeweils zwischen 50.000 und 100.000 Dollar, das zum Teil in Immobilien investiert wurde, wie die südkoreanische Zeitung 'Chosun Ilbo' berichtete.

"Das Entstehen dieser neuen Mittelschicht zeigt, dass Pjöngjang Bauern und anderen Bürgern gestattet, selbst Geschäfte zu machen. Früher war dies nur denjenigen gestattet, die der Kommunistischen Partei ihre Loyalität bewiesen", erklärte ein Beamter in Seoul, der ungenannt bleiben wollte.

Wie nordkoreanische Überläufer in Südkorea berichtet haben, handelt es sich bei diesen gut situierten Leuten für gewöhnlich um ehemalige Bauern, Händler oder Diplomaten. Eine kürzlich unter 200 Überläufern veröffentlichte Umfrage von 'Media Research' ergab, dass mindestens 80 Prozent der Nordkoreaner in ihrem Land Handel treiben. Sie sind damit nicht mehr abhängig von den Zuteilungen der Regierung, die in den vergangenen Jahren mehr als halbiert wurden. So ist es auch zu erklären, dass sogenannte 'Oberklasse-Appartements' in der nordkoreanischen Hauptstadt für jeweils 100.000 Dollar Käufer finden.


Ernährung von fast der Hälfte der Nordkoreaner gesichert

Laut dem Welternährungsprogramm WFP geben inzwischen weniger Nordkoreaner an, Nahrungsmittel zu benötigen. Bei einer Meinungsumfrage im letzten Jahr erklärten 46 Prozent der Befragten, dass sie "ausreichend" Lebensmittel hätten. Ein Jahr früher traf dies auf 26 Prozent der Bevölkerung zu.

Diese Erkenntnisse legen nahe, dass die Aussetzung der Zuwendungen Südkoreas dem Norden nur kurzfristig Probleme bereitet und auf längere Sicht sogar Wirtschaftsreformen befördert hat. Die Arbeiter, die früher die Hilfslieferungen aus Seoul weiterleiteten, verloren ihre Arbeit und mussten sich anderweitig orientieren. "Viele von ihnen sind jetzt Verkäufer", sagte der Nordkorea-Experte Joo Sung-Ha in Seoul.

Da die USA zunehmend Druck auf China ausüben, damit die Volksrepublik Nordkorea zur Offenlegung ihres Atomwaffenprogramms bewegt, wird sich Pjöngjang nach Ansicht von Analysten nach weiteren Unterstützern umsehen müssen.

Nordkorea hat eine Reihe von Reformen eingeführt. Im Juni 2012 startete es sein 'Familienfarmsystem'. Es sieht vor, dass die Familien 30 Prozent der Ernte an die Regierung abtreten und den Rest behalten dürfen.

Nordkorea hat außerdem die Einrichtung von 14 Sonderwirtschaftszonen angekündigt, in denen internationale Investoren Geschäfte treiben können. Im Januar wurde außerdem ein Wintersportgebiet in der westlich gelegenen Stadt Wonsan eröffnet. Ausländische Touristen können sich dort unter die Einheimischen mischen und finden europäisches Bier und Coca-Cola vor.


Erstes hochrangig besetztes bilaterales Treffen seit 2007

Pjöngjang hat auch eine Wiederaufnahme der Gespräche mit Seoul angeregt. Zum ersten Mal seit 2007 trafen sich im Februar hochrangige Staatsbeamte aus Nord- und Südkorea, um über die Zusammenführung von Familien zu beraten, die durch den Krieg in den 1950er Jahren auseinander gerissen worden waren. Kim Jong-Un hat allen Grund dazu, Reformen voranzutreiben. Er steht an der Spitze einer Nation, die als nukleare Gefahr für die gesamte Welt betrachtet wird.

Können solche Reformen aber einen wirklichen Wandel herbeiführen? Kim Jong-Un, der seinem Vater Kim Jong-Il und seinem Großvater Kim Il-Sung im Amt nachfolgte, wird vorgeworfen, einen Loyalitätskult zu betreiben, um seiner Familie die Macht zu sichern. Im vergangenen Jahr entledigte er sich seines unbequemen Onkels Jang Seong-Thack, des zweitmächtigsten Mannes im Staat, und ließ ihn als Verräter hinrichten.


Hunderte Regimegegner ins Konzentrationslager geschickt

"Kim versetzt das Land in Schrecken, indem er Hunderte Gefolgsleute Jangs in Konzentrationslager schickt", sagt der südkoreanische Parlamentarier Cho Myong-Chull, der früher an der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang lehrte.

Viele Nordkoreaner sind der Ansicht, dass es ihrer Regierung mehr um die eigenen Interessen als um das Wohlergehen der Bevölkerung gehe. Etwa 90 Prozent der Teilnehmer der Umfrage von Media Research hatten erklärt, dass sie heute in ihrem Land eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich beobachteten. Anders als früher erfahren sie aber mehr über das Leben außerhalb der eigenen Grenzen. 70 Prozent gaben an, bereits südkoreanische Fernsehsendungen gesehen und Popsongs gehört zu haben.

Schätzungsweise drei Millionen Nordkoreaner besitzen ein Mobiltelefon. Die meisten der rund 26.000 Überläufer halten auf diese Weise von Südkorea aus Kontakt zu ihren Familien im Norden. Waren Nordkoreaner in den 1990er Jahren hauptsächlich wegen des großen Hungers geflohen, suchen sie heute im Ausland vor allem mehr Wohlstand und bessere Bildungschancen für ihre Kinder. Seit dem Amtsantritt von Kim Jong-Un haben laut dem südkoreanischen Ministerium für Wiedervereinigung weniger Nordkoreaner ihr Heimatland verlassen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/02/north-korea-fine-without-south/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2014